„Was mich stört, ist das dauerhafte Gejammer“
Im Gespräch: Sascha Haggenmüller
„Was mich stört, ist das dauerhafte Gejammer“
Radial-Consulting-Gründer rät Mittelstand zu mehr „Trial and Error“ – Bei der Erfüllung von Berichtspflichten stehen sich deutsche Firmen oft selbst im Weg
Von Sebastian Schmid, Frankfurt
scd Frankfurt
Kleine und mittelgroße Unternehmen in Deutschland kämpfen nicht nur mit der Konjunkturflaute, sondern auch mit Bürokratie und Regulierung. Berater Sascha Haggenmüller empfiehlt pragmatisches Handeln und sieht in der Nachhaltigkeitsberichterstattung auch eine Chance zur strategischen Weiterentwicklung.
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) machen das Gros der deutschen Wirtschaft aus. Und die Stimmung bei vielen KMU ist so schlecht wie lange nicht. Im jüngsten KMU-Stimmungsbarometer der BarmeniaGothaer gibt es einen Wunsch an die Politik, der über allen anderen steht. Fast 70% der befragten Unternehmen wünschen sich einen Abbau von Regulierung und Bürokratie. Insbesondere die Berichtspflichten, die aus der EU-Taxonomie erwachsen, stehen in der Kritik. Berater Sascha Haggenmüller, der vor der Gründung von Radial Consulting für EY, Deloitte und Porsche Consulting gearbeitet hat, rät Unternehmen davon ab, in das Wehklagen einzustimmen. „Das ganze Thema Nachhaltigkeit/ESG ist in Europa zwar klar durch die Regulatoren getrieben. Andererseits wird hinsichtlich der Anforderungen, die auf die Unternehmen zukommen, meines Erachtens zumindest ein bisschen übertrieben.“ Er beobachtet, dass die anfängliche Skepsis sich oft verflüchtigt, wenn ein Projekt erst einmal gestartet wurde. In der Regel werde dabei sogar die Gesamtunternehmensstrategie nochmal auf den Prüfstand gestellt. „Und das kann dann auch eine große Chance sein.“
Bis ins Detail statt pragmatisch
Bei der Erfüllung der Berichtspflichten stünden sich die Unternehmen zuweilen selbst im Weg. „Es ist leider typisch deutsch, zu versuchen, alles bis ins letzte Detail perfekt zu machen, anstatt erst einmal pragmatisch anzufangen und sich dem ganzen Thema einfach mal mutig zu nähern.“ Haggenmüller würde sich hier ein „bisschen mehr Trial and Error“ wünschen. „Was mich manchmal in unseren Breitengraden stört, ist das dauerhafte Gejammere.“ Ein typischer Kommentar in Auftaktgesprächen mit Führungskräften des Mittelstands sei etwa „ich will weiter Geld verdienen und mich mit so einem Schwachsinn gar nicht beschäftigen“. Für Berater bedeute das, es mache wenig Sinn, direkt ins Projekt zu starten. Erst einmal müsse der Rahmen abgesteckt werden. „Was sind CSRD, ESRS, SFDR, LkSG und was da an Abkürzungen im Raum steht? Erst wenn die Anforderungen verstanden sind und man das vielleicht einen Moment hat sacken lassen, lohnt es sich, in den ersten Workshop zu gehen.“
Zuweilen nehme die Debatte eine positive Wendung, wenn verstanden werde, dass relativ viele Datenpunkte bereits vorhanden seien. „In einem Fall mit einem Investor wurde aus einem Artikel-8-Fonds dann zügig ein Artikel 8+-Fonds, weil der Ansporn entstanden ist, ökologische und soziale Merkmale proaktiv zu fördern und diese Teil der Unternehmensstrategie werden zu lassen“, erzählt Haggenmüller. Die Sorge, dass die Manager bei dem Thema vielleicht noch mitgehen, die Mitarbeiter aber nicht, hält er für unbegründet. „Wenn ich mit dem Thema Nachhaltigkeit die komplette Belegschaft abschrecke, dann habe ich – provokant gesagt – ein grundsätzliches Problem, und das ist üblicherweise ein Führungsproblem.“
Vorsprung anderer Länder ist eher mental
Das Vorurteil, dass deutsche Mittelständler beim Thema Reporting hinter der internationalen Konkurrenz zurückstehen, kann der Berater nicht bestätigen. „Ich bin US CPA und habe auch das ein oder andere US-Unternehmen gesehen. In Sachen automatisiertes Reporting & Controlling nehme ich nicht wahr, dass andere Länder zwangsläufig weiter sind.“ Der Vorsprung anderer Länder sei eher mental, wenn es etwa um das Thema Digitalisierung gehe. Manche Mittelständler glaubten immer noch, dass sie digitalisieren, wenn sie Dokumente einscannen. „Uns fehlt die Differenzierung aus dem Englischen: Digitization und Digitalization. Digitization ist – vereinfacht gesprochen – Dokumente einzuscannen. Digitalization ist Prozessoptimierung.“
Potenzial wird liegen gelassen
Wer sich hier im Rückstand sieht, sollte indes nicht gleich in Aktionismus verfallen. „Man muss dabei auch die Kirche im Dorf lassen. Ein Unternehmen wird nicht groß, weil ein hoch detailliertes Controlling aufgesetzt wird. Ein Unternehmen wird groß durch den Drive von Unternehmern, durch deren Bauchgefühl und wie sie den Markt einschätzen“, so Haggenmüller. Dennoch werde oft viel Potenzial liegen gelassen, sagt er mit Blick auf Mittelständler, die einen Verkauf angehen wollen. „Bei der umfassenden Datenaufbereitung wird beim Thema Exit-Vorbereitung oft am falschen Ende gespart. Allein wenn ein Unternehmen sich durch einen professionellen Dienstleister die Ebitda-Bereinigungen im Rahmen einer Transaktion ermitteln lässt, dann amortisieren sich die Honorare in der Regel um ein Vielfaches, wenn man sich den dadurch höheren Kaufpreis für potenzielle Käufer ansieht.“