Im InterviewVirginie Maisonneuve, AllianzGI

„China bleibt fest auf dem Radarschirm“

Im bisherigen Jahresverlauf lief nicht zuletzt der amerikanische Aktienmarkt gut. Der Blick von Virginie Maisonneuve, Global CIO Equity bei AllianzGI, richtet sich aber auch auf die asiatischen Märkte. Neben Japan kann sie gerade auch dem Sorgenkind China einiges abgewinnen.

„China bleibt fest auf dem Radarschirm“

Im Interview: Virginie Maisonneuve

„China bleibt fest auf dem Radarschirm“

AGI-Aktienstrategin setzt auf Value und Growth – Volatilität an den Aktienmärkten dürfte zunehmen – Neben Japan und Indien bietet auch China Chancen

Im bisherigen Jahresverlauf lief nicht zuletzt der amerikanische Aktienmarkt gut. Der Blick von Virginie Maisonneuve, Global CIO Equity bei AllianzGI, richtet sich aber auch auf die asiatischen Märkte. Neben Japan kann sie gerade auch dem Sorgenkind China einiges abgewinnen.

Frau Maisonneuve, die Aktienmärkte sind stark ins Jahr gestartet, zuletzt waren aber auch einige Turbulenzen zu beobachten. Was erwarten Sie für den Rest des Jahres?

Wir erwarten für den Rest des Jahres sicher eine gewisse Volatilität, nicht zuletzt aufgrund der Unsicherheit im Zusammenhang mit den US-Wahlen im November. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den Kongress als auch auf die Präsidentschaft. Dass die Leitzinsen in den USA sinken werden, ist höchstwahrscheinlich, aber wie sich Wachstum und Inflation genau entwickeln werden, bleibt abzuwarten. Beides wird sich wahrscheinlich abschwächen, aber dies wird in einigen Bereichen auch Chancen für Aktienanleger bieten. So erwarten wir etwa, dass sich Value und Growth in den kommenden Monaten besser entwickeln werden.

Treiber der Märkte waren lange Zeit Tech- und KI-Aktien. Diese mussten in den vergangenen Wochen aber auch die stärksten Rückschläge hinnehmen. Das Ende eines Hypes, oder eine gesunde Korrektur?

Die großen Technologieunternehmen spielen sicherlich eine sehr große Rolle für die Gesamtperformance der Aktienmärkte. Die sogenannten „Magnificent Seven“ machen inzwischen etwa 30% am US-amerikanischen S&P 500-Index aus. Die Auswirkungen davon waren kürzlich zu beobachten, als es zu einer deutlichen Veränderung der Dynamik dieser Aktien kam, was zu einer erheblichen Korrektur führte. Während KI einer der Megatrends bleibt, der die Märkte und das Anlegerverhalten noch einige Zeit prägen wird, haben die jüngsten Ereignisse die Gefahren einer übermäßigen Marktkonzentration ins Rampenlicht gerückt, insbesondere für passive Anleger. Als aktive Manager sehen wir diese Ereignisse als Chance für uns und unsere Kunden. In volatilen Zeiten – die durch eine hohe Konzentration noch verschärft werden – können Renditen dadurch erwirtschaftet werden, dass unkorrelierte Alpha-Quellen auf dem Markt gesucht und gefunden werden.

Ist das jetzt eine Chance für Small und Mid Caps, die lange hinter den Großen zurückblieben?

Das Niedrigzinsumfeld wird sicherlich einen Impuls für kleinere Aktienwerte geben. Und ja, die – unserer Meinung nach – übermäßige Konzentration auf eine Handvoll Technologie-Champions hat dazu geführt, dass kleinere Akteure oft vernachlässigt wurden. Wenn der Markt nach den jüngsten Veränderungen der Dynamik Bilanz zieht, werden Small und Mid Caps hoffentlich die größere Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen.

Viele Aktienindizes haben in diesem Jahr neue Höchststände markiert, obwohl die geopolitischen Umstände kaum schwieriger hätten sein können. Wird der Einfluss solcher Faktoren auf die Aktienmärkte vielleicht überschätzt?

Natürlich befinden wir uns derzeit in einer unsicheren geopolitischen Lage mit mehreren anhaltend heißen Konflikten und weiteren potenziellen Krisenherden. Aus Investorensicht sind es die von einigen möglicherweise vernachlässigten strukturellen Auswirkungen – die Ordnung nach dem Kalten Krieg ist vorbei, wir erleben jetzt eine Art „neue Weltunordnung“ –  die einige Jahre lang tiefgreifende Auswirkungen auf die Marktlandschaft haben wird. Die Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft von Immobilien auf Innovation und Technologieführerschaft – insbesondere in aufstrebenden Bereichen wie Elektrofahrzeuge und erneuerbare Energien – bedeutet beispielsweise auch, dass westliche Unternehmen und Staaten zunehmend mit chinesischen Firmen zusammenarbeiten müssen, um ehrgeizige Dekarbonisierungsziele erreichen zu können.

Wenig Freude hatten in den letzten beiden Jahren viele Aktionäre von Erneuerbare-Energie-Titeln. Sehen Sie hier Licht am Horizont?

Die Dekarbonisierung ist ein Megatrend, der die Wirtschafts- und Marktentwicklung noch einige Zeit prägen wird, unabhängig von kurzfristigen Unebenheiten auf dem Weg dorthin. Aus Anlegersicht ist es entscheidend, aktiv nach potenziellen Profiteuren von diesem Trend Ausschau zu halten, und nicht einem pauschalen Ansatz für Aktien in diesen Sektoren zu folgen. Natürlich wird es angesichts des Hypes um Dekarbonisierung und erneuerbare Energien vereinzelt zu überhöhten Bewertungen und damit zu Verlierern kommen. Unsere Begeisterung für diesen Sektor und diese Trends ist aber ungebrochen.

Welche Branchen halten Sie in den kommenden Monaten für aussichtsreich? Wovon würden Sie lieber die Finger lassen?

Regional bevorzugen wir weiterhin Asien im Allgemeinen und Japan im Speziellen. Der jüngste Marktrücksetzer in Verbindung mit laufenden Strukturreformen, positiven Gewinnrevisionen und steigenden Dividenden bedeutet, dass wir einige attraktiv bewertete japanische Aktien sehen. Allgemein gesprochen sollten niedrigere Zinsen Small Caps und Technologie begünstigen, während britische Aktien derzeit ebenfalls attraktiv bewertet erscheinen. Da wir in den kommenden Monaten mit einer gewissen Volatilität rechnen, suchen wir darüber hinaus nach defensiveren Anlagealternativen. So scheinen uns Aktien, die mit dem Thema Wasserversorgung zu tun haben, eine gute Wahl zu sein, da sie nicht von einem bestimmten politischen Programm abhängig sind.

Weltwachstumslokomotive war bis vor ein bis zwei Jahren China. Danach aber war das Land lange Gift fürs Depot. Wie schätzen Sie das Reich der Mitte ein?

China befindet sich derzeit im Übergang von einer Wirtschaft, die stark vom Immobiliensektor abhängig ist, zu einer Wirtschaft, die von bahnbrechenden Innovationen und Technologieführerschaft angetrieben wird. Auch wenn dieser Übergang sicherlich mit Hindernissen und Rückschlägen verbunden sein wird, wird die globale wirtschaftliche Rolle Chinas in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Für uns als Investor bleibt China fest auf dem Radarschirm und wird auch weiterhin von entscheidender Bedeutung sein.

Wie geht es nach dem rasanten Kursanstieg an den chinesischen Aktienmärkten in den vergangenen Tagen nun weiter?

Mittlerweile scheint sich in China die Lage auf dem Immobilienmarkt stabilisiert zu haben. Dies könnte sich durchaus als Katalysator für Aktien erweisen, von denen viele derzeit sehr attraktiv bewertet sind. Die Geopolitik bleibt natürlich ein Risiko, wobei jede potenzielle Ausweitung bestehender Handelskonflikte die Stimmung dämpfen würde. Für das vierte Quartal 2024 erwarten wir aber ein günstigeres Umfeld für die chinesischen Aktienmärkte.

Und für Indien?

Mit Indien ist in der Tat eine neue asiatische Wirtschaftsmacht auf der Bildfläche erschienen. Wir sind äußerst gespannt auf die Entwicklung des Landes in den kommenden Jahren. Zwar gibt es sicherlich eine Bewertungsprämie – etwas, das einige Aktienanleger verständlicherweise zurückhaltend werden lässt –, doch wird dies wahrscheinlich durch ein starkes Wachstum mehr als ausgeglichen. Die beeindruckenden Fundamentaldaten, insbesondere die günstige Demografie Indiens – eine hohe Erwerbsbevölkerung mit einem Durchschnittsalter von nur 28 Jahren – lassen auf ein robustes Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren hoffen. So wird sich voraussichtlich allein der indische private Konsum bis 2031 schätzungsweise mehr als verdoppeln.

Das Interview führte Tobias Möllers.

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