Bovespa

Brasiliens Märkte zeigen sich robust

Brasiliens Finanzmärkte zeigen sich bemerkenswert robust. Sowohl die Landeswährung Real als auch der Aktienmarkt haben seit Jahresbeginn zugelegt.

Brasiliens Märkte zeigen sich robust

Von Andreas Fink, Buenos Aires

In einem herausfordernden internationalen Umfeld zeigen sich Brasiliens Finanzmärkte in diesem Jahr verblüffend robust. Von der globalen Flucht der Investoren in den Dollar zeigt sich die brasilianische Währung unbeeindruckt, der Greenback hat zum Real um mehr als 7% nachgegeben, der Aktienindex Bovespa hat um rund 7% zugelegt.

Auch die Wirtschaft hat sich überraschend positiv entwickelt. Entgegen vielen Befürchtungen zu Jahresanfang wird das Bruttoinlandsprodukt 2022 wahrscheinlich um mehr als 2% wachsen. Darauf deuten die jüngsten, überraschend positiven Konjunkturdaten hin, vor allem jene aus dem Dienstleistungssektor. Nach dem dramatischen Verlauf der Covid-19-Pandemie hat der Service-Bereich deutlich zugelegt und konnte den pandemiebedingten Rückfall gegenüber dem Warensektor aufholen.

Hohe Rohstoffeinnahmen

Zudem deutet vieles darauf hin, dass im laufenden Jahr sowohl auf nationaler als auch auf Bundesstaatsebene Haushaltsüberschüsse erzielt werden können – erstmals seit dem Amtsantritt des Präsidenten Jair Bolsonaro im Januar 2019. Auf der Einnahmenseite profitiert der Fiskus in diesem Jahr von den höheren Rohstoffpreisen, gestiegenen Steuereinnahmen aufgrund des allgemeinen Preisauftriebs, höheren Dividenden von Unternehmen im Staatsbesitz sowie einer stärkeren Aktivität der Gesamtwirtschaft. Auf der Ausgabenseite hilft der Bundesregierung vor allem die im Jahr 2019 ver­abschiedete Sozialversicherungsreform, aber auch niedrigere Gehälter der Staatsbediensteten sowie der hinter die allgemeine Teuerung zurückgefallene gesetzliche Mindestlohn.

Als deutlicher Erfolg kann der Rückgang der Arbeitslosigkeit gelten. Auf dem Höhepunkt der Pandemie 2020 hatten sich 15% der Werktätigen arbeitslos gemeldet. Nun liegt dieser Wert bei 8%. In förmlich rasantem Tempo konnte das Land reguläre Arbeitsplätze schaffen. Nun ist zu erwarten, dass die Zahl der Arbeitssuchenden im Verhältnis zur erwerbstätigen Bevölkerung wieder auf das Niveau vor der Rezession 2015 bis 2016 zurückgehen kann.

Die Teuerungsrate dürfte zu Jahresende deutlich unter den Höchstwerten von 9% liegen, die im zweiten Quartal registriert worden waren. Die meisten Experten haben errechnet, dass der Jahreswert 6,5% betragen könnte. Dieser Rückgang wurde möglich, weil Finanzministerium und Kongress in enger Zusammenarbeit die Steuerbelastung für Treibstoffe und Strom senkten. Auch die Bundesregierung reduzierte den Steueranteil für einige Industrieerzeugnisse auf null.

Lockerungszyklus in Sicht

Ökonomen sind sich einig, dass die Brasilianische Zentralbank (BCB) im letzten Jahr gute Arbeit geleistet hat, um ein Entgleisen des Inflationsprozesses zu verhindern. Die Unabhängigkeit der BCB war hier ausschlaggebend. Im August ist die Teuerung wahrscheinlich den zweiten Monat in Folge gesunken. Darum glauben viele Marktteilnehmer, dass die BCB ihren Straffungszyklus stoppen könnte, der den Selic von 2% im März 2021 auf inzwischen 13,75% getrieben hat. Ronaldo Patah, Chief Investment Officer Brasilien bei der UBS, erwartet, dass die Zentralbank ab Mitte 2023 einen langen Lockerungszyklus einleiten wird, der nominale Anleihen in Bezug auf die erwarteten Renditen sehr attraktiv macht. Am 2. Oktober sind rund 156 Millionen Brasilianer berechtigt, den Präsidenten der Republik, 27 Gouverneure, 27 Senatoren, 513 Abgeordnete des Bundes und 1035 Abgeordnete der Bundesstaaten zu wählen. Im Vorfeld dieses Superwahl­tages waren Spannungen erwartet worden, vor allem, weil Präsident Jair Bolsonaro mehrfach das geltende elektronische Wahlsystem angezweifelt hat. Für den 7. September, Brasiliens Nationalfeiertag, hat der Staatschef seine Anhänger zu einem Protestmarsch vor dem obersten Gerichtshof in Brasilia aufgerufen. Mehrfach hat Bolsonaro angedeutet, eine Niederlage nicht anzuerkennen. Angesichts dieser Ungewissheit ist es erstaunlich, dass die Märkte nicht in Stress gerieten. Die Zuflüsse ausländischer Investoren in den Aktienmarkt legen weiter zu, und der brasilianische Real ist in diesem Jahr die zweitstärkste Währung der Region, hinter dem außergewöhnlich robusten uruguayischen Peso.

Die große Frage ist nun, wie sich die Finanzmärkte und die Wirtschaft im nächsten Jahr nach einer solchen Leistung verhalten werden. Vor den Wahlen sind klare Voraussagen naturgemäß schwierig. Marktbeobachter kalkulieren, dass die hohen Zinsen die Aktivität belasten könnten, was ein geringeres Wachstum der Wirtschaft zur Folge haben könnte. Die meisten Voraussagen für 2023 sprechen von einem sehr moderaten Wachstum von 0,5%. Allerdings könnte es sein, dass der neue Kongress hier einigen Konjunkturmaßnahmen zustimmt, um die Einkommen der Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich zu stärken.

Die Inflation wird wahrscheinlich sinken, aber dürfte wohl nicht das Ziel der BCB von 3,25% erreichen. Sollte die Teuerung tatsächlich spürbar nachlassen, könnte die Zentralbank einen Lockerungszyklus einleiten und damit den Boden für einen Aufschwung im Jahr 2024 bereiten.

Entscheidend dürfte sein, wie der Fiskalrahmen im kommenden Jahr ausgestaltet werden wird. Sowohl Bolsonaro als auch sein wichtigster Herausforderer, der linke Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, haben bereits angekündigt, den seit 2016 in der Verfassung festgeschriebenen Ausgabendeckel modifizieren zu wollen. Diese Regel erlaubt es den Regierenden, die Staatsausgaben lediglich im Rahmen der allgemeinen Teuerungsrate anzuheben. Eine Modifizierung dieser zentralen Regelung wird das Vertrauen der Anleger beeinflussen.

Hoffnung auf Stabilität

Viele Beobachter gehen freilich davon aus, dass die neue Verwaltung wenig Spielraum für Veränderungen bekommen wird. Es ist nämlich damit zu rechnen, dass der Kongress weiterhin von konservativen Kräften dominiert sein wird, selbst wenn der linke Ex-Präsident Lula nochmals gewählt werden sollte. Im Kongress sind mehr als 30 verschiedene Parteien vertreten, viele davon sind regional geprägt und stehen unter dem Einfluss der Agrarlobby und der evangelikalen Freikirchen. Eine Gesetzesänderung im Vorjahr weist den aktuellen Abgeordneten mehr Mittel für den Wahlkampf zu, was deren Chancen auf Wiederwahl steigern dürfte. Im Kongress stehen alle Zeichen auf wirtschaftsfreundliche Stabilität. Vor allem diese Aussicht dürfte die Ruhe der Märkte vor den Wahlen erklären.

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