KommentarEU-Industriepolitik

Grüne Rolle rückwärts in Europa

Der Wirtschaft in Europa steht nach der Europawahl eine Zeitenwende ins Haus. Der Green New Deal dürfte angepasst werden – und die Unsicherheit dürfte weiter steigen.

Grüne Rolle rückwärts in Europa

EU-Industriepolitik

Grüne Rolle rückwärts

Von Sebastian Schmid

Der Wirtschaft in Europa steht eine Zeitenwende ins Haus. Der Green New Deal dürfte angepasst werden – und die Unsicherheit dürfte steigen.

Ein Rechtsruck und hohe Verluste für die Grünen – dass die Europawahl so ausgehen würde, war zu erwarten. Dennoch ist es eine Sache, Umfragen zur Kenntnis zu nehmen, und eine ganz andere, ein Wahlergebnis vor sich zu haben. Auf die Wirtschaft, die auch wegen Fachkräftemangels bis zuletzt gegen die Wahl nationalistischer Parteien getrommelt hatte, kommt nun eine Zeit der Unsicherheit zu. Der „European Green Deal“ dürfte aufgeschnürt und noch einmal neu verhandelt werden. Und zwar unabhängig davon, ob die nächste Kommissionspräsidentin wieder Ursula von der Leyen heißt. Die Liberalen haben angekündigt, ihre Unterstützung für von der Leyen auch davon abhängig zu machen, ob diese das Enddatum für Verbrenner kippt.

Eine noch größere grüne Rolle rückwärts droht freilich, wenn die Wette des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht aufgeht und es in Frankreich zu einem Regierungswechsel kommt. Der Green Deal basierte ursprünglich auch darauf, dass vor einigen Jahren noch ein dauerhaftes Erstarken der Grünen in Europa erwartet wurde. Diese sind im neuen Europaparlament indes deutlich schwächer vertreten. Ihr Einfluss dürfte schwinden.

Der Verweis aus der Politik, die Wirtschaft wolle gar keinen Kurswechsel, ist dabei zu pauschal. Es stimmt zwar, dass viele große Konzerne, die von neuer Regulierung stets als Erste betroffen sind, sich längst auf viele Vorgaben eingestellt haben. Doch gerade im Mittelstand, in dem die Ressourcen knapper und die relativ aufzuwendenden Kapazitäten für Dokumentations- und Berichtspflichten höher ausfallen, ist das Bild ein weitaus gemischteres.

Und aus Investorensicht dürfte ohnehin gelten, dass das Image eines verlässlichen und stabilen Europas weiteren Schaden genommen hat. In einer zersplitterten europäischen Parteienlandschaft dürften langfristige Weichenstellungen kaum noch möglich sein und Mehrheiten immer öfter fallweise mühsam gesucht werden. Zu Standortnachteilen wie einem fragmentierten Kapitalmarkt, einer alternden Bevölkerung, vergleichsweise hoher Abgabenlast und einer langsamen Bürokratie gesellt sich nun also auch noch politische Instabilität. Dabei hat die grüne Rolle rückwärts an vielen Stellen kaum einen Effekt: Für die Automobilindustrie dürfte es keine Rolle spielen, ob das Verbrennerverbot in der EU gekippt wird. Sie richtet ihre längerfristige Strategie ohnehin stärker an den USA und China aus – Märkte, die verlässlicher erscheinen als Europa. Und das ist wohl der traurigste Teil der Wahlbilanz.

Neu: ESG PRO
Jetzt weiterlesen mit ESG PRO
Alle Artikel zu ESG-Themen in der Börsen-Zeitung
1 Monat für nur 1 € testen
Danach im günstigen Einführungsangebot:
6 Monate für nur 34,90 €