„Das Wachstumsargument ist intakt“
Trotz ihrer in den zurückliegenden Jahren nicht gerade berauschenden Entwicklung ist Sahil Mahtani von Schwellenländeraktien überzeugt. „Das Wachstumsargument ist intakt“, sagte der Stratege des Investment Institute des Assetmanagers Ninety One in einem Pressegespräch in Frankfurt.
In den zurückliegenden Jahren hätten Schwellenländeraktien enttäuscht. Ende 2011 sei für Emerging Markets ein Ertrag von 15% p.a. prognostiziert worden, herausgekommen seien tatsächlich 8%. Für die weltweiten Aktienmärkte seien 10% p.a. erwartet worden und 12% letztlich das Ergebnis gewesen. Grund sei nicht gewesen, dass die Schwellenländer nicht gewachsen seien. In der ersten BRIC-Studie (Brasilien, Russland, Indien, China) von Goldman Sachs aus dem Jahr 2001 wurde prognostiziert, dass das BIP der BRIC-Staaten auf 13 Bill. Dollar im Jahr 2021 steigen würde. 2021 habe das tatsächliche BIP allein Chinas 17 Bill. Dollar betragen. Die BRIC-Studie sei sogar zu pessimistisch gewesen. Mahtani sprach von einer Geschichte von zwei Dekaden. Während 80% der ersten Dekade des Jahrtausends hätten die Emerging Markets die USA outperformt, in der zweiten Dekade seien es nur 20% gewesen. Interessanterweise hätten die Schwellenländeraktienmärkte sogar in der zurückliegenden Dekade in etwa mit Europa mitgehalten.
„Man investiert in Schwellenländer, um Diversifizierung zu erreichen, weil man günstigere Vermögenswerte erhält, aber hauptsächlich, weil man Wachstum erhält“, so Mahtani. Wenn man davon ausgehe, dass Schwellenländer langfristig schneller wachsen als entwickelte Volkswirtschaften, sollte sich das – in Landeswährungen gerechnet – im Erlöswachstum des Unternehmenssektors reflektieren. Mahtani wies allerdings auf das Währungsrisiko hin, das aus Sicht von in Euro und in Dollar rechnenden Investoren von Bedeutung sei. Die Währungsseite sei manchmal ein negativer Ertragsfaktor, manchmal ein positiver, sie sei nicht ausschließlich ein negativer Faktor.
Drei Faktoren haben laut Mahtani in den zurückliegenden Jahren zur Underperformance der Emerging Markets beigetragen. Der erste seien chinesische Nettoemissionen. Die Nettoemissionen, zu denen Mahtani neben Börseneinführungen und Kapitalerhöhungen auch Indexaufnahmen zählt, hätten die Schwellenländer-Performance am stärksten belastet. 2015 sei China nicht in dem Maße im MSCI Emerging Markets vertreten gewesen, wie es das heute sei. Als China in den 2010er Jahren aufgenommen worden sei, hätten die China-ADRs (aktienvertretende Zertifikate) auf einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 20 bis 25 gehandelt. Anschließend sei ihre Bewertung mit der Zeit auf 11 zurückgegangen.
Der zweite Grund sei die sich von den entwickelten Märkten unterscheidende Sektorkomposition. In den 2010er Jahren hätten Energie, der Materials-Sektor und die Finanzbranche eine Gewichtung von 50% in den Emerging Markets gehabt. Dagegen seien diese Sektoren in den USA relativ klein gewesen. Daher sei die Underperformance der Schwellenländer auch aus diesem Grund keine Überraschung. Interessant sei der IT-Aspekt. Da wo Emerging Markets Wachstumssektoren wie IT gehabt hätten, hätten sie sich sehr gut entwickelt. Der Sektor, der weltweit am besten abgeschnitten habe, sei der IT-Sektor der entwickelten Märkte gewesen, der zweitbeste der Emerging-Market-IT-Sektor.
Der dritte Faktor sei die sehr gute, vom Technologie-Boom getragene Entwicklung des US-Aktienmarktes und der starke Dollar gewesen, der alle anderen Assets gedrückt habe. Die USA seien das einzige Land, in dem die Erlöse und die Margen gestiegen seien, Nettoemissionen positiv zum Anlageertrag beigetragen hätten und die Aktienbewertungen gestiegen seien. 2022 seien die Bewertungen zwar gesunken, aber die Margen seien immer noch sehr hoch, die Aktienrückkaufaktivität sei auf einem hohen Niveau, der Dollar auf einem 35-Jahres-Hoch.
Es gebe viele Signale, dass die USA nicht in der gleichen Form performen werden, wie sie das im zurückliegenden Zyklus getan hätten. Emerging Markets entwickelten sich allgemein sehr gut, wenn der Dollar den Zenit erreicht habe, weil die Schuldenbedienungskosten für Schwellenländerunternehmen, Importkosten und Working-Capital-Finanzierung sänken und US-Investoren begännen, Kapital aus den Vereinigten Staaten in Schwellenländer umzuschichten. „Ich glaube, dass sich die US-Wirtschaft innerhalb des nächsten Jahres verlangsamen wird. Dann wird der Dollar den Zenit erreichen und es werden Kapitalzuflüsse in die Emerging Markets beginnen.“
Eine Alternative, vom höheren Wachstum der Emerging Markets zu profitieren, besteht Mahtani zufolge darin, in Unternehmen der entwickelten Volkswirtschaften zu investieren, die stark in den Schwellenländern engagiert sind. Man nenne das den „Starbucks-Effekt“. Das funktioniere gut mit Konsumaktien. Die Staaten seien hier nicht auf Selbstschutz bedacht. Bei Healthcare- und Technologieunternehmen seien Staaten jedoch etwas skeptischer. Sie betrachteten das unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit. Indien und China etwa hätten Ziele für die inländische Produktion von medizinischen Geräten. Es gebe Beschränkungen für Internet-Unternehmen. Man könne nicht Eigentümer eines Internet-Unternehmens sein und es betreiben, wenn man ein ausländischer Investor sei. Es müsse von einem inländischen Investor betrieben werden. In den Healthcare- und Technologiebranchen, die die Wachstumsbereiche der Zukunft seien, müsse man zunehmend als inländisches Unternehmen gelistet sein und betrieben werden.