Klimatransformation verschiebt Tektonik am deutschen Arbeitsmarkt
Klimatransformation erschüttert Arbeitsmarkt
Jobaufbau in der Umweltbranche kann Jobverluste in alten Industrien nicht kompensieren – Fehlender Masterplan verunsichert Investoren
Frühere optimistische Prognosen zum Jobaufbau in der Umweltbranche verflüchtigen sich. Die mit der Klimatransformation ausgelösten Jobverluste sind höher als erwartet. Ganze Industrien kommen ins Rutschen. Obendrein werden auch noch gutbezahlte fossile Jobs in schlechter bezahlten Umweltjobs in anderen Regionen ausgetauscht.
Von Stephan Lorz, Frankfurt
Noch vor einem guten Jahr war sich die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Klimatransformation sicher, dass die Energiewende auch arbeitsmarktpolitisch eine „Win-win-Situation“ darstellt. Die Energieversorgung werde nicht nur zukunftsfest aufgestellt, sondern zugleich werde der Klimaschutz verbessert. Arbeitsplätze würden gesichert und andere neu entstehen, ließ sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zitieren. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach gar von einem neuen „Wirtschaftswunder“.
Tatsächlich signalisiert der Jobzuwachs bei den Erneuerbaren, dass der deutsche Arbeitsmarkt von der Energiewende durchaus profitiert: Waren im Jahr 2000 nur gut 100.000 Menschen in der Branche beschäftigt, waren es Anfang 2023 schon 387.000 Personen. Allerdings gab es schon mal Jahre, in denen es mit 411.000 Menschen mehr waren. Seither gibt es Probleme mit der Installation der Windkraft; große Teile der Fotovoltaik-Produktion sind nach China abgewandert. Und dass das Elektroauto kein Selbstläufer geworden ist, dürfte ebenso eine Rolle spielen.
Prognosen zerschlagen sich
Noch 2021 wurde eine regelrechte Job-Welle im Klimabereich angekündigt. Eine Studie der Partei Bündnis 90/Die Grünen sagte bis 2030 rund 440.000 zusätzliche Jobs voraus; und für 2035 gar 767.000 direkte und indirekte Arbeitskräfte. „Die Angst vor einer Massenarbeitslosigkeit durch Kohleausstieg und Co. ist unbegründet“, hieß es. Die Zahl der Menschen in der Energiewirtschaft werde eher von 18 auf 26 Millionen ansteigen, „wenn wir unsere globalen Klimaziele erreichen“, schrieb Autor Johannes Emmerling vom Europäischen Institut für Ökonomie und Umwelt.
Inzwischen ist sogar fraglich, ob die aufgrund der Klimatransformation neu aufgebauten Jobs den Wegfall der Stellen in anderen Industriebereichen kompensieren können. Zudem: Die Industrieländerorganisation OECD räumte unlängst ein, dass die neuen Jobs auch regional ganz anderswo aufgebaut werden, die betroffenen Regionen also weiter darben. Außerdem würden die Umweltjobs durch die Bank auch noch schlechter bezahlt als fossile Arbeit, wie Jonas Fluchtmann vom OECD-Direktorat Beschäftigung in einem Webinar ausführte. Das ist keine gute Nachricht für die Sozialversicherungen – und das sind keine guten Aussichten für den Fiskus. Von den betroffenen Menschen und Regionen ganz zu schweigen.
„Viele Einzelschicksale“
Klimaminister Robert Habeck räumte gleich zu Beginn der Ampel-Koalition ein: „Jobs werden entstehen, andere Jobs werden vergehen. Und nicht alle Menschen werden mit dem Wandel damit klarkommen.“ Aber insgesamt könne die Gesellschaft profitieren, wenn „wir es richtig anstellen“. Dann werde „ein klimaneutraler Wohlstand neu geschaffen“. Aber auf dem Weg werde es „sehr viele Probleme, einzelne Schicksale geben“.
An diesem Punkt scheint sich die deutsche Wirtschaft jetzt festgefahren zu haben: Viele Jobs fallen weg wegen der Umstellung auf Erneuerbare, wegen hoher Strompreise und wegen fehlender langfristiger planerischer Perspektiven, zugleich lässt die nächste Welle an Klimainvestitionen in Infrastruktur, Kraftwerke und Batterieproduktion aber auf sich warten. Zudem steigt die Unruhe in der Bevölkerung, weil noch immer kein Masterplan vorliegt, wie die Klimawende gelingen, Deutschland sich wieder fangen und erfolgreich werden kann. Viele Investitionsvorhaben wurden obendrein gestoppt, weil die noch amtierende Bundesregierung keine neuen Gelder für 2025 lockermachen kann für Zuschüsse oder Investitionen.
Qualifizierungswelle nötig
Zudem erscheint bei den neuen Umweltjobs fraglich, ob die neuen Stellen auch besetzt werden können. Denn es fehlen oftmals schlicht dafür die nötigen Fachkräfte. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg fordert daher eine Qualifizierungsoffensive, also mehr Anstrengungen für Weiterbildung und Umschulung vorhandener Fachkräfte aus eher fossilen Technikbereichen. Denn die benötigten Fertigkeiten sind „grundständige technische Fähigkeiten, in denen Deutschland stark ist“. Aber solange die Politik keinen klaren Kurs vorgibt, „damit auch die privaten Investoren wissen, woran sie sind, bleiben Investitionen aus“, warnt er.
Jonas Fluchtmann von der OECD rechnet inzwischen nur noch mit „geringen Nettoauswirkungen“ der Klimatransformation auf den Arbeitsmarkt und warnt zugleich vor der immer deutlicher werdenden „massiven strukturellen Neuverteilung der Jobs“. Das heißt: Regionen verlieren netto Arbeitsplätze, andere gewinnen hinzu – quer durch Europa und oftmals nur in Übersee. Dauerhaft bleiben nach seinen Erkenntnissen indes die negativen Lohneffekte.
Schwacher Nettoeffekt
Auch Soziologin Anke Hassel von der Berliner Hertie School geht davon aus, dass die Transformationskosten höher sind als bisher angenommen. Sie verweist ferner auf Probleme der gekündigten Arbeitnehmer aus fossilen Jobs bei der Arbeitsannahme, weil Lohnverluste drohten. Um Einstellungen zu erleichtern, hält die OECD daher staatliche Lohnzuschüsse für sinnvoll. Das aber würde, so Hassel, zu innerbetrieblichen Konflikten führen, wenn ehemals fossile Mitarbeiter im neuen Job höher entlohnt werden als etablierte Kollegen.
Es braucht nach Ansicht von Fluchtmann und Hassel insofern noch viel Zeit, bis sich nach der Transformation ein neues Gleichgewicht gefunden habe. Und erst dann könne man auch klar sehen, wie sich das auf dem Arbeitsmarkt niedergeschlagen hat. Ob der Job-Optimismus der Anfangsjahre zumindest in Teilen gerechtfertigt war, ist vor diesem Hintergrund zweifelhaft.