„Die Handlungsbereitschaft der EZB ist gestiegen“
Von Kai Johannsen, Frankfurt
Die Akteure an den internationalen Finanzmärkten gehen quasi unisono davon aus, dass die US-Notenbank Fed im kommenden Monat erstmals seit dem Jahr 2019 wieder den Leitzins für die Versorgung der Banken mit Zentralbankgeld anheben wird. Der Marktkonsens liegt bei einer Erhöhung um wenigstens 25 Basispunkte (BP). Der Grund für die Anhebung wird in der deutlich beschleunigten Teuerung in den USA gesehen. Die Inflationsrate in der größten Volkswirtschaft der Welt liegt auf dem höchsten Stand seit den achtziger Jahren. Einige Volkswirte gehen sogar von einer stärkeren Anhebung der Fed Funds Rate um bis zu 50 BP aus. Auch Michael Hünseler, der den Fixed-Income-Bereich bei Meag – Munich Ergo Assetmanagement GmbH, dem Vermögensverwalter der Munich Re und der Ergo Group – leitet, erwartet, dass die US-Währungshüter nun zur Tat schreiten werden. „Ja, die Märkte werden seit September vorigen Jahres Schritt für Schritt darauf vorbereitet, dass die Zeit der ultralockeren Geldpolitik in den USA nun vorbei ist. Im März sollte nun die erste Anhebung seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie erfolgen, und wir erwarten auch, dass weitere Schritte in den kommenden Monaten erfolgen werden“, sagt Hünseler im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Für Hünseler ist sogar eine Akzeleration vorstellbar. Das sei jedoch von der weiteren Entwicklung, insbesondere auf der Inflationsseite abhängig zu machen. Es sei möglich, dass die Fed zunächst deutlicher erhöhe und dann abwarte, welche Wirkung die Schritte in der Folgezeit auf die Teuerungsentwicklung und die Wirtschaftstätigkeit zeigen.
Hünseler geht bei der Fed von wenigstens vier oder sogar fünf Zinsschritten aus. Dies sei sein Basisszenario, das sich zumindest bis 2023 fortsetzen sollte. „Wir sollten beim US-Leitzins in diesem Jahr auf jeden Fall auf die 1-Prozent-Marke kommen. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass wir darüber hinausgehen und schließlich bei 1,25 % ankommen werden“, führt der Fixed-Income-Experte weiter aus. Dann sollte aber das Ende der Fahnenstange vorerst erreicht sein.
Wie viele andere Experten im Kapitalmarkt sieht auch Hünseler in der Teuerungsentwicklung den Anlass für die Währungshüter, jetzt zu handeln, und zwar dies- und jenseits des Atlantiks. „Wir erwarten, dass die Preisniveaus auf höheren Niveaus als früher bleiben werden, aber wir sehen eben auch, dass bestimmte Treiber der Inflation im Laufe der Zeit wieder wegfallen werden“, sagt er. Hünseler erwartet, dass es auch zu einer Lohn-Preis-Spirale kommen wird. Die Angebotsunterbrechungen, d.h. die Probleme in den Lieferketten, würden in vielen Ländern noch eine ganze Weile erhalten bleiben und damit auch für weiteren Teuerungsdruck sorgen. Auch die Immobilienpreise werden seiner Ansicht nach auf einem hohen Niveau in den kommenden Monaten stabil bleiben. „Wir bekommen eine strukturell hohe Inflationsrate in den USA, aber auch in der Eurozone, die deutlich über dem Target-Korridor der Zentralbanken Fed und EZB liegen wird“, führt er weiter aus.
EZB öffnet die Tür
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist Hünselers Ansicht nach in den vergangenen Monaten eher etwas zurückhaltend in Sachen Inflationsbekämpfung gewesen. Nach der jüngsten Sitzung Anfang Februar habe sich das nun aber geändert. Auch bei der EZB habe sich die Tür nun etwas weiter für ein früheres Vorgehen gegen die hohe Inflationsrate geöffnet. „Die Spannungen innerhalb der EZB mussten wohl erst etwas zunehmen, damit mehr Handlungsdruck auf diese Weise entsteht“, so Hünseler. Spätestens im September dieses Jahres sei mit einer ersten Zinsanhebung zu rechen – bei einem weiteren Anstieg der Preissteigerungsrate aber auch schon früher. Viel hänge davon ab, wie die Projektionen der EZB in Sachen Inflation und Wachstum im März ausfallen würden. „Aber die Handlungsbereitschaft, die Frau Lagarde durchblicken ließ, ist nach der jüngsten Sitzung zweifelsohne gestiegen“, sagt Hünseler. Aber damit lasse die EZB trotzdem noch länger auf sich warten als die Fed und andere Notenbanken.
Die Größenordnung des ersten Zinsschritts der EZB gibt er mit 25 Basispunkten an. „Danach besteht zwar noch Spielraum für eine weitere Anhebung, allerdings bleibt abzuwarten, wie sich die Situation entwickelt. Die Eurozone ist da schon ein wenig anders als die USA“, sagt er. Die Zentralbanken insgesamt befänden sich schließlich in dem Dilemma, dass sie zum einen Gefahr laufen würden, hinter die Kurve zurückzufallen. „Zum anderen müssen sie darauf achten, dass sie auch nicht zu früh oder zu stark agieren und so dann die aufkommende Wirtschaftstätigkeit nach der Krise wieder abwürgen.“ Für die USA geht er davon aus, dass die Wirtschaft derzeit bereits genügend Stabilität aufweist, um eine Phase von moderaten Zinserhöhungen zu verkraften. In der Eurozone sei diese Stabilität dagegen nicht in allen Mitgliedsstaaten gegeben, weshalb die EZB hier auch vorsichtiger bzw. zurückhaltender agieren müsse. Die EZB könne ihre Geldpolitik nicht nur nach der stärksten Volkswirtschaft des gemeinsamen Währungsraumes ausrichten. Und auch dort sei die Lage längst noch nicht so eindeutig zu beurteilen wie beispielsweise in den USA.
Das Quantitative Easing (QE) in der Eurozone soll in den kommenden Monaten seinem Ende entgegensehen. Hünseler geht davon aus, dass das Pandemie-Notfallkaufprogramm PEPP für Anleihen wie geplant auslaufen wird, dafür aber dann das Asset Purchase Program (APP) in der Folgezeit temporär aufgestockt wird. „Wir gehen davon aus, dass es bei den Bondkäufen der EZB zu einem sukzessiven Abschmelzen in den nächsten Monaten kommen wird. Aber noch erwarten wir keine aktive Bilanzreduktion bei der EZB, bei dem Anleihebestände veräußert werden“, führt er weiter aus.
In diesem Marktumfeld der Notenbankpolitik erwartet Hünseler an den Staatsanleihemärkten steigende Bondrenditen. „Die zehnjährige Bundrendite ist ja nun durchaus schon ein Stück weit gestiegen, infolge der Inflationsbefürchtungen und der daraus resultierenden Leitzinserwartungen an den Märkten. Ich glaube, der Markt hat aber noch ein gewisses Aufwärtspotenzial“, meint Hünseler. Bei der zehnjährigen Bundrendite kann er sich vorstellen, dass die Marke von 50 BP im Jahr 2023 erreicht wird. Der fünfjährige Laufzeitenbereich der Bundrenditestrukturkurve habe noch guten Spielraum nach oben, so dass es zu einer spürbaren Verflachung der Kurve kommen könne. Auch bei der zehnjährigen US-Treasury-Rendite gebe es weiterhin Raum nach oben. Derzeit bewegt sich der Satz um die Marke von 2%. „Wir können uns gut vorstellen, dass wir hier bei Ausbleiben exogener Schocks in Regionen von 2,50% im kommenden Jahr vorstoßen werden. Das sollte nicht überraschen“, so seine Einschätzung.
Kein Schreckgespenst
Das billige Zentralbankgeld ist nun schon seit vielen Jahren ein Hauptantriebsfaktor für die Aktienmärkte, die sich über weite Strecken somit in Rekordlaune befanden. An den Märkten geht deshalb auch immer wieder die Sorge um, dass mit dem nahenden Ende der ultralockeren Geldpolitik der großen Notenbanken auch die gute Stimmung an den Aktienmärkten abreißen könnte. „Aber es ist durchaus zu berücksichtigen, dass die Ertragslage der Unternehmen derzeit als recht solide einzustufen ist. Es ist kein Horrorszenario für die Firmen, wenn die Notenbanken nun beginnen, die Zinsen doch recht moderat zu erhöhen. Denn wenn die Wirtschaftsverfassung recht stark ist und die Konjunktur die Leitzinssteigerungen verkraften kann, sollten sich höhere Zinsen bzw. auch Refinanzierungskosten an den Märkten nicht dramatisch für die Aktienkurse auswirken“, so Hünseler. Aber auch die Volatilität der Bund- und Treasury-Renditen sollte man durchaus im Blick behalten. „Wenn diese Volatilität nicht allzu heftig ausfällt, resultiert daraus auch kein Schreckgespenst für die Aktienmärkte.“