Björn Weigel

„Der Fall Celsius hat vielen Regula­­toren die Augen geöffnet“

Die Insolvenz der Krypto-Plattform Celsius hat den Fokus auf Lending-Angebote verstärkt. Laut Bankhaus-Scheich-Manager Björn Weigel können Token-Leihgeschäfte für Marketmaker aber sehr nützlich sein.

„Der Fall Celsius hat vielen Regula­­toren die Augen geöffnet“

Alex Wehnert.

Herr Weigel, Blockchain-Anwendungen abseits reiner Long-Strategien auf Kryptowährungen rücken verstärkt in den Fokus. Wie entwickelt sich das Segment nach den Marktverwerfungen der vergangenen Monate?

Wir beobachten, dass sich im Markt verschiedene Cluster bilden. So nutzen Telekommunikationsunternehmen ihre Infrastruktur zunehmend zur Validierung von Daten, die in Blockchains eingespeist werden. Zudem sind sie auch im Staking aktiv, bei dem Nutzer von Blockchains wie Polkadot oder Flow Token hinterlegen und im Gegenzug die Chance erhalten, einen Block zur Kette hinzuzufügen und dafür eine Prämie zu erhalten. Daneben gibt es die Krypto-Natives, die sehr technologieaffin sind und versuchen, ihr Fachwissen in Assetmanagement-Strategien unterzubringen. Und dann sind da die Fintechs, die eine große Nachfrage nach Digital-Asset-Dienstleistungen bedienen.

Mit Fintechs wie dem Investment-App-Anbieter Coinpanion kooperieren auch Sie mit Ihrer Digital-Assets-Plattform Tradias. Spüren Sie dabei Widerstände aus der traditionellen Finanzbranche, der das Bankhaus Scheich als Wertpapierspezialist ja nach wie vor verbunden ist?

Als Business-to-Business-Anbieter (B2B) sind wir erstmal neutral und unterstützen sowohl das Krypto- als auch das traditionelle Wertpapiergeschäft. Grundsätzlich ist die starke Aktivität in der Krypto-Fintech-Szene aber häufig ein gutes Argument, wenn wir mit Marktteilnehmern aus dem traditionellen Bereich über Digital Assets sprechen. Denn diese haben ja schon Geschäftsanteile im Aktienhandel verloren – sie müssen sich also fragen, ob sie die gleichen Fehler in einer neuen Assetklasse wiederholen wollen. Wir stellen für diese Anbieter die Brücke in die Fintech- und Digital-Assets-Welt dar, bringen also digitale Vermögenswerte zu traditionellen Banken, aber auch traditionelle Produkte zu Fintechs.

Werden Kooperationen mit Retail-Anbietern wie eben Coinpanion für Sie dabei wichtiger?

B2B legen wir als Business-to-Business-to-Customer aus, wir haben also den Endkunden immer im Blick. Das rührt aus unserem traditionellen Geschäft her, in dem wir als Marketmaker auftreten. Dabei stellen wir Preise, zu denen dann Finanzkommissionäre, Broker oder Banken zeichnen, hinter denen eine große Zahl an Retail-Kunden steht. Ebenso setzen wir auch im Kryptogeschäft auf Multiplikatoreffekte. Zugleich werden wir im Handel mit Zahlungstoken oder Kryptowährungen auch verstärkt institutionelle Investoren sehen. Wir bieten unsere traditionellen Marketmaker-Services also in einer neuen Assetklasse an.

Sie sind auch im Borrowing-Lending, also dem Leihgeschäft mit Kryptowährungen aktiv – einer Dienstleistung, die durch die Insolvenz des Anbieters Celsius Network besonders ins Blickfeld gerückt ist. Welche Risiken bestehen dabei für Sie?

Unser Marktrisiko ist im Verhältnis zu unserem Umsatz und unserer Bilanzsumme nicht signifikant. Im Gegenteil, wir nutzen Borrowing-Lending-Strategien als Marketmaker, um Risiken zu reduzieren und uns zusätzliche Liquidität zu beschaffen. Unser Bedarf, Zahlungstoken zu leihen, entsteht ja durch infrastrukturbedingte Unterschiede zwischen dem Kryptohandel und dem klassischen Wertpapiergeschäft, wo die Order oft erst Tage nach dem Börsengeschäft abgewickelt wird. Das ist auf Krypto-Spot-Plattformen wie Coinbase, Kraken oder Binance anders: Dort braucht es erst die Assets, bevor sich ein Trade ausführen lässt. Das zeitliche Auseinanderfallen von Handel und Abwicklung ist in der Regel minimal.

Was bedeutet das konkret für Tradias?

Bei Kauforders stellt das zunächst mal kein Problem dar, da wir ja Cash zur Verfügung haben, mit dem wir Quotes stellen können. Aber um Verkaufsofferten zu stellen, brauchen wir beispielsweise erst einmal Bit­coin-Einheiten. Diese zu halten birgt für uns ein gewisses Risiko, des­wegen greifen wir zur Leihe. Dann verkaufen wir Bitcoin an den Markt, die wir in unserer Funktion als Marketmaker häufig sofort wieder zurückkaufen. Steigt der Wert des Assets daraufhin, ist das gut für den Verleiher. Fällt der Wert, können wir den Anlagegegenstand zurückgeben, ohne dass wir Verluste realisieren.

Der US-Börsenaufsicht SEC sind Lending-Plattformen indes ein Dorn im Auge. Welche Signalwirkung geht von den Warnungen der Behörde aus?

Die amerikanischen und die europäischen Regulierungen für Finanzdienstleistungen und Fonds sind so unterschiedlich, dass Äußerungen der SEC keinen direkten Einfluss auf unsere Beurteilung des hiesigen Marktes haben. Wir nehmen die Aktivitäten der US-Börsenaufsicht aber natürlich zur Kenntnis, weil sie mit adverser Regulierung gegen einzelne Anbieter wie Ripple oder Binance, deren Token sie als unrechtmäßig emittierte Wertpapiere einstuft, die Stimmung im Gesamtmarkt trübt. Das soll nicht heißen, dass der Regulator sich Kryptodienstleistungen nicht genau anschauen soll.

Die Celsius-Insolvenz zeigt ja, dass die SEC mit ihren Warnungen vor den Risiken auf Lending-Plattformen nicht nur heiße Luft verbreitet.

Es gibt natürlich Lending-Anbieter, die im Grunde genommen Schattenbanken sind, also Kreditgeschäft betreiben, ohne aber die für den Bankensektor geltenden strengen Risikogrenzen einhalten zu müssen. Für Provider von Virtual-Asset-Services geht es allerdings hauptsächlich darum, die internationalen Standards zur Geldwäschebekämpfung einzuhalten. Das ist sicher wichtig – aber wenn ein Anbieter mehrere Milliarden Dollar an Kundeneinlagen hält, ist eben auch ein intensives Risikomanagement nötig.

Welche Lehren sind aus den jüngsten Verwerfungen um bestimmte Lending-Plattformen zu ziehen?

Ich glaube, dass der Fall Celsius vielen Regulatoren diesbezüglich die Augen geöffnet hat. Bislang ist das Krypto-Lending nämlich selbst in vielen Ländern nicht reguliert, da sich die Lizenzpflicht für das Kreditgeschäft ausschließlich auf Fiatwährungen bezieht. Anknüpfungspunkte für ein Lizenzerfordernis ergeben sich aber in Deutschland insbesondere dann, wenn gleichzeitig der Tatbestand der Verwahrung oder Verwaltung von Kryptowährungen erfüllt ist, was bestimmte Risikomanagementprozesse nach sich zieht. Deutschland ist insoweit sowohl in der Europäischen Union als auch im globalen Kontext Vorreiter.

Welche Einflussfaktoren sind denn überhaupt entscheidend dafür, wie sich Erträge aus dem Lending-Geschäft entwickeln?

Der Zins auf die verliehenen Krypto-Einheiten setzt sich aus dem Asset- und dem Ausfallrisiko des Kreditnehmers zusammen. Wer Zahlungstoken verleiht, wird immer darauf achten, wer die Werte entgegennimmt. Aus der Differenz zwischen dem konkreten Ausfallrisiko des Kreditnehmers und einem nahezu risikolosen Asset ergibt sich dann der Credit Spread. Zudem ist wichtig, wie leicht das jeweilige Asset überhaupt verfügbar ist und worin der Verwendungszweck besteht. So haben alle Marketmaker so gut wie immer Bedarf an Bitcoin. Das führt dann zu hohen Leihsätzen – diese können aber auch steigen, wenn besonders viele Marktteilnehmer an den Wertverfall eines Assets glauben und das Short Interest anzieht.

Ab wann sind im Lending-Bereich denn kleinere Kryptowährungen mit einem höheren Risiko interessant?

Da setzen wir uns keine konkreten Zinsgrenzen, sondern prüfen, wie relevant der jeweilige Token ist. Dafür gibt es verschiedene Kriterien wie die Marktkapitalisierung oder die Frage, an welchen Börsen die Token verfügbar sind und ob es sich dabei um regulierte Handelsplätze handelt. Die größte Rolle spielt für uns aber die Nachfrage von unseren Kunden aus dem Handel. Ist diese vorhanden, dann sehen wir, ob es in der jeweiligen Kryptowährung genügend Liquidität und genügend Partner gibt. Wenn wir das Trading eines digitalen Assets anbieten, dann ist Borrowing-Lending für uns eine Zusatzfunktion.

Inwiefern verändert sich die Struktur der Nachfrage durch die zunehmende institutionelle Adoption von Kryptowährungen?

Neben Fintechs kommen eben auch viele traditionelle Häuser zu uns, weil wir reguliert und unsere Prozesse transparent sind. Diese Kunden wollen Krypto-Assets im Portfolio al­lokieren, dabei aber möglichst wenig Fehler machen. Deswegen konzen­trieren sie sich erst einmal auf grundlegende Aktivitäten, dann kommen auch Überlegungen zu Borrowing-Lending hinzu. Zunächst müssen sie aber Eintrittsbarrieren überwinden und überhaupt den Handel mit digitalen Assets aufsetzen.

Nehmen die neu in den Markt vorstoßenden Teilnehmer dabei überhaupt die Unterschiede zwischen verschiedenen Kryptowährungen wahr?

Teilweise ja, wobei wir beobachten, dass traditionelle Häuser gar nicht erst 50 verschiedene Coins handeln wollen. Sie legen den Fokus auf eine kleine Gruppe der ältesten, am stärksten etablierten und am weitesten entwickelten Zahlungstoken und versuchen, mit diesen Erfahrungen zu sammeln.

Welche Rolle spielen Stablecoins, die an die Entwicklung eines Basiswertes wie dem Dollar gekoppelt sind, für diese Marktteilnehmer?

Für viele institutionelle Investoren in Europa sind Stablecoins heute aus dem einfachen Grund nicht attraktiv, dass der Handel mit ihnen ungeklärte steuerliche und buchhalterische Probleme birgt. Wer Bitcoin gegen einen Stablecoin wie Tether handelt, der kann auf keinen Euro-Referenzkurs zurückgreifen. Wie berechnet er dann die abzuführende Steuer und verbucht die Erträge, ohne in Euro Gewinn gemacht zu haben? Das Stable­coin-Thema ist also eher etwas für Krypto-Natives und Finanzdienstleister, die steuerlich nicht in Deutschland ansässig sind.

Wie sind die staatlichen Rahmenbedingungen für eine Adoption von Krypto-Assets hierzulande allgemein zu bewerten?

Mit der Ende Juni erzielten Einigung auf die EU-Verordnung „Markets in Crypto Assets“ (Mica) müssen sich Dienstleister im Segment künftig einer strengen Regulierung unterwerfen, die insbesondere auch Marktmissbrauch und Manipulationen verhindern soll. Bis zur tatsächlichen Umsetzung von Mica dürfte es aufgrund der komplexen technischen Anforderungen aber noch Jahre dauern – und daran zeigt sich ein Hauptproblem der Kryptoregulierung. Denn die Innovationszyklen im Digital-Assets-Segment laufen im Vergleich zu den politischen Prozessen unheimlich schnell ab. Ob eine Regulierung noch aktuell ist, wenn sie in Kraft tritt, ist also zweifelhaft. Und komplizierte bürokratische Vorgänge bergen für den Standort immer auch ein Risiko.

Inwiefern?

Die Dienstleister siedeln sich dann eben eher in Domizilen an, in denen sie es einfacher haben. Dorthin folgen dann auch die Kunden und ihre Gelder. Wer auf Kryptoplattformen investieren will, die rechtlich auf den Bahamas ansässig sind, wird sich davon auch durch eine Blockierung von IP-Adressen nicht abhalten lassen. Schärfere Regeln führen also nicht zwangsläufig zu mehr Kontrolle. Daraus erwachsen dem Staat ja auch reale Nachteile, wie das Beispiel der Regulierung von Publikumsfonds innerhalb der EU zeigt. Da ist Deutschland mit mehr Vorgaben vorgeprescht – mit der Folge, dass sich viele Anbieter in Luxemburg angesiedelt haben und der hiesige Fondsstandort massiv geschwächt wurde.

Welche Entwicklungen machen denn Hoffnung?

Der Bias beim Regulator hat sich ja schon stark gewandelt. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir noch über Verbote von Kryptomechanismen und -dienstleistungen diskutiert. Inzwischen ist den Beteiligten jedoch klar geworden, dass das Thema Distributed-Ledger-Technologien nicht einfach so wieder verschwindet. Dazu gehören ja auch Geschäftsmodelle, die mit Finanzinstrumenten gar nichts zu tun haben, zum Beispiel in der Lieferkettenoptimierung und -Nachverfolgung auf einer Blockchain. Das Streben nach einer europäischen Harmonisierung der Regulierung ist ebenfalls ein positives Signal.

Ein Signal – mehr nicht?

Es bleibt auf jeden Fall viel zu tun. Die Harmonisierung innerhalb der EU ist so wichtig, weil ein regulatorischer Flickenteppich viel bürokratischen Aufwand und Unsicherheit verursacht. Gerade große Finanzdienstleister und Großbanken stellen ja nicht für jedes einzelne Land einen Lizenzantrag und rollen dort spezifische Systeme aus. Das nutzen jetzt Fintechs und andere kleinere Anbieter aus – die großen müssen aber eben auch mit im Boot sitzen, damit Krypto in Europa eine Erfolgsgeschichte wird.

Das Interview führte

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.