Folgen des Endes der EZB-Nettoneukäufe
Von Christian Lenk*)
Die vergangene Dekade war durch einen in der Regel wenig erfolgreichen Kampf vieler Zentralbanken gegen zu niedrige Inflationsraten geprägt. Nachdem das klassische Instrumentarium, insbesondere Leitzinssenkungen, mehr oder weniger ausgeschöpft war, traten Anleiheankäufe (auch als Quantitative Easing (QE) bekannt) immer stärker in den Fokus der Notenbanken.
So auch im Falle des Eurosystems: Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken kaufen seit Ende 2014 ABS-Papiere und gedeckte Anleihen (Covered Bond Purchase Programme 3 (CBPP3)). Anfang 2015 kamen dann öffentliche Schuldner (Staaten und staatsnahe Emittenten), gut ein Jahr später auch Unternehmensanleihen hinzu. Diese Ankaufprogramme wurden unter dem Asset Purchase Programme (APP) subsumiert und erreichten in der Spitze ein monatliches Nettoankaufvolumen von 80 Mrd. Euro. 2019 kam es zu einem kurzzeitigen Stopp der Nettokäufe (Fälligkeiten wurden weiter reinvestiert), die jedoch kurz vor dem Dekadenwechsel wieder mit vermindertem Tempo (20 Mrd. Euro pro Monat) aufgenommen wurden.
Eurosystem wird dominant
Spätestens mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 wurde das Eurosystem jedoch endgültig zum dominierenden Käufer in vielen Segmenten der Euro-Rentenmärkte. Um die Folgen der Pandemie abzumildern, wurde das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) ins Leben gerufen, das zusätzlich zum APP monatlich bis zu 120 Mrd. Euro an Euro-denominierten Anleihen auf die Zentralbankbilanzen nahm. Vor allem dank dieser Krücke konnten die Staaten der Europäischen Währungsunion den pandemiebedingten, massiven Anstieg ihrer Budgetdefizite bisher relativ günstig und marktschonend refinanzieren. Diese Gehhilfe gilt es nun beiseite zu legen.
Die EZB überraschte auf ihrer letzten Sitzung am 10. März mit einem relativ eng getakteten Fahrplan hinsichtlich des APP: Dessen Nettoneukäufe könnten bereits im dritten Quartal 2022 auslaufen. Nach dem schon länger angekündigten Ende von PEPP im März 2022 müssen weite Teile der Euro-Rentenmärkte damit spätestens ab Jahresmitte wieder lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.
Notenbank bleibt aktiv
Von einem gänzlichen Entlassen in die Freiheit der Märkte kann jedoch noch keine Rede sein, da das Eurosystem mit der Reinvestition anstehender Fälligkeiten weiterhin ein aktiver Käufer bleiben wird. Stand heute will die EZB die PEPP-Fälligkeiten mindestens bis Ende 2024 reinvestieren. Für das APP ist der Ausblick weniger klar definiert, mit einem abrupten Ende der Reinvestitionen ist zumindest auf Sicht von zwölf Monaten jedoch nicht zu rechnen.
Neue Käufer benötigt
Während für das APP laufend etwas detailliertere Informationen veröffentlicht werden, müssen wir uns für PEPP-Fälligkeiten eigener Schätzungen bedienen. Über beide Programme hinweg sollten sich die Fälligkeiten in den kommenden zwölf Monaten im Durchschnitt auf 35 Mrd. Euro pro Monat belaufen. Zum Vergleich: Im Februar 2022 summierten sich die aggregierten Bruttokäufe (Fälligkeiten und Nettoneukäufe von APP und PEPP) noch auf rund 90 Mrd. Euro. Seit Beginn von PEPP im März 2020 lag das durchschnittliche Gesamtbruttovolumen sogar bei 120 Mrd. Euro pro Monat. Im Vergleich zum letztgenannten Wert geht damit die Nachfrage des bislang dominierenden Käufers um mehr als zwei Drittel zurück. Anders ausgedrückt: Auf Jahressicht müssen für Anleihen im Wert von rund 1000 Mrd. Euro neue Käufer gefunden werden, die bislang vom Eurosystem gekauft worden wären. Allerdings sollte diese deutliche Verschiebung der Nachfragestruktur die einzelnen Segmente in sehr unterschiedlichem Maße betreffen.
Elefant im Raum
Nicht nur bei den Neukäufen, sondern auch bei den Reinvestitionen dürften Staatsanleihen und andere Titel des öffentlichen Sektors der Elefant im Raum bleiben. Mit durchschnittlich 31,5 Mrd. Euro pro Monat an Reinvestitionen dominiert das Public Sector Purchase Programme (PSPP) weiter. Allerdings ist hier auch der Rückgang der EZB-Nachfrage sehr ausgeprägt. Zum Vergleich: Seit Beginn des PEPP beliefen sich die monatlichen Bruttokäufe im Schnitt auf 104 Mrd. Euro pro Monat. Im Vergleich hierzu entsprechen die Reinvestitionen nur 30% der früheren Nachfrage.
Ankaufbare Bonds supranationaler Emittenten (beispielsweise die Europäische Union) machen 10% des PSPP aus (ein ähnlicher Wert kann für das PEPP angenommen werden). Eine Skalierung der zuvor genannten Zahlen ist entsprechend auch für dieses Subsegment möglich.
2021 hat die EZB im Durchschnitt monatlich gedeckte Anleihen in Höhe von 3,8 Mrd. Euro (brutto) unter CBPP3 und PEPP erworben. In den kommenden zwölf Monaten steigen die durchschnittlichen CBPP3-Fälligkeiten nach Angaben der EZB auf 3,3 Mrd. Euro pro Monat an und reichen damit schon fast allein an das monatliche Bruttokaufvolumen des Vorjahres heran. Aufgrund der noch andauernden Nettokäufe unter CBPP3 dürfte das Bruttokaufvolumen der EZB in diesem Jahr aber noch den Vorjahreswert egalisieren. Rein volumenmäßig spielt das unmittelbar bevorstehende Ende der Neukäufe unter PEPP, aber auch das für das dritte Quartal 2022 erwartete Auslaufen der APP-Nettoneukäufe (inklusive CBPP3), für gedeckte Anleihen keine besonders große Rolle.
Auf Sicht der kommenden zwölf Monate werden CSPP-Bestände in Höhe von 16 Mrd. Euro fällig (durchschnittlich 1,3 Mrd. Euro pro Monat). Eine Kompensation für die über die letzten Jahre getätigten Bruttoanleihekäufe, die zwischen 2016 und 2021 im Schnitt 67 Mrd. Euro (5,6 Mrd. Euro pro Monat) betrugen, stellen die Fälligkeiten mit einem Anteil von weniger als einem Viertel damit nicht dar.
Fälligkeiten im Fokus
Mit dem Ende der Nettoneukäufe der EZB rückt der Fokus auf die anstehenden Fälligkeiten. Diese können die bisherigen Bruttokäufe nicht aufwiegen. Allerdings betrifft der Nachfragerückgang Anleihen des öffentlichen Sektors und Corporate Bonds wesentlich stärker als gedeckte Anleihen. Mit Blick auf die kommenden zwölf Monate machen die Reinvestitionen in den beiden erstgenannten Segmenten mit rund einem Viertel der vorherigen Käufe einen relativ geringen Anteil aus. Hier dürfte das notwendige Crowding-in (also die Rückkehr von Käufern außerhalb des Eurosystems) besonders akut und nur mit höheren Renditen erreichbar sein: ein Weg, der in den vergangenen Wochen bereits eingeschlagen wurde. Covered Bonds befinden sich hingegen in einer recht komfortablen Position. Die anstehenden Fälligkeiten decken fast vollständig den Wegfall der Nettoneukäufe.
*) Christian Lenk ist Senior Marktstratege bei der DZ Bank.