Anleihemärkte

Bondrenditen im Rückwärtsgang

Die Staatsanleiherenditen sind unter Abwärtsdruck geraten. Denn Anleger gehen nur von einer vorübergehenden Teuerung aus und erwarten eine anhaltend lockere Geldpolitik.

Bondrenditen im Rückwärtsgang

Von Kai Johannsen, Frankfurt

Die Renditen der Bundesanleihen sind insbesondere im Juli deutlich zurückgefallen, und der Markt hat eine sehr gute Kursperformance gesehen. Die zehnjährige Bundrendite, die im März vorigen Jahres, als die Covid-19-Krise Europa erfasste und die Finanzmärkte durchschüttelte, kurzzeitig bis unter –0,85% gefallen war, kletterte bis Mitte Mai dieses Jahres auf über –0,10%. In der Folge sah so mancher Marktteilnehmer schon wieder die positiven Renditen in diesem Laufzeitenbereich zum Greifen nah. Am langen Marktende das gleiche Bild: Die Rendite der 30-jährigen Bundrendite war im März 2020 bis auf –0,48% abgesackt. Dann ging es auch hier bergauf. Bis zum Hochpunkt von 0,46% legte sie innerhalb gut eines Jahres um fast einen Prozentpunkt zu. Aktuell liegt die zehnjährige Bundrendite bei –0,46% und die Langläufer des Bundes mit 30 Jahren Fälligkeit bei momentan –0,01%. Die gesamte Bundzinsstrukturkurve, angefangen bei den Geldmarktpapieren mit wenigen Monaten Laufzeit bis hin zu den 30-jährigen Bundespapieren – dies ist die längste Kapitalmarktlaufzeit, die der Bund auf der Refinanzierungsseite einsetzt, – liegt damit im negativen Bereich. Im Tagesverlauf kann die 30-jährige Bundrendite an einzelnen Tagen auch in engen Bandbreiten um die Nulllinie schwanken.

Die meisten Marktteilnehmer haben sich darauf eingestellt, dass die lange Zeit befürchtete Inflationssteigerung sowohl dies- als auch jenseits des Atlantiks kein dauerhafter Zustand wird, der die Zentralbanken mit einer schärferen Geldpolitik auf den Plan ruft und somit das Ende der jahrelangen Überschwemmung der Märkte mit billigem Zentralbankgeld einleiten würde. Das würde nicht nur zu steigenden Bondrenditen führen, sondern würde auch den Aktienmärkten zu schaffen machen, die von der Flutung der Märkte über Jahre profitiert haben.

„Aktuell gehen wir immer noch davon aus, dass die Inflation von ihrem hohen Niveau in diesem Jahr zurückgehen und sich in vergleichbaren Werten zum oberen Ende der Spanne nach der Finanzkrise einpendeln wird. Gleichzeitig sind wir aber offener für Upside Risks als zu Beginn des Jahres. Wir gehen davon aus, dass die Inflation über den Verlauf des neuen Zyklus ein Gesprächsthema für die Anleger sein wird“, sagt Erik Knutzen, Chief Investment Officer (CIO) Multi Asset Class beim Assetmanager Neuberger Berman.

Reflation Trade geht Luft aus

Die Zentralbanken, allen voran die Fed und die Europäische Zentralbank, haben die Marktteilnehmer wiederholt darauf hingewiesen, dass sie nicht mit dauerhaft hohen Inflationsraten rechnen, sondern die Teuerungsanstiege nur als ein vorübergehendes Phänomen ansehen. Sie gehen davon aus, dass es in den kommenden Monaten noch zu höheren Inflationsraten kommen wird, die sich auf mittlere Sicht wieder unter den zwischenzeitlichen Hochs einpendeln werden. Dieses Umfeld hat dem sogenannten Reflation Trade, mit dem weite Investorenkreise auf höhere Inflationsraten, also eine Re­flationierung der Wirtschaft gesetzt hatten, den Garaus gemacht. Viele Anleger setzen somit nun nicht mehr auf höhere Bondrenditen. Mancher Analyst hatte ohnehin damit gerechnet, dass der Reflation Trade nur ein paar Monate laufen wird und sich dann gemäßigte Inflationserwartungen unter den Marktteilnehmern einstellen werden.

Auf die Renditen drücken aber auch die Käufe der Zentralbanken selbst, und es ist geradezu auszuschließen, dass diese Kaufprogramme abrupt abebben werden, denn das würde die Bondmärkte erheblich durcheinanderwirbeln. Eine derartige Verunsicherung der Bondakteure könnte durchaus auch negativ auf die Märkte für Risikoassets, also Aktien, abfärben. Viele Marktteilnehmer gehen derzeit auch nicht von einem bald einsetzenden Tapering, also dem allmählichen, sukzessiven Zurückfahren der Anleihekäufe aus. Vielmehr wird am Markt erwartet, dass die Zentralbanken den ultralockeren Kurs, den sie derzeit fahren, auch noch in den kommenden Monaten fortsetzen werden. „Der Juli und August sind normalerweise bessere Monate für Staatsanleihen, da das Angebot mit Beginn der Sommerpause nachlässt. Dieses Jahr ist keine Ausnahme, aber es gab zusätzliche Faktoren, die zu den rückläufigen Renditen beigetragen haben. Die schiere Masse der im Umlauf befindlichen Mittel ist der übergreifende Auslöser, da die Federal Reserve weiterhin jeden Monat US-Staatsanleihen von über 40 Mrd. Dollar aufkauft“, heißt es etwa bei J.P. Morgan Asset Management.

Im Jahr 2021 hat die Fed ihre Bestände nach Berechnungen von Axa Investment Managers (IM) um 567 Mrd. Dollar erhöht (bis Ende Juli), und die Fed besitzt damit rund 22% der ausstehenden Staatsanleihen. Im Moment erhöhe die Fed ihre Bestände weiter, bis sie entscheide, wann sie mit dem Tapering ihrer Anleihekäufe beginne. Sowohl die Argumente, die auf die Zu- und Abflüsse abzielen, als auch jene, die sich um den Bestand drehen, könnten zur Erklärung der Auswirkungen der Anleihekäufe auf die Renditen herangezogen werden.

Banken unter den Käufern

Die Kapitalmarktexperten von Axa IM verweisen aber auch noch auf einen weiteren Einflussfaktor auf die Staatsanleiherenditen, so zum Beispiel in den USA. Seit Beginn der Pandemie haben die Bankeinlagen in den USA aufgrund der fiskalischen Anreize und der einfachen Kreditvergaben enorm zugenommen. „Ein Anstieg der Einlagen bedeutet eine Zunahme der Verbindlichkeiten bei den Banken. Auf der Aktivseite hat das Kreditwachstum nicht Schritt gehalten, so dass die Banken ihre Bestände an anderen Vermögenswerten erhöhen mussten. Hierbei sind Staatsanleihen ein wichtiger und sicherer Vermögenswert, um diesen Bedarf zu decken“, heißt es bei Axa IM weiter. Große inländische US-Banken hätten ihre Bestände an Staatsanleihen im laufenden Jahr bis Ende Juni um 312 Mrd. Dollar erhöht. Zusammen mit der US-Notenbank sind das 880 Mrd. Dollar an Staatsanleihekäufen. Weitere Einflussfaktoren sieht Axa IM etwa bei dem Anlagebedarf von Pensionsfonds und Versicherern. Auch ihre Käufe drücken die Renditen. Die zehnjährige US-Rendite von fast 1,80% Ende März dieses Jahres bis auf aktuell 1,34% gefallen, war aber auch schon unter 1,20%.

Leitartikel Seite 6

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