China-Fantasie treibt europäische Luxusgüteraktien
Von Christopher Kalbhenn,
Frankfurt
Seit Mitte Dezember befinden sich die Aktien europäischer Luxusgüterhersteller im Aufwind. Damit reagieren sie auf die Aufhebung von Corona-Restriktionen in China. Der Wegfall der Quarantänepflicht für in das Land Einreisende verspricht nämlich, dass nach der Wiedereröffnung des öffentlichen Lebens und damit der Geschäfte in dem Land Chinesen nun wieder ins Ausland reisen und dort wie vor der Pandemie in Scharen die Luxusgüterläden stürmen und deren Absatz ankurbeln. Laut Bloomberg Intelligence haben sich mit der internationalen Öffnung Chinas und dem rechtzeitigen Start des inländischen Reiseverkehrs die Chancen verbessert, dass die Luxusgüterhersteller 2023 ihre Erlöse und Ergebnisse im prozentual zweistelligen Bereich steigern können.
Barclays erhöht Ziele
Ähnlich sieht das Barclays. Die britische Großbank hat am Donnerstag ihre Kursziele für drei europäische Luxusaktien angehoben. Sie rechnet vor allem aufgrund der Wiedereröffnung des chinesischen Absatzmarktes für dieses Jahr mit einem starken Umsatzwachstum des Sektors von 9 %. Vor diesem Hintergrund hat Barclays ihr Kursziel für die weiter mit „Overweight“ eingestufte Aktie des Branchenprimus LVMH von 845 auf 880 (derzeitiger Kurs: 748,80) Euro angehoben. Die Kursziele für Kering („Equal Weight“), Hermès („Overweight“) und Richemont („Overweight“) wurden von 555 auf 619 (derzeit 527,60) Euro und von 1525 auf 1574 (1592) Euro erhöht. Die Aktie des Schweizer Uhrenkonzerns Richemont empfiehlt die Bank mit einem unveränderten Kursziel von 155 (133,20) sfr weiterhin zum Übergewichten.
China steht seit Jahren im Fokus von LVMH, Kering, Richemont und Co. Der Umsatz persönlicher Luxusgüter (ohne Luxusautos, Immobilien, Jets, Yachten etc.) zieht in dem Land seit Jahren mit sehr hohen Wachstumsraten an, es ist der einzige große Markt, der in den zurückliegenden Jahren starkes Wachstum gezeigt hat. Der Anteil Chinas am globalen Luxusumsatz hat sich von 2019 bis 2022 von 8,3% auf rund 16% nahezu verdoppelt, wozu allerdings die Pandemie teilweise beigetragen hat, weil die Chinesen mangels der Möglichkeit, ins Ausland zu reisen, wo sie Luxusartikel billiger und in besserer Auswahl erwerben können, verstärkt im Inland eingekauft haben.
Auf dem Weg zur Nummer 1
Unabhängig von den vorübergehenden pandemiebedingten Verwerfungen ist der langfristige Trend jedoch eindeutig: China hat Japan längst als zweitgrößten Luxusgütermarkt überholt und wird Experten zufolge in den kommenden Jahren auch an den Vereinigten Staaten vorbeiziehen. Das Beratungsunternehmen Bain & Company glaubt, dass der Anteil Chinas am globalen Luxusgüterumsatz im Jahr 2030 bei bis zu 40% liegen könnte.
Aus Investorensicht zählt die Aktien der Branche nicht nur zu denjenigen, die am stärksten von der Wiedereröffnung Chinas profitieren. Sie haben noch einen anderen Charme. In einem Umfeld, in dem mit einer wirtschaftlichen Abschwächung gerechnet wird, spricht für sie auch, dass sie auch zu den Sektoren zählt, die am geringsten von zyklischen Schwankungen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen aufgrund der Begehrtheit ihrer Produkte in der Lage sind, ihre Preise anzuheben. Damit können sie die Kosteninflation ausgleichen und ihre hohen Margen aufrechterhalten.
Marktanteilsgewinne
Eindeutiger Favorit der Analysten ist LVMH. Von den 37 von Bloomberg erfassten Häusern raten 32 zum Kauf und 5 zum Halten, Verkaufsempfehlungen gibt es nicht. Das ist die mit großem Abstand beste Empfehlungsbilanz unter den größeren europäischen Luxustiteln. Mit seinem breiten Portfolio an Top-Marken besticht der Konzern seit Jahren mit ununterbrochenem hohen Wachstum. So geht etwa J.P. Morgan („Overweight“, Kursziel 750 Euro) davon aus, dass das Unternehmen für 2022 einen von 64,2 Mrd. auf rund 79 Mrd. Euro vorlegen wird und auch in den kommenden Jahren hohe Wachstumsraten aufweisen wird. Die Erlösprognosen der Bank für 2023 und 2024 lauten auf knapp 86 Mrd. und 92,7 Mrd. Euro. Das Unternehmen fahre die Ernte einer Reihe richtiger Entscheidungen der Vergangenheit ein, so das Institut, das unter anderem einen Fokus auf Innovation verweist. Das Ergebnis seien Marktanteilsgewinne in den meisten Sparten. Barclays sieht in LVMH eine gute defensive Wette. Das Unternehmen habe das am stärksten diversifizierte Portfolio und in jedem Segment führende Marken. Aufgrund der starken Dynamik seiner Kernmarke, insbesondere Louis Vuitton, sei eine anhaltend überdurchschnittliche Entwicklung wahrscheinlich.
Nicht ganz so hohe Zustimmungswerte erhält Kering. Zwar gibt es auch für diesen Titel keine Verkaufsempfehlungen. Allerdings zählt Bloomberg neben 19 Kauf- 13 Halteempfehlungen. Ein Grund für die zurückhaltendere Einschätzung ist die unterdurchschnittliche Entwicklung der für den Konzern entscheidenden Top-Marke Gucci. Zwar hat das Unternehmen große Anstrengungen unternommen, etwa durch die Umgestaltung seiner eigenen Verkauflokalitäten. Irritiert reagierte der Markt im Herbst jedoch auf den überraschenden Weggang des seit 2015 amtierenden Design-Chefs Alessandro Michele. Angesichts der jüngsten Schwäche der Marke könnte eine stärkere Veränderung der Design-Ausrichtung mittelfristig für die Marke positiv sein. Das Fehlen einer starken Design-Ausrichtung zu einer Zeit, in der sich die Dynamik der Marke abschwäche, könnte jedoch in einem zunehmend schwächeren makroökonomischen Umfeld die Neubewertung der Aktie weiter hinauszögern, so J.P. Morgan. Barclays reagierte auf den Weggang jedoch zuversichtlich. Der Weggang von Michele bedeute für Gucci das Ende einer Ära, aber die Nachricht sei positiv, weil die Marke eine Veränderung brauchte.
Hermès hoch bewertet
Auch Hermés weist eine im Vergleich zu LVMH durchwachsenere Empfehlungsbilanz auf. Hier zählt Bloomberg 4 Verkaufsempfehlungen sowie 11 Kauf- und 10 Halteempfehlungen. Das Unternehmen ist sehr stark auf High-End-Produkte fokussiert und die Nummer 1 der Branche, was die Margen betrifft. Auch zeig es ein sehr starkes Wachstum. In den ersten neun Monaten erwirtschaftete es einen Erlös von 8,6 Mrd. Euro, auf Basis konstanter Wechselkurse ein Anstieg um 24 %. Die zurückhaltenderen Analystenurteile sind vor allem auf eine im Branchenvergleich sehr hohe Bewertung zurückzuführen. Auch die Aktien der Schweizer Uhrenkonzerne Richemont und Swatch können LVMH, was die Analystengunst betrifft, nicht das Wasser reichen. Für Richemont zählt Bloomberg bei einem Verkaufsvotum 20 Kauf- und 12 Halteempfehlungen, für Swatch 12 Kauf-, 14 Halte- und 5 Verkaufsempfehlungen.