Londoner Börse

Britischer Markt bietet noch Chancen

Anleger haben britische Aktien seit dem EU-Referendum 2016 weitgehend gemieden. Dabei bieten sie stattliche Dividenden. Wer auf defensive Branchen setzen will, wird an der Londoner Börse fündig.

Britischer Markt bietet noch Chancen

Von Andreas Hippin, London

Wer britische Aktien hält, hat in den vergangenen Jahren höhere Dividenden erhalten als die Besitzer von Aktien aus anderen Weltregionen. Trotz Brexit und Pandemie sind die Ausschüttungen nicht stärker zurückgegangen als anderenorts, wie die Aktienstrategen von Barclays anhand der MSCI-Indizes ermittelt haben (siehe Grafik). Die Unternehmensgewinne entwickeln sich in die richtige Richtung. Die Sparquote der privaten Haushalte ist im Pandemiejahr 2020 stärker gestiegen als in den Vereinigten Staaten, Deutschland oder Italien. Zudem ist die Impfbereitschaft der Bevölkerung im europäischen Vergleich sehr groß, was in den kommenden Monaten dazu führen dürfte, dass sich die wirtschaftliche Aktivität weiter normalisiert. Doch Anleger scheuen weiterhin vor britischen Aktien zurück. Seit dem EU-Referendum hat es keine Zuflüsse mehr gegeben. Ein Grund dafür mag sein, dass britische Indizes keine großen Internet-Firmen wie Facebook oder Google enthalten. Nicht dass es keine bemerkenswerten Technologiefirmen ge­geben hätte, doch wurden sie ins Ausland verkauft. Ein Beispiel: ARM Holdings, auf deren Chiparchitektur das mobile Internet basiert, wurde erst von der japanischen Softbank von der Börse genommen, dann an den US-Grafikchiphersteller Nvidia weiterverkauft.

Defensive Branchen

An der Londoner Börse spielen andere Branchen die Hauptrolle. Die fünf Unternehmen mit dem größten Gewicht im FTSE 100 waren Ende Juni der Produzent des „Oxford-Impfstoffs“, AstraZeneca, der Konsumgüterkonzern Unilever, die Großbank HSBC, der Spirituosenhersteller Diageo und Glaxo­SmithKline, die Nummer 1 der britischen Pharmabranche. Die Gesundheitsbranche brachte mehr auf die Waage als Rohstoff- oder Ölkonzerne. Im MSCI UK kommt Healthcare auf 12%, im Index für die Eurozone auf 8%. Ganz vorne lagen allerdings Finanzdienstleister, wenn man Banken, Versicherer und andere Firmen aus der Branche zusammenfasst – sowohl im „Footsie“ als auch im MSCI UK. Sollte sich der Preisauftrieb als dauerhafter erweisen als derzeit von den Notenbanken erwartet, dürften sie eher von steigenden Zinsen profitieren als ihre Rivalen aus der EU. Stark steigende Immobilienpreise sorgen dafür, dass weniger Geld für mögliche Kreditausfälle zurückgestellt werden muss. Noch halten es die Finanzstabilitätswächter der Bank of England nicht für nötig, aktiv zu werden, um den heißlaufenden Häusermarkt zu bremsen. Die Bankenaufsicht PRA (Prudential Regulation Authority) wird heute aller Voraussicht nach die während der Coronakrise verhängten Be­schränkungen für Ausschüttungen an die Anleger aufheben. Nach Rechnung der Branchenexperten der UBS werden die Institute, die sich auf den Heimatmarkt konzentrieren, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für 2022 im Vergleich zum europäischen Durchschnitt mit einem Abschlag von 14% gehandelt. Alles in allem machen konjunkturempfindliche Werte, die sogenannten Zykliker, lediglich 31% des MSCI UK aus, im Index für die Eurozone aber 54%.

Baugewerbe im Blickpunkt

Geht man davon aus, dass auch der britische Staat große Ausgabenprogramme zur Ankurbelung der Konjunktur an den Start bringen wird, lohnt sich ein Blick auf die Baubranche. Die Analysten von Liberum Capital haben die Costain Group auf ihre Liste der „Analyst Best Ideas“ gesetzt. Das Ingenieurunternehmen, das unter anderem am Bau der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke HS2 beteiligt ist, habe „strukturell Rückenwind“. Es verfüge über ein dickes, qualitativ hochwertiges Auftragsbuch und werde mit Blick auf den in diesem Jahr erwarteten Gewinn zu einem KGV von 7,1 bzw. zum 0,9-fachen Buchwert gehandelt. Auch die Hausbaugesellschaft Taylor Wimpey findet sich auf der Liste. Aber innerhalb der Branche gibt es deutliche Unterschiede. Das auf die Wartung und Erneuerung von Netzinfrastruktur spezialisierte Ingenieurunternehmen Renew Holdings steht bei Liberum Capital auf der „Least Preferred“-Liste. Die Bilanz sei im Vergleich zu vielen Wettbewerbern stärker gehebelt. Allerdings biete es hohe Margen bei niedrigem Kapitaleinsatz. Zu den Minuspunkten gehöre die große Abhängigkeit vom staatlichen Schienennetzbetreiber Network Rail.

Aus Sicht der Barclays-Strategen sind die auf den Heimatmarkt fokussierten mittelgroßen Werte nicht günstiger bewertet als die Standardwerte. Für den FTSE 250 setzen sie ein KGV von 18,8 und ein Kurs-Buch-Verhältnis von 1,9 an. Für den MSCI UK kommen sie dagegen auf 12,9 und 1,8. Für alle, die auf eine nachhaltige Erholung der Reisebranche setzen wollen, gibt es in Großbritannien einerseits die Aktien von Fluggesellschaften wie Easyjet oder der British-Airways-Mutter IAG und andererseits Hotelbetreiber wie die Intercontinental Hotels Group und Whitbread (Premier Inn). Hinzu kommen Reiseveranstalter wie On The Beach oder Saga und Tui. Allerdings haben sich diese Werte schon sehr stark erholt.