Gaspreis nähert sich Rekordniveau
Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
Die Ankündigung einer dreitägigen Stilllegung der Gaspipeline Nord Stream 1 zu Wartungszwecken hat am Montag für einen starken Anstieg des Preises für Erdgas am europäischen Spotmarkt gesorgt. Betroffen waren insbesondere die Kontrakte per November, Dezember und für 2023. Dies macht deutlich, dass sich die Akteure am Gasmarkt erhebliche Sorgen hinsichtlich der Sicherstellung der Gasversorgung im Winter und im nächsten Jahr machen. Rekordniveaus und regelrechte Preissprünge verzeichneten auch die Strompreise.
Am virtuellen niederländischen Übergabepunkt TTF erreichte der Kontrakt zur Lieferung im Dezember in der Spitze 298,89 Euro je Megawattstunde. Der Novemberkontrakt kletterte bis auf 298,70 Euro. Erdgas zur Lieferung vom ersten Quartal kletterte bis auf 295 Euro. Damit nehmen die Notierungen wieder Kurs auf ihr Allzeithoch von rund 335 Euro, das zu Beginn des Ukraine-Kriegs erreicht worden war.
Gazprom hatte am Freitagabend mitgeteilt, am 31. August müsse die einzig funktionierende Gaskompressoreinheit für drei Tage zur Wartung abgeschaltet werden. Nach Abschluss der Arbeiten sowie im Fall der Abwesenheit technischer Störungen werde der Gastransport danach auf dem Niveau von 33 Mill. Kubikmetern pro Tag wiederhergestellt. Dies entspricht der verringerten Kapazität von lediglich 20% der möglichen Gesamtmenge, wie sie auch derzeit zu beobachten ist. Aktuell ist eine in Kanada reparierte weitere Gasturbine, die sich in Deutschland befindet und die eine Anhebung der transportierten Gasmenge auf 40% der Kapazität ermöglichen würde, immer noch nicht in Russland angekommen.
Verschärfung erwartet
Am Markt rechnen die Akteure offensichtlich damit, dass es möglicherweise zu weiteren Einschränkungen der russischen Gaslieferungen nach Europa kommen könnte. Aber selbst für den Fall, dass es bei der gegenwärtigen Gasmenge bleibt oder das sogar eine Anhebung bis auf 40% erfolgt, ist gemäß den Berechnungen der Bundesnetzagentur ein akuter Gasmangel nicht auszuschließen. Je nach Grad der Einsparungen könnte es nach Einschätzung der Bundesnetzagentur bereits im Dezember zu akutem Mangel kommen oder erst gegen Ende der Heizperiode – trotz eines aktuell relativ hohen Füllgrades der Gasspeicher in Deutschland von 78%.
Bislang waren alle Bemühungen der Bundesregierung, in den USA oder in Katar zusätzliches Gas in Form von Flüssiggas zu organisieren, gescheitert. So hatte Katar Wirtschaftsminister Robert Habeck abblitzen lassen und auch Norwegen teilte mit, dass zusätzliche Gaslieferungen nicht möglich seien. Gegenwärtig halten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und Habeck auf ihrer Suche nach Rohstoffen in Kanada auf.
Die deutsche und europäische Energiekrise dürfte sich ab dem Jahreswechsel noch einmal verschärfen, wenn die letzten drei deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Am Sonntag hatte Habeck eine längere Laufzeit der drei Kraftwerke noch einmal kategorisch ausgeschlossen. Dies könnte den Anteil des zur Stromversorgung verwendeten Erdgases weiter erhöhen und somit den Gasmangel verschärfen.
Die erhebliche Besorgnis der Marktteilnehmer wurde auch am Strommarkt deutlich. Der Preis für Strom in der Grundversorgung zur Lieferung im kommenden Jahr vollführte am Montag einen Preissprung von mehr als 25% auf ein Allzeithoch von 709 Euro je Megawattstunde, was sich mit einem Niveau von rund 40 Euro für zwei Jahren vergleicht. Der entsprechende französische Kontrakt verzeichnete sogar ein Rekordhoch von 840 Euro.
Ein weiterer Belastungsfaktor für den Gasmarkt im nächsten Jahr ist der weitgehende EU-Boykott gegen russisches Erdöl, der auch zur Jahreswende in Kraft tritt. Auch dies dürfte die Nachfrage nach Erdgas erhöhen. Zu einer Verschärfung der europäischen Energiekrise könnte im kommenden Jahr eine konjunkturelle Erholung in zentralen Märkten wie China und Indien führen. China und Indien wären von den Verbrauchsmengen her in der Lage, das gesamte russische Erdöl und Erdgas zu absorbieren. Europa ist somit zunehmend auf die – bislang erfolglose – Suche nach neuen Lieferanten angewiesen.