Türkische Lira

Fehlende Unterstützung

Die türkische Lira gerät seit dem letzten Wechsel an der Spitze der Zentralbank von allen Seiten unter Druck: Schwächen im Wirtschafts- bzw. Wachstumsmodell, Leistungsbilanzdefizite, hohe Inflationserwartungen sowie außen- und innenpolitische...

Fehlende Unterstützung

Von Manuel Schimm*)

Die türkische Lira gerät seit dem letzten Wechsel an der Spitze der Zentralbank von allen Seiten unter Druck: Schwächen im Wirtschafts- bzw. Wachstumsmodell, Leistungsbilanzdefizite, hohe Inflationserwartungen sowie außen- und innenpolitische Kapriolen drücken den Kurs der Lira seit Jahren strukturell – mit der Entlassung von Naci Agbal mit seiner restriktiven Geldpolitik im März hat die Lira auch ihre letzte große Stütze verloren.

Das in weiten Teilen auf Konsum, finanziert durch Kapitalimport, ausgelegte Wachstumsmodell funktioniert bereits seit 2014 nicht mehr. Anstelle von wirtschaftspolitischen Reformen – hier sind vor allem Verbesserungen der Standortfaktoren zur Stärkung des produzierenden Gewerbes, institutionelle Liberalisierung, Investitionen in Bildung sowie Forschung und Entwicklung zu nennen – hat sich die politische Führung dafür entschieden, das ausgediente Wachstumsmodell durch geld- und kreditpolitische Lockerung trotz sehr hoher Inflation bis zum Ende auszureizen. In Kombination mit politischer Repression, Verwicklung in kriegerische Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten und Streitigkeiten mit dem größten Handelspartner (EU) und den USA hat das Vertrauen von externen Geldgebern und Investoren in die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stark und nachhaltig gelitten.

Die außen- und wirtschaftspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre allein hätten wohl schon für eine deutliche Abwertung der Lira gereicht. Da diese Gemengelage jedoch auch noch von mehreren Wechseln an der Spitze der Zentralbank, starker politischer Einflussnahme auf die Währungshüter und Experimenten (zeitweise Einschränkung) bei der freien Konvertierbarkeit der Lira flankiert wurde, hat die Türkei einen Reputationsverlust an den Finanzmärkten erlitten, der in mehreren Währungskrisen mündete. Nach der letzten großen Talfahrt der Lira (–20% von Ende Juli bis Anfang November 2020) zog Erdogan beim Stand von 8,52 Lira für einen Dollar die Reißleine und setzte Notenbankchef Uysal vor die Tür – zum Nachfolger bestimmte Erdogan Ex-Finanzminister Naci Agbal. Gegen den Widerstand von Erdogan hatte dieser mit restriktiver Geldpolitik (Zinsanhebungen) sinnvollerweise versucht, Inflation und Wechselkurs in den Griff zu bekommen und die Reputation der Zentralbank an den Finanzmärkten wiederherzustellen. Mit der Absetzung Agbals hat Erdogan erneut demonstriert, dass er die Integrität der Zentralbank nicht respektiert bzw. dass es unter ihm langfristig keine solide Geldpolitik geben wird.

Der neue Notenbankchef Sahap Kavcioglu hat sich in Gastkommentaren in regierungsnahen Zeitungen als Befürworter einer lockeren Geldpolitik gezeigt; dabei verwies er auf die weltweit niedrigen Zinsen, ohne jedoch zu erwähnen, dass in vielen Ländern auch die Inflation niedrig ist, während sie in der Türkei derzeit bei über 15% liegt. Die Marktreaktionen auf seine Ernennung sprechen eine eindeutige Sprache: Seit dem Wechsel an der Spitze der Zentralbank sank die Lira von 7,21 auf über 8,20 Lira pro Dollar Ende April – das entspricht einem Verlust von rund 15%.

In ersten Äußerungen erklärte auch Kavcioglu, dass die Zentralbank „die geldpolitischen Instrumente weiterhin effektiv im Einklang mit ihrem Hauptziel einsetzen wird, einen dauerhaften Rückgang der Inflation zu erreichen“ und nicht gleich die Zinsen senken wolle. Hauptgrund für die Zurückhaltung bei Zinssenkungen ist aber wohl die Angst davor, dass dies eine erneute Währungskrise auslösen könnte. Dementsprechend beließ die Zentralbank den Leitzins bei der ersten Sitzung unter Führung Kavcioglus unverändert bei 19%. Zugleich deutete sie allerdings im begleitenden Statement an, wohin die Reise gehen soll. So wurden die Passagen gestrichen, dass man sich vorbehalte, die Geldpolitik bei Bedarf weiter zu straffen und dass man die Leitzinsen zur Bekämpfung der hohen Inflation einzusetzen gedenke, bis diese nachhaltig sinkt.

Ohne Zinserhöhungen sind die Möglichkeiten zur Stützung der Lira jedoch gering: Die Währungsreserven wurden in den vergangenen Jahren in weiten Teilen aufgebraucht (von 110 Mrd. Dollar Anfang 2014 auf derzeit 49 Mrd.). Der Deckungsgrad der kurzfristigen Auslandsverschuldung durch die türkischen Währungsreserven ist inzwischen ausgesprochen gering und liegt weit unter den entsprechenden Werten der meisten anderen Schwellenländer. Zudem ist die Leistungsbilanz der Türkei deutlich negativ, obwohl die schwache Lira die Exporte unterstützt.

Einhergehend mit den wirtschaftlichen Problemen und dem ständigen Kaufkraftverlust durch die hohe Inflation befindet sich die Lira seit 2014 auf einem beeindruckenden Abwärtspfad: Der Kurs hat seit Anfang 2014 (2,17 Lira pro Dollar) etwa 73% an Wert verloren. Die zarte Hoffnung auf eine Trendwende wurde im März mit dem Führungswechsel bei der Zentralbank jäh zerstört. Insbesondere in Zeiten einer globalen Krise mit hoher Risikoaversion an den Finanzmärkten ist die Reputation einer unabhängigen Zentralbank – vor allem für Schwellenländer mit Leistungsbilanzdefiziten bzw. ho­hem externen Refinanzierungsbedarf – wichtiger als ansehnliche BIP-Wachstumsraten. Da diese Mindestanforderung internationaler Anleger nicht erfüllt wird und sich die genannten Probleme nicht in Luft auflösen, wird die Lira langfristig bei hoher Volatilität weiter unter Druck stehen. Investoren werden nur bei einer adäquat hohen Risikoprämie bereit sein, sich in einem solch risikoreichen Asset zu engagieren. Dies gilt umso mehr in Zeiten, in denen in den USA die Konjunktur boomt und die Treasury-Renditen steigen. Insgesamt gehen wir deshalb davon aus, dass die türkische Lira in den kommenden Monaten wieder auf ihre bisherigen Tiefstände von über 8,50 Lira je Dollar Kurs nehmen wird.

*) Manuel Schimm ist Senior Economist der Bayerischen Landesbank.