Anlagestrategie

Anti-Goldilocks: Ein extrem unsicheres Umfeld

Die Weltwirtschaft ist erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt. In diesem Umfeld ist es für jede Anlagestrategie von entscheidender Bedeutung, die Flexibilität und Liquidität des Portfolios zu erhöhen.

Anti-Goldilocks: Ein extrem unsicheres Umfeld

Die Weltwirtschaft ist aktuell mit einem Schock und erheblichen Unsicherheiten konfrontiert, die sich negativ auf das Wachstum auswirken und wahrscheinlich die Inflation weiter anheizen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine, die Sanktionen und die Turbulenzen an den Rohstoffmärkten haben die Unsicherheiten für die Konjunktur und die Finanzmärkte, die bereits vor dem Ausbruch dieses Kriegs existierten, noch weiter akzentuiert. Eine große Bandbreite möglicher Szenarien sowie Nichtlinearitäten und abrupte Regimewechsel in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten liegen im Bereich des Möglichen. Trotz der vielen Unbekannten lassen sich fünf wesentliche Schlussfolgerungen zu den konjunkturellen Aussichten für die nächsten sechs bis zwölf Monate ziehen, die für Anleger zum jetzigen Zeitpunkt am wichtigsten sind.

Angebotsschock

Erstens: eine „Anti-Goldlöckchen-Konjunktur“. Die Weltwirtschaft und die politischen Entscheidungsträger sehen sich mit einem durch Stagflation charakterisierten Angebotsschock konfrontiert: Er bremst das Wachstum und sorgt gleichzeitig für eine tendenziell steigende Inflation. Zwar entspricht eine solche „Anti-Goldilocks-Konjunktur“ nicht unserer vorläufigen Basisprognose, die immer noch von einem über dem Trend liegenden Wachstum und einem allmählichen Nachlassen des Inflationsdrucks in den Volkswirtschaften der entwickelten Märkte ausgeht. Doch die Risiken einer höheren Inflation und eines geringeren Wachstums oder gar einer Rezession haben trotzdem zugenommen.

Eingetrübte Aussichten

Zweitens: nichtlineare Wachstums- und Inflationsschübe. Die Aussichten sowohl für das Wachstum als auch für die Inflation haben sich angesichts der schon zuvor fragilen Ausgangsbedingungen eingetrübt. Aufgrund von Covid-19 kam es bereits zu Unterbrechungen der Lieferketten, die die Produktion beeinträchtigen und die Kosten und Preise in vielen Branchen in die Höhe getrieben haben. Russlands Krieg in der Ukraine und die Sanktionen haben zu weiteren Unterbrechungen geführt. Darüber hinaus haben die jüngsten Pandemie-Lockdowns in Teilen Chinas das Potenzial, neue Engpässe in der globalen Lieferkette zu verursachen.

Drittens: asymmetrischer Schock. Der Krieg in der Ukraine wird wahrscheinlich zu größeren Schwankungen bei den Wirtschafts- und Inflationsentwicklungen zwischen Ländern und Regionen führen. Europa wird am meisten davon betroffen sein, während die Wirtschaft der Vereinigten Staaten gegen die direkten Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine relativ gut abgeschirmt erscheint. China und die meisten anderen asiatischen Volkswirtschaften haben weniger stark ausgeprägte direkte Handelsverbindungen mit Russland. Höhere Energiepreise und ein sich abschwächendes Wachstum in Europa werden sich jedoch auch auf diese Staaten auswirken. In den Schwellenländern dürften Exporteure von Rohstoffen profitieren, obwohl höhere Rohstoffpreise in den meisten dieser Staaten den bereits hohen Inflationsdruck weiter verschärfen dürften.

Viertens: Tauziehen bei den Zentralbanken. Die meisten Zentralbanken scheinen sich dafür entschieden zu haben, gegen die Inflation zu kämpfen – und nicht etwa das Wachstum zu stützen. In normalen Zeiten würden wir von den Zentralbanken erwarten, dass sie die inflationären Folgen eines angebotsseitigen Schocks durchschauen und verstehen. Aber dies sind eben keine normalen Zeiten: Der aktuelle Schock kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Inflation aufgrund der Pandemie und der anhaltenden Unterbrechungen der Lieferketten bereits hoch ist. Die geldpolitischen Entscheidungsträger scheinen sich daher in erster Linie darauf zu konzentrieren, Zweitrundeneffekte einer höheren Gesamtinflation und einen weiteren Anstieg der bereits hohen Inflationserwartungen zu unterbinden. Das impliziert ein steigendes Rezessionsrisiko später in diesem Jahr oder 2023. Auch wenn dies nicht sehr wahrscheinlich ist, bleibt es ein Risiko, das es zu überwachen gilt.

Fünftens: verhaltene Reaktion der Fiskalpolitik. Regierungen haben auf die Pandemie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln reagiert, unterstützt durch die Geldpolitik. Da die Defizite und die Verschuldung nun jedoch deutlich höher sind und die Zentralbanken die quantitative Lockerung beenden und die Zinssätze anheben, wird die fiskalische Reaktion auf den aktuellen Schock vermutlich sehr viel gedämpfter ausfallen.

In Europa wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu weiteren fiskalischen Lockerungen kommen, zum Teil in Form von höheren Verteidigungsausgaben (die erst nach einiger Zeit wirksam werden) und zum Teil durch Transfers und Steuersubventionen, die die Auswirkungen der höheren Energiekosten auf die verfügbaren Einkommen abfedern sollen. Allerdings werden diese Maßnahmen das Auslaufen der pandemiebedingten Stützungsprogramme wahrscheinlich nur teilweise ausgleichen.

In den USA ist angesichts der politischen Pattsituation im Kongress in nächster Zeit bestenfalls mit geringfügiger zusätzlicher fiskalpolitischer Unterstützung zu rechnen Die Zwischenwahlen im November könnten eine republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus und möglicherweise auch im Senat bringen. Der darauffolgende Stillstand würde weitere Steuererleichterungen wohl auf Jahre hinaus verhindern. Dies ist zwar keine gute Nachricht für das Konjunkturwachstum, dürfte aber dazu beitragen, den Inflationsdruck zu dämpfen.

Flexibilität und Liquidität

In diesem schwierigen und unsicheren Umfeld sollte es ein wesentlicher Bestandteil jeder Anlagestrategie sein, die Flexibilität und Liquidität des Portfolios zu erhöhen, um auf Ereignisse reagieren und potenzielle Chancen nutzen zu können. Vieles spricht dafür, in Bezug auf die makroökonomischen Risikofaktoren in der Nähe des Heimatlandes zu bleiben und bei der Neuinvestition von Barmitteln sehr vorsichtig zu sein.

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