„Die Wachstumsverlangsamung rückt in den Fokus“
Kai Johannsen.
Herr Gries, die EZB ist kurz davor, den Leitzins zu erhöhen. Was hat allein die Erwartung einer Leitzinserhöhung am europäischen Corporate-Markt ausgelöst?
Die Spreads haben sich im Jahresverlauf deutlich ausgeweitet, und zwar um circa 185 auf 520 Basispunkte (BP) bei den High-Yield-Anleihen und um circa 70 auf nun 165 BP bei den Investment-Grade-Anleihen. Ein Teil davon ist sicher auf die EZB zurückzuführen, bei der die Töne im Januar bereits „hawkischer“ wurden, aber es war auch eine Kombination von unerwarteten Ereignissen. Dazu gehörte die scharfe Kehrtwende der Fed. Verstärkt wurde das Ganze dann letztendlich aber durch den Ukraine-Krieg. Das alles zusammengenommen hat die Unsicherheit spürbar erhöht und damit auch für die Anpassungen der Risikoprämien am Credit-Markt gesorgt. Zudem hat sich der Inflationsverlauf nicht wie ursprünglich erwartet in diesem Jahr normalisiert, sondern ist durch diesen Ukraine-Schock noch intensiviert worden. Die Problematik verlängert sich dadurch zudem, und zwar durch Zweitrundeneffekte.
Wie werden sich Rückführungen der Bondkaufprogramme in den USA, aber vor allem seitens der EZB auf den Corporate-Markt auswirken?
In Summe wird dem Unternehmensanleihemarkt dadurch sukzessive Liquidität entzogen. Studien haben gezeigt, dass die Kaufprogramme, die damit verbundene Liquiditätszufuhr und die Performance der betreffenden risikobehafteten Assets wie Unternehmensanleihen und auch Aktien eine stark positive Korrelation hatten. Dieser Prozess dreht sich jetzt ein Stück weit um. Das wird nun auch ein gewisses Risiko für diese Anlageklassen. Darüber hinaus gab es diese Kaskadeneffekte: Ankaufprogramme für Staatsanleihen und andere Fixed-Income-Assets, niedrige Zinsen und Anleger, die in riskantere Assets wie High Yield getrieben werden. Dieser Kaskadeneffekt wird nun aller Voraussicht nach abnehmen. Es bleibt eine gewisse technische Unterstützung für den Unternehmensanleihemarkt, weil die EZB sich ja bis Ende 2024 verpflichtet hat, Erlöse aus fällig werdenden Papieren wieder zu reinvestieren. Das sollte mittelfristig bis zu 2 Mrd. Euro an Käufen pro Monat darstellen. Trotzdem fällt natürlich ein Teil der Unterstützung nun weg.
Mit wie vielen Zinsschritten rechnen Sie, und was wird das bei der Spread-Entwicklung auslösen?
Der Markt nimmt dies bekanntlich häufig vorweg. Der Markt preist nunmehr vier Zinsschritte der EZB bis zum Jahresende ein. Ich denke, es würde Sinn ergeben, wenn die EZB dieser Markterwartung entsprechen würde. Zu konstatieren ist, dass die EZB-Rhetorik zuletzt stringenter geworden ist. Das ist auch bei EZB-Vertretern zu vernehmen, die bislang eher in das Lager der Tauben einzuordnen waren. Es wird zunehmend darauf hingewiesen, dass bereits im Juli der erste Zinsschritt der EZB erfolgen könnte. Ob wir am Ende des Jahres dann tatsächlich vier Zinsschritte bekommen haben, hängt ja auch vom weiteren konjunkturellen Verlauf ab. Die Rhetorik deutet auch darauf hin, dass die EZB-Verantwortlichen sich zunehmend Sorgen darüber machen, dass das adäquate Zeitfenster verpasst werden könnte. Wenn man zu lange wartet, wird der Normalisierungsprozess nur noch schwieriger.
Wie hat sich der Ukraine-Krieg auf den Corporate-Markt in Europa bislang ausgewirkt?
Der Markt war ja schon vor dem Kriegsausbruch in einer schlechteren Verfassung aufgrund der Inflationsentwicklung und der Zentralbankenrhetorik. Die Unsicherheit der Marktakteure hat sich durch den Krieg deutlich erhöht. Die Konsequenz war eine nochmalige deutliche Spread-Ausweitung. Darauf folgte zwar eine grundsätzliche temporäre Erholung. Fundamental verschärft der Krieg die Lieferengpässe und hat einen zweiten Inflationsschock ausgelöst. Betrachtet man die jüngsten Unternehmensberichte, sind aber viele Firmen in der Lage, die erhöhten Preise weiterzugeben. Wir befürchten aber, dass dies auf Dauer schwierig sein könnte. Die Nachfrage könnte zurückgehen, und der Margendruck könnte für die Firmen zunehmen. Das Thema Wachstumsverlangsamung rückt damit zunehmend in den Fokus. Zudem wird am Credit-Markt jüngst das Stagflationsszenario mehr gespielt. Das ging wiederum einher mit deutlicheren Spread-Ausweitungen.
Mit welchen Entwicklungen in Sachen Defaults ausgelöst durch konjunkturelle Beeinträchtigungen infolge des Krieges rechnen Sie in den kommenden Monaten?
Kurzfristig sollte in dieser Hinsicht der Druck relativ gering bleiben. Für 2022 erwarten wir bei den globalen Ausfallraten eine vergleichsweise milde Entwicklung. Sie liegen auf globaler Ebene zudem auf einem sehr tiefen Niveau von 1,9%. Moody’s erwartet etwa auf Sicht von zwölf Monaten im Kernszenario eine Ausfallrate von 3%, was unter dem langfristigen Durchschnitt von 4,1% liegt. Im Worst Case erwartet Moody’s auf Zwölfmonatssicht eine Default-Rate von etwa 11%, was natürlich recht hoch erscheint, wenn man sich vor Augen führt, dass selbst in der Corona-Pandemie die Ausfallrate im Hoch bei 7% war. Grundsätzlich sind die Risiken gestiegen, die Entwicklung der Ausfallraten ist immer nachgelagert. Aber die Ausgangslage der Kreditqualität der Unternehmen ist nun jedoch nicht so schlecht, wie es bei manch anderer Krise gewesen ist.
Preisen Unternehmen eher das Inflationsrisiko oder das Konjunkturrisiko als zentrale Entwicklung für die nächsten Monate ein?
Zentrale Entwicklung ist, dass das Inflationsrisiko stärker eingepreist wird als das Konjunkturrisiko. Wir sehen jetzt in der jüngeren Vergangenheit, dass das Stagflationsrisiko etwas stärker thematisiert wird und dann sich auch die Spreads etwas stärker als Reaktion hierauf ausweiten. Aber ein ernstzunehmendes Rezessionsrisiko wird in vielen Teilen des Marktes derzeit noch nicht eingepreist. Der Spread von im Schnitt 165 BP für Unternehmen mit Investment-Grade-Bonität wirkt historisch betrachtet relativ adäquat. Das spiegelt zwar eine Wachstumsverlangsamung wider, aber noch keine Rezession. Sollten wir eine Rezession im HY-Markt einpreisen, haben die Spreads durchaus noch das Ausweitungspotenzial von 200 bis 250 BP ausgehend vom gegenwärtigen Niveau. Entsprechendes gilt auch für den US-Credit-Markt, der im High-Yield-Bereich noch enger handelt, und zwar mit 480 BP. Das Wachstumsthema wird derzeit also nur partiell eingepreist – womöglich auch zu Recht, weil ja noch nicht vollkommen klar ist, dass wir wirklich in eine Rezession schlittern.
Würgt die Fed mit ihrer forschen Gangart womöglich die Konjunktur ab, und droht daher weiteres Ungemach von dieser Seite?
Betrachtet man die Historie der Fed, scheint das möglich. Oftmals wurde ein angestrebtes „Soft Landing“ der Konjunktur eben nicht erreicht. Mit der komplexen Gemengelage wie wir sie derzeit vorfinden aus hoher Inflation, Wachstumsrisiken, Lieferengpässen und Zentralbanken, die die Normalisierung erst zögerlich angestoßen haben, sehen wir ein erhöhtes Risiko für das Soft-Landing-Szenario. Die Zinsstrukturkurve in den USA ist derzeit relativ flach, so zum Beispiel im Laufzeitenbereich von zwei bis zehn Jahren der US-Staatsanleihen. Anfang April gab es sogar eine kurze Phase der Kurveninversion. Das hat sich dann zwar wieder zurückgebildet, aber die Kurve bleibt doch recht flach. Das Risiko ist in den USA derzeit natürlich hoch, so dass durch die schärfere Gangart, also die größeren Normalisierungsschritte der Fed, das Wachstum beeinträchtigt wird. Zudem bewegen wir uns mit Blick auf die Kaufprogramme der Zentralbanken immer noch ein wenig auf Neuland. Wenn jetzt die Bilanzrückführung einsetzt, bleibt abzuwarten, wie sich das auf Märkte und Konjunktur auswirkt.
Wie wirkt sich der Krieg auf den Primärmarkt, das heißt das Emissionsgeschehen aus?
Nicht zuletzt infolge der hohen Volatilität, auch der Zinsvolatilität, und den Unsicherheiten ist im bisherigen Jahresverlauf deutlich weniger emittiert worden als sonst. Bis Ende April wurde am europäischen Unternehmensanleihemarkt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum rund 20% weniger emittiert. Viele Treasurer warten eine Beruhigung des Marktes ab, bevor sie wieder aktiver an den Markt gehen. Aufgrund der abnehmenden Liquidität und der höheren Schwankungsbreiten fordern die Investoren derzeit wieder höhere Neuemissionsprämien ein, was grundsätzlich auch sehr positiv einzuschätzen ist. Vor den Krisen und auch vor dem Einsetzen der Kaufprogramme der Zentralbanken wurden die Neuemissionen nicht gerade selten genau auf den ausstehenden Marktkurven der Emittenten gepreist. Mittlerweile liegen die Neuemissionsprämien wieder zwischen 10 und 15 BP. Institutionelle Anleger wollen also wieder eine Prämie von den Unternehmen offeriert bekommen, um wieder in neue Anleihen der betreffenden Adresse zu investieren.
Wie sind die Unternehmen liquiditätsmäßig in Europa aufgestellt?
Generell sehen wir keinen Refinanzierungsdruck. Insbesondere auch die großen Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren recht gut vorfinanziert – auch zu sehr attraktiven Zinskonditionen. Insbesondere im IG-Markt haben die Unternehmen durchaus die Flexibilität, solche Phasen erhöhter Schwankungen auch mal auszusitzen und auf bessere Marktphasen zu warten. Das ist ein Grund, weshalb wir dieses Jahr bisher auch weniger Emissionen sehen. Grundsätzlich ist für die europäischen Unternehmen per saldo betrachtet die Liquiditätslage derzeit kein Thema. Das gilt für IG und HY gleichermaßen. Im HY-Markt gab es schon mehrere Wochen keine Emissionen, was den hohen Schwankungen und der Unsicherheit geschuldet ist. Wenn sich diese Phase aber zu lange hinziehen sollte, ist das sicherlich auch nicht als gesund für den Markt und die Refinanzierungsaktivitäten der Firmen einzustufen.
Welche Branchen leiden derzeit am stärksten unter dem Ukraine-Krieg?
Die Quartalsberichtssaison geht ja gerade zu Ende. Festzuhalten ist, dass man sich eher noch darauf einstellen sollte, dass die fundamentalen Beeinträchtigungen womöglich erst noch kommen. Im ersten Quartal war das einfach noch zu früh, hier gab es nur vereinzelt Einflüsse des Krieges zu beobachten. Bei den Autozulieferern gab es etwa vereinzelt Probleme, da die stark gestiegenen Kosten nicht vollständig über Preiserhöhungen weitergegeben werden konnten. Im Versorgerbereich hingen einzelne Adressen auch von der Versorgung aus Russland ab. Diese Adressen mussten dann teilweise teureres Gas zukaufen. Zu spüren bekamen den Krieg auch einige energieintensivere Branchen, wobei einige Adressen hier auch Absicherungsstrategien vorab implementiert hatten. Marktseitig waren auch viele Immobilienwerte im Fokus, deren Anleihen aufgrund der Zinsanstiege abgestraft wurden – zum Teil sogar deutlich. Getroffen wurden diese Adressen aber auch durch die schwächer werdende Konjunktur. Unternehmen mit einem großen Anteil von Osteuropa-Geschäft wurden infolge der Kriegsauswirkungen auch in Mitleidenschaft gezogen, das heißt, die Spreads weiteten sich aus
Welche Branchen kommen bislang gut durch Pandemie und Ukraine-Krieg?
Gesucht werden in dem gegenwärtigen Umfeld die Telekomwerte, die in der Regel über kein Russland-Geschäft verfügen. Sie sind zudem nicht von Energie abhängig. Wenig betroffen sind auch die Namen aus dem Gesundheitssektor. Und auch die Bankenergebnisse sind noch sehr gut ausgefallen. Hier waren auch wenig Auswirkungen durch die Ukraine-Krise zu spüren. Wir erwarten aber, dass die Rückstellungen aufgrund der konjunkturellen Eintrübung in den kommenden Quartalen nach oben gefahren werden könnten. Bisher hat sich die Finanzbranche aber auch gut geschlagen.
Welche Konsequenzen hinterlassen Pandemie und Ukraine-Krieg am Green-Bond-Markt der europäischen Corporates?
Auf kurze Sicht zeigt der Krieg keine Auswirkungen. In der Breite war die Emissionsaktivität rückläufig. Das war aber auch eher der hohen Volatilität geschuldet. Es wurden rund 30% weniger Anleihen im ersten Quartal emittiert im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Vorausblickend erwarten wir, dass die Energiekrise das Wachstum des Green-Bond-Marktes eher weiter befeuern sollte. Wir sollten noch mehr Projekte im Bereich der alternativen Energien sehen und damit auch noch mehr Green Bonds zwecks Finanzierung derselben. Der Übergangsprozess sollte durch den Krieg noch mehr beschleunigt werden. Das sollte im Ergebnis zu mehr Anleiheemissionen im grünen Bereich führen.
Das Interview führte