Das Chaos regiert
Am Energiemarkt regiert das Chaos. Der Preis für Erdgas am niederländischen Knotenpunkt TTF ist zum Wochenstart auf das zuvor unvorstellbare Niveau von 335 Euro pro Megawattstunde geschnellt, die Notierung der führenden Rohölsorte Brent rückte auf fast 140 Dollar pro Barrel vor. Auslöser für die abermaligen Kurssprünge waren Aussagen von US-Außenminister Antony Blinken, gemäß denen westliche Staaten über einen Stopp von Ölimporten aus Russland beraten – ein Schritt, der die Angebotssorgen an den Rohstoffmärkten noch verschärfen würde. Auch wenn sich Bundeskanzler Olaf Scholz gegen ein Embargo ausgesprochen hat und die Notierungen zunächst zurücksetzten, müssen sich Marktteilnehmer auf neuerliche Preisanstiege gefasst machen.
So schrecken Händler allein infolge der Drohung weiterer Sanktionen vor russischen Assets zurück, was bereits eine Verknappung am Markt nach sich zieht. Die Hoffnungen ruhen nun darauf, dass Gespräche zwischen Moskau und Kiew Erfolge bringen. Wenngleich dies angesichts der aggressiven Rhetorik des russischen Präsidenten Wladimir Putin als äußerst optimistisches Szenario erscheint, dürfte jede Wasserstandsmeldung rund um weitere Verhandlungen von extremen Schwankungen der Energiepreise begleitet werden.
Die Aussicht auf eine Wiederaufnahme des Atomabkommens mit dem Iran ist dabei in den Hintergrund getreten. Sollten infolge einer Einigung US-Sanktionen gegen Teheran fallen, dann wäre der Weg für eine Rückkehr iranischen Öls an den Weltmarkt geebnet. Allerdings sitzt Russland auch hier mit am Verhandlungstisch und verlangt Zusagen der USA darüber, dass die wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen nicht die im Abkommen vereinbarte Zusammenarbeit Moskaus mit Teheran beeinträchtigen. Doch selbst wenn trotz solcher Hürden ein Deal zustande kommt, wäre der Iran nicht in der Lage, einen Wegfall des russischen Ölangebots zu kompensieren.
Darüber hinaus bilden die schleppende Produktionsausweitung der Opec plus und der steigende Rohstoffbedarf im Zuge der Erholung von der Coronakrise nicht zu unterschätzende Preisfaktoren. Große Verbrauchsländer können in diesem Umfeld kaum gegensteuern: Freigaben strategischer Ölreserven überbrücken Versorgungsnöte nur kurzfristig und senden das Signal, dass die Angebotssituation noch bedenklicher ist als angenommen. Am Energiemarkt dürfte daher weiterhin das Chaos regieren – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Inflationsentwicklung.