Anleihenmärkte

Euro-Staatsanleihen bestehen Probe

Das Klima wird rauer an den Anleihemärkten. Ein potenzielles Risikobarometer jedoch schlägt nicht aus, nämlich der europäische Staatsanleihenmarkt.

Euro-Staatsanleihen bestehen Probe

Von Ulrich Kater*)

Inflationsängste, Konjunkturprobleme, Zinsunsicherheiten: Das Klima wird rauer an den Anleihemärkten. Ein potenzielles Risikobarometer jedoch schlägt nicht aus, nämlich der europäische Staatsanleihenmarkt. Seit den volatilen Zeiten der Eurokrise mit Renditeabständen, die teilweise im zweistelligen Prozentpunktbereich lagen, hatte sich die Risikowahrnehmung kontinuierlich beruhigt. Schlusspunkt dieser Entwicklung war die Entwicklung des Risikospreads griechischer Anleihen, der sich von einem Spitzenwert von mehr als 30 Prozentpunkten vor einer Dekade nun bei 110 Basispunkten (BP) eingependelt hat. Laufzeiten griechischer Staatsanleihen von bis zu vier Jahren wurden in der ersten Jahreshälfte sogar im negativen Renditebereich gehandelt. Zwar zeigten die Risiken der großen Emittenten in den vergangenen Jahren durchaus noch Ausschläge, die allerdings eher im CDS-Markt abzulesen waren. So stieg der fünfjährige Italien-CDS-Spread Ende 2018 aufgrund der Unsicherheit über die weitere Europapolitik und die stark steigende Verschuldung vorübergehend um bis zu 200 Basispunkte (BP) an. Eine ähnliche Entwicklung war zu Beginn der Pandemie zu beobachten, als etwa die spanischen CDS um 150 BP zulegten. Mit der Ankündigung der staatlichen Gegenmaßnahmen sind die Spreads dann sehr schnell überall gefallen – deutlich schneller als die Infektionszahlen. In diesem Jahr gab es fast überhaupt keine Ausschläge mehr. Italienische Anleihen mit einer zehnjährigen Laufzeit pendeln in einem Renditeabstand von 90 bis 130 BP, bei spanischen beträgt die Bandbreite 50 bis 70 BP. In einer Welt, in der jeder Basispunkt zählt, stellt sich die Frage, ob sicherheitsorientierte Anleger diese Renditeaufschläge mitnehmen können.

Staatsanleihen von Emittenten des europäischen Währungsraumes nehmen eine besondere Stellung im Risikogefüge des Anleihemarktes ein. Als einzelne Gebietskörperschaft würde eine Reihe von ihnen aufgrund der hohen Verschuldung ein hohes Risiko darstellen. Als Teil eines übergeordneten Risikoverbundes wären dagegen eher die Risikoparameter der Gemeinschaft relevant. Eine Fiskalunion ist daher aus Finanzmarktsicht eine Lösung für regionale Bonitätsprobleme. Allerdings kommt es sehr stark auf die Regeln eines solchen Finanzverbundes an. Zum Ersten sorgen Finanzausgleichsregeln für eine Stärkung strukturschwächerer Regionen. Dabei sind horizontale Umverteilungen von starken in schwache Regionen wenig effektiv. Viel stärker sind die Ausgleichswirkungen durch die Tätigkeit eines zentralen Etats. Steueranteile und Abgaben sowie Sozialversicherungsbeiträge, die in den zentralen Etat fließen und in unionsweiten Politikprogrammen Verwendung finden, entfalten umfangreiche regionale Umverteilungswirkungen. Dies ist insbesondere in föderalen Bundesstaaten wie etwa der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten, gilt aber auch etwa für die USA. Darüber hinaus bestimmen aber auch die Haftungsregeln der Gebietskörperschaften untereinander über die Risikoaufschläge der regionalen Emittenten. Haftungs-, Verschuldungs- und Finanzausgleichsregeln ermöglichen eine große Vielfalt von Arten fiskalischen Gemeinwesens. Die europäische Währungsunion ist explizit ohne eine solche Fiskalunion gestartet, weil hierfür keine politische Mehrheit innerhalb der Mitgliedstaaten bestand. In Belastungsphasen des Finanzsystems ergaben sich jedoch in den vergangenen Jahren faktische Notwendigkeiten hin zu immer mehr Elementen einer Fiskalunion, ohne die die Währungsunion auseinandergebrochen wäre, wie etwa die gemeinsame Kreditvergabe an Griechenland in der Eurokrise. Dort, wo die Fiskalpolitik aus politischen Gründen nicht ausreichend Mittel bereitstellen konnte, ist seit Sommer 2012 spektakulär die Europäischen Zentralbank (EZB) eingesprungen. Mit ihren Anleihekäufen ersetzt sie viele Funktionen, die eigentlich der Fiskalpolitik zufallen. Diese unechte Fiskalunion im Euroraum ist an den Finanzmärkten bislang glaubwürdig, wie man an der dauerhaften Einengung der Risikospreads beobachten kann, zumal sie immer weiter ausgebaut wird.

EZB übernimmt Kontrolle

In der Pandemie sorgte zunächst der Schutzschirm der EZB weiterhin dafür, dass die Risikoparameter der Mitgliedsländer nicht stärker ausschlugen. Mit der Verkündung des PEPP-Ankaufprogramms übernahm die Notenbank schließlich die Kontrolle über die Anleiherenditen. Dass seitdem die Risiko-Signalfunktion dieser wie auch anderer Anleihepreise außer Kraft gesetzt ist, gehört zu den negativen Nebenwirkungen dieser Maßnahme. Im Gegensatz zur Eurokrise hat allerdings endlich auch die Fiskalpolitik agiert und ein Zeichen gesetzt, dessen politische Bedeutung gar nicht zu überschätzen ist. Mit dem ca. 800 Mrd. Euro großen Wiederaufbaufonds „Next Generation EU“ vereinbarten die Mitgliedsländer der Europäischen Union zum ersten Mal eine gemeinsame Kreditaufnahme mit explizit eingebauten Umverteilungselementen. Dies stellt einen weiteren Anbau am Gebäude der provisorischen europäischen Fiskalunion dar. Zwar ist der Fonds zeitlich befristet, über die Dauerhaftigkeit dieser Einrichtung wird jedoch bereits jetzt heftig orakelt. Für heute lässt sich feststellen: Das politische Bekenntnis zum Wiederaufbaufonds hat wesentlich dazu beigetragen, dass europäische Staatsanleihen die größte Konjunkturkrise seit einem Jahrhundert ohne größere Blessuren überstanden.

Also alles im Lot auf der europäischen Finanzbaustelle? Sind italienische, portugiesische und irische Staatsanleihen so sicher wie deutsche, finnische oder niederländische? So einfach ist es nicht. Die Praxis des faktischen Aufbaus der Fiskalunion hat Grenzen. Bereits jetzt werden die nationalen Verfassungen, in denen gerade bei der Finanzpolitik die Hoheit der nationalen Parlamente festgeschrieben ist, bis zum Zerreißen gedehnt. Eine Fiskalunion benötigt eine demokratisch ausreichend legitimierte Entscheidungsinstitution, an der es in der Europäischen Union bekanntlich mangelt. So lange hier keine Fortschritte zu verzeichnen sind, haftet den fiskalischen Institutionen der Währungsunion etwas Provisorisches an. Jegliche Arten politischer Zentrifugalkräfte können die Ruhe am europäischen Finanzmarkt weiterhin nachhaltig stören. So liegt etwa der größte Finanzmarkteinfluss von politischen Wahlen im Euroraum nicht etwa in den wirtschaftspolitischen Wahlprogrammen, mit denen unterschiedliche Parteien antreten, sondern in ihrer Haltung der europäischen Integration gegenüber.

Ohne weitere Elemente einer Fiskalunion als Fundament der Währungsunion wird es zwar auch nicht gehen. Wenn diese aber nicht fest im Boden der europäischen Demokratie verankert sind, dann bleibt das Gebäude instabil. Die nächste Belastung der europäischen Staatsfinanzen steht bevor, wenn in fünf Jahren die Mittel aus diesem Finanzierungsprogramm versiegen und vor dem Hintergrund eines faktisch abgeschafften Stabilitäts- und Wachstumspaktes die Verschuldung weiterhin zu hoch bleibt.

*) Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der DekaBank.