Tilmann Galler

„Die Rentenmärkte sind nun attraktiv“

Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege von J.P. Morgan Asset Management, rechnet mit einem aus makroökonomischer Sicht schwierigen Jahr 2023, ist aber für die Finanzmärkte zuversichtlich.

„Die Rentenmärkte sind nun attraktiv“

Christopher Kalbhenn.

Herr Galler, 2022 war ein sehr schwieriges Jahr für Anleger mit Verlusten sowohl an den Aktien- als auch an den Anleihemärkten. Wird das nächste Jahr besser?

Unsere Kernthese für 2023 ist, dass es zwar bezüglich der makroökonomischen Situation ein schwieriges Jahr wird, aber an den Finanzmärkten etwas freundlicher aussieht. Ein Grund ist die historische Anpassung des Zinsmarktes, durch den die Anleiherenditen ein lange nicht mehr gesehenes Niveau erreicht haben. Die Renditen sind stark gestiegen und parallel haben die Aktienmärkte korrigiert, wodurch die Bewertungen gesunken sind. Damit ist ein Teil der wirtschaftlichen Abschwächung am Aktienmarkt schon eskomptiert. Der Markt könnte mit einer leichten Rezession leben, unter anderem weil sie eine der am besten telegrafierten Rezessionen ist. Die Aktienmärkte haben unserer Einschätzung nach das Potenzial, im nächsten Jahr leicht positiv zu rentieren. Historisch gesehen wäre das nicht ungewöhnlich. Auch in den 90er Jahren hatten wir einen Bärenmarkt, aber als die Gewinne zu sinken begannen, konnten sich die Aktienmärkte trotzdem erholen.

Was erwarten Sie von den Anleihemärkten?

Vor allem die Rentenmärkte sind nun attraktiv. 2023 wird ein Jahr sein, in dem qualitativ hochwertige Anleihen im Credit-Bereich das Potenzial haben, Aktien zu schlagen. Die Zentralbanken werden weniger restriktiv sein, die Inflation lässt nach und es besteht die Aussicht auf sinkende Renditen. Das spricht für Investment-Grade-Anleihen, die auch für eine leichte Rezession gut gepreist sind und zudem wieder attraktive laufende Erträge bieten.

Die Unternehmensgewinne be­ziehungsweise die Gewinnerwartungen haben sich 2022 bemerkenswert robust gezeigt. Was zeichnet sich Ihrer Meinung nach für das neue Jahr ab?

Für das kommende Jahr sind die Anleger für die Unternehmensgewinne noch ein bisschen zu optimistisch. Derzeit wird noch ein Gewinnwachstum von 3% erwartet, Tendenz fallend. Vor diesem Hintergrund werden die Aktienrenditen 2023 nicht in den Himmel wachsen. Die Abschwächung ist zwar teilweise eingepreist, aber Abwärtsrevisionen könnten noch einmal für etwas Volatilität sorgen. An den Märkten ist Erleichterung zu spüren, dass das Ende des Straffungskurses der Notenbanken absehbar ist, aber es gibt noch Korrekturbedarf bei den Gewinnerwartungen. Erkennbar ist das beim Blick auf die Sektoren. So wird für die Branchen Banken und zyklischer Konsum ein Gewinnwachstum von 14% und 18% erwartet. Dort besteht Korrekturbedarf, zumal Europa und die USA vor einer moderaten Rezession stehen. Auch bei den Gewinnerwartungen für den Technologiesektor erwarten wir weitere Korrekturen.

Von wo wird der Druck auf die Unternehmensgewinne herkommen?

Hier spielen zwei Dynamiken hinein. Die Margen der Unternehmen haben bereits begonnen, unter Druck zu geraten. Die Unternehmen konnten ihre Gewinne steigern, weil sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Kostensteigerungen an die Konsumenten weiterreichen konnten. Das wird im kommenden Jahr erheblich schwieriger werden, weil sich die Wirtschaft abschwächt, worunter das Umsatzwachstum leiden wird. Wenn das Umsatzwachstum und die Nachfrage schwächer werden, haben die Unternehmen ein Problem auf der Kostenseite. Hinzu kommt noch ein stärkeres Lohnwachstum, und das setzt die Margen zusätzlich unter Druck.

Wie sollen sich Investoren in diesem Umfeld positionieren, was Sektoren beziehungsweise Segmente betrifft?

Strukturell wird Value durchaus weiter die Nase gegenüber Wachstum vorne haben. Auch wenn 2022 bereits ein sehr gutes Value-Jahr war, sollte sich das 2023 fortsetzen. So sind die Erwartungen für den Bereich zyklischer Konsum wie erwähnt noch relativ hoch, und auch im IT-Sektor sehen wir Korrekturbedarf. Gut entwickeln wird sich unserer Meinung nach Quality Value, gerade die Unternehmen mit hoher Rentabilität, relativ niedriger Verschuldungsquote, relativ niedrigen Bewertungen und relativ hohem Cash-flow. Man sollte aber darauf eingestellt sein, dass es im Verlauf des Jahres zu einer gewissen Rotation kommen wird – also, dass es an den Aktienmärkten, wenn es ökonomisch schwierig wird und auch die Zentralbanken beginnen, auf die Zeit nach der Rezession zu schauen, zu einer Rotation in Zykliker kommen wird. Europa und die USA sind davon noch ein Stück weit entfernt. Aber in Asien bilden wir zyklische Positionen bereits gerne ab. Die Region ist im Zyklus weiter und bewegt sich bereits auf die Talsohle zu. Hinzu kommen die Corona-Lockerungen in China. Damit dürften sich die Emerging Markets beziehungsweise Asien früher erholen, so dass wir für Zykliker in den Schwellenländern zuversichtlich sind.

Wie sehen die Emerging Markets bewertungsseitig im Vergleich mit den entwickelten Volkswirtschaften aus?

Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, der für die Emerging Markets spricht, weil eben schon eine starke Kursreaktion stattgefunden hat. Sehr viele Märkte, gerade in Nordostasien, sind sehr günstig geworden, insbesondere Taiwan und Korea. Diese Märkte sind nicht nur im globalen Vergleich, sondern auch relativ zur eigenen Historie sehr günstig. Auch China ist im historischen Vergleich günstig, aber das ist aufgrund der gestiegenen politischen Risiken auch gerechtfertigt. China hat eine gewisse Risikoprämie, die wahrscheinlich in den nächsten Jahren Bestand haben wird. Man muss bei den Emerging Markets aber differenzieren. Einige Märkte sind sehr teuer, insbesondere Indien. Indien ist grundsätzlich im globalen Vergleich teuer, nun aber auch im eigenen historischen Vergleich. In China wird sich nach den Lockerungen der Corona-Restriktionen die aufgestaute Nachfrage positiv auswirken. Davon werden neben China selbst auch die Handelspartner des Landes profitieren.

Was halten Sie von Staatsanleihen?

Staatsanleihen sind ebenfalls attraktiver geworden. Wenn man die langfristigen Realrenditen betrachtet, sind wir nun aus dem deutlich negativen Bereich von in der Spitze minus 2% jetzt in den positiven Bereich mit 1% angekommen. Eine so positive Realrendite hatten wir zuletzt vor zwölf Jahren. Das macht Staatsanleihen angesichts der zu erwartenden Rezession, der nachlassenden Inflation und des kommenden Endes des Straffungszyklus wieder interessant. Man kann auch in die Agencies und für einen Rendite-Pick-up in die hochqualitativen Credits gehen. Letzteren trauen wir etwas mehr zu als Staatsanleihen.

In diesem Winter scheinen wir um eine Gasrationierung herumzukommen. Noch ist aber unklar, ob beziehungsweise in welchem Ausmaß wir mit Blick auf den Winter 2023/2024 das russische Gas ersetzen können. Kommt das Problem im nächsten Jahr wieder auf den Tisch?

Das kann sicherlich noch einmal ein Thema werden. Daher sollte man auch trotz der derzeit guten Versorgungslage am Gassparen festhalten. Es wird wichtig sein, über die Wintermonate nicht zu viel von den aufgebauten Gasreserven abzubauen, weil sonst das Risiko einer Gasmangellage im nächsten Winter besteht. Auch wenn LNG-Kapazitäten auf- und ausgebaut worden sind und nun die Möglichkeit besteht, russisches Gas zu ersetzen, bleibt ein Risiko für nächstes Jahr. Das Rezessionsrisiko für Europa in diesem Winter ist recht hoch. Man kann aber erkennen, dass es in der Verbraucher- und der Unternehmensstimmung Erholungstendenzen gibt. Daher kann darauf vertraut werden, dass die Rezession relativ moderat ausfallen wird. Es besteht aber das Risiko, dass Europa auf eine Double-Dip-Rezession zusteuert, insbesondere, wenn sich im Verlauf von 2023 die USA stärker abschwächen sollten, als man das bislang erwartet.

Das Interview führte

BZ+
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