Pierre André Schneider

„Der M&A-Trend im Windsektor ist noch nicht vorbei“

Laut Pierre André Schneider, Partner beim M&A-Berater Proventis, dürfte der Konsolidierungstrend im Windsektor noch an Fahrt gewinnen. Gerade die Zulieferer stünden vor einschneidenden Veränderungen.

„Der M&A-Trend im Windsektor ist noch nicht vorbei“

Alex Wehnert

Herr Schneider, die Windenergiebranche hat sich in den vergangenen Jahren stark konsolidiert. Wird sich dieser Trend auch weiterhin fortsetzen?

Zuletzt ist es beim Thema Fusionen und Übernahmen (M&A) etwas ruhiger geworden, der Trend im Windsektor ist aber noch lange nicht vorbei. Generell steht die Branche ja vor allem dann im Fokus, wenn es einen richtigen „Big Bang“ bei den Herstellern von Windkraftanlagen gibt – zum Beispiel damals beim Siemens-Gamesa-Zusammenschluss. Die Windturbinen-Zulieferer laufen dagegen bisher unter dem Radar, gerade unter diesen wird es aber noch eine starke Aggregation geben.

Warum erwarten Sie gerade in diesem Segment verstärkt Zusammenschlüsse?

Vor allem, weil Veränderungen bei den Zulieferern notwendig sein werden, damit die Anlagenhersteller die sogenannte Levelized Cost of Energy (LCOE) senken können. Diese zeigt an, was die produzierte Kilowattstunde letztendlich kosten wird. In den Zähler fließen die Investitionen in die Anlage und anteilig für das gesamte Windparkprojekt sowie die Kosten für den Betrieb, die Wartung und die Reparatur über die gesamte Laufzeit ein, im Nenner steht, wie viele Kilowattstunden Strom eine Anlage im gleichen Zeitraum produzieren wird. Je kleiner die Zahl, desto besser.

Die LCOE ist also von Projekt zu Projekt unterschiedlich?

Genau, die Entwickler nutzen dann jeweils Simulationsmodelle, um die letztendlichen Kosten zu berechnen. Wer mit seiner Anlage den niedrigeren Quotienten erzielt, erhält in der Regel den Zuschlag. Der Wettbewerb im Segment ist trotz des starken Marktwachstums – im vergangenen Jahr belief sich der globale Zubau auf außergewöhnlich hohe 90 Gigawatt – hart, da es immer noch Überkapazitäten in der Produktion gibt. Hinzu kommt der äußere Wettbewerb mit Solarstrom-Lösungen. Um den entsprechenden Preiskampf durchzuhalten, müssen die Turbinenhersteller ihre Lieferketten optimieren – und die Zulieferer dürften ihnen dabei helfen.

Inwiefern?

Indem sie sich vom Teile- zum Systemlieferanten entwickeln. So eine Windturbine besteht ja aus mehreren tausend Teilen, von denen einige Zulieferer nur wenige herstellen. Für die Turbinenhersteller ist das sehr aufwendig und ineffizient, daher wird sich vermutlich wie im Automobilbereich die Entwicklung verstärken, dass der strategische Partner ganze Komponentensysteme und Komplettlösungen zuliefert. Hella liefert ja beispielsweise nicht nur einzelne LEDs, sondern ganze Beleuchtungssysteme. Damit die Zulieferer im Windsektor sich ähnlich entwickeln, sind Investitionen in Forschung und Entwicklung, ein frühzeitiger Einstieg in den Produktentwicklungsprozess der Turbinenhersteller und gegebenenfalls auch M&A nötig.

Für die Windturbinenhersteller birgt es aber doch auch Vorteile, nicht von einer kleinen Gruppe an Lieferanten abhängig zu sein.

Das stimmt, doch so lange die Konsolidierung unter den Zulieferern nicht zu weit geht, kommt sie den Anlagenbauern durchaus entgegen. Natürlich ist den Zulieferern aber daran gelegen, ihren Share of Wallet, also den Anteil am Einkaufsvolumen des Kunden, zu maximieren. Dies werden sie über eine höhere Wertigkeit ihrer Artikel zu erreichen suchen, allerdings werden sie auch durch Zusammenschlüsse ihre Positionierung stärken müssen. Dabei ist es für sie zugleich wichtig, nicht auf den falschen Turbinenhersteller zu setzen.

Ist das angesichts der bereits starken Konsolidierung unter den Windanlagenbauern denn überhaupt noch eine reale Gefahr?

Auf jeden Fall, trotz des M&A-Trends der vergangenen Jahre ist das Windturbinen-Segment noch fragmentiert. Die größten fünf Erstausrüster kommen auf die Hälfte der Marktanteile, die Top 10 erreichen zusammen 80%. In den kommenden Jahren wird sich das ändern, sodass sich der gemeinsame Anteil der größten vier bis sechs Hersteller auf 70% belaufen wird. Für die Zulieferer besteht also schon das Risiko, aufs falsche Pferd zu setzen, wie ja auch das Beispiel des letztendlich 2019 insolvent gegangenen Windenergiekonzerns Senvion zeigt.

Erwarten Sie denn auch, dass einige Windkraftanlagenhersteller Zulieferer aufkaufen und vertikal integrieren werden?

Eigentlich gehe ich eher davon aus, dass die Windturbinenhersteller sich noch mehr auf die Produktentwicklung fokussieren werden und die Innovationsgeschwindigkeit weiter beschleunigen, aber nur noch wenige strategisch wichtigen Komponenten selbst herstellen. Übernahmen wie die des Rotorblattherstellers LM Wind durch GE werden da eher die Ausnahme bleiben. Das war damals ein strategischer Schritt, um einerseits den sehr hohen Bedarf an Blättern abdecken zu können, anderseits, um das Entwicklungs-Know-how für die Kernkomponente Rotorblatt zu akquirieren. Blätter sind eine der strategischen Komponenten, die den LCOE-Unterschied machen.

Was bedeuten die Trends, die Sie ansprechen, konkret für den Produktionsablauf der Zulieferer?

Sie werden ihre heimische Produktion so weit wie möglich automatisieren oder die Fertigung in Länder mit günstigeren Bedingungen verlagern. Zudem dürfte es eine ähnliche Entwicklung wie im Automobilsektor geben, in dem Zulieferer Fahrzeugherstellern in andere Märkte gefolgt sind und ihre Fertigung dort um deren Werke herum angesiedelt haben. Schließlich werden die Rotorblätter immer länger und die Windanlagentürme immer höher, da eine größere überstrichene Fläche eine höhere Energieproduktion nach sich zieht – dieser Anstieg ist für eine Senkung der LCOE ganz entscheidend. Dadurch werden die Komponenten aber eben auch schwierig zu transportieren, weshalb die Produktion im Zielmarkt günstiger wird.

Wie können Investoren denn an all diesen Entwicklungen partizipieren?

Viele Einzelwerte aus dem Sektor sind hochvolatil. Es gibt aber Indizes, die das Segment abbilden, darunter den Renixx. Natürlich sind Anlagen in Produkte, die diesen nachbilden, wie bei anderen Clean-Energy-Indizes nicht rein auf Windkraft fokussiert, es sind auch weitere Felder wie Solarenergie und Umwelttechnik vertreten. Eine hohe Diversifikation ist aber grundsätzlich positiv. Ohnehin stellt der Windkraftsektor für viele Zulieferer eine wachsende Sparte und inzwischen ein bedeutendes Standbein dar, ist aber klassischerweise nicht deren Hauptgeschäft. Ein gutes Beispiel ist der Antriebsspezialist ZF, der seine Position als Getriebelieferant durch Zukäufe von Hansen Transmissions und Bosch Rexroth deutlich gestärkt hat.

Wie beurteilen Sie die Gefahr politischer Machtwechsel und daraus resultierenden möglichen Umverteilungen von Fördermitteln für die Branche der erneuerbaren Energien?

Das ist ein reales Risiko, insbesondere in den USA. Dort schwanken die neu installierten Windkraft-Kapazitäten teilweise zwischen drei und 15 Gigawatt pro Jahr – je nachdem, ob ein Konservativer wie Donald Trump oder ein in Bezug auf Klimaschutz progressiver Präsident wie Joe Biden im Amt ist. Doch auch in Deutschland gibt es immer wieder Aufs und Abs. Der Markt hierzulande hatte lange Zeit ein Volumen von zwei bis drei Gigawatt, durch die Energiewende und hohe Fördermittel schoss der Wert für einige Jahre auf fünf Gigawatt nach oben – nur um nach Einführung der Auktionen auf ein Gigawatt zurückzufallen.

Warum dieser Rückgang?

Zunächst, weil mit den Auktionen die Preise und damit auch die Renditen für die Parks deutlich geringer sind. Aber dann auch, weil die deutschen Behörden mit den Genehmigungen für neue Projekte nicht nachgekommen sind und sich auch unter den Entwicklern Skepsis an den Startkonditionen breitgemacht hat. Nun steigt das Ausschreibungsvolumen aber wieder, es werden mehr Projekte genehmigt und der Markt dürfte wieder wachsen. Gerade aufgrund dieser Schwankungen ist es aber auch aus Investorensicht so entscheidend, Windkraft und erneuerbare Energien langfristig zu betrachten.

Im Kampf um Marktanteile treffen sich die Windkraftanbieter mitunter vor Gericht. Welche Risiken bestehen für die Branche durch Patentstreitigkeiten?

Es besteht immer eine gewisse Planungsunsicherheit, weil Unternehmen im Zuge solcher Streitigkeiten gezwungen werden können, für die Verwendung gewisser Technologien Lizenzen an die Konkurrenz zu zahlen. Europäische Unternehmen sind dabei gegenüber ihren US-Wettbewerbern eventuell im Nachteil, weil die Vereinigten Staaten einheimische Firmen offenbar stärker protektieren als die EU.

Langfristig dürften erneuerbare Energien auch in China ein Wachstumsthema darstellen. Werden ausländische Anbieter überhaupt in der Lage sein, davon zu profi­tieren?

Im Onshore-Bereich nach wie vor eher nicht, Offshore hingegen haben auch Vestas und Siemens Gamesa chinesische Aufträge erhalten. Auch in der Volksrepublik schwankt das Marktvolumen aber stark. Die Einspeisevergütung für Neuanlagen ist dort gerade ausgelaufen, deshalb haben viele Entwickler ihre Projekte ins alte Jahr vorgezogen – bereits installierte, aber noch nicht mit dem Netz verbundene Parks wurden eilig angeschlossen. China hatte 2020 in der Folge einen Anteil von 50% an den weltweiten Neuinstallationen. Im laufenden Jahr wird dieser wohl auf rund ein Drittel fallen, langfristig aber wieder über 40% steigen. Da das Volumen der globalen Neuinstallationen im Jahr 2025 auf über 110 Gigawatt steigen soll und Offshore dabei einen zunehmend größeren Anteil einnimmt, bestehen in China also durchaus große Chancen.

Das Interview führte .