Pharmazulieferer

Gerresheimer-Investoren gehen smarte Wette ein

Es war vor knapp zwei Jahren, als ein früherer Bierflaschenproduzent plötzlich in den Blickpunkt der Anleger rückte. Die Covid-19-Pandemie hatte den Globus fest im Griff, doch am Horizont zeichnete sich ein Hoffnungsschimmer ab: Impfungen kamen...

Gerresheimer-Investoren gehen smarte Wette ein

Von Antje Kullrich, Düsseldorf

Es war vor knapp zwei Jahren, als ein früherer Bierflaschenproduzent plötzlich in den Blickpunkt der Anleger rückte. Die Covid-19-Pandemie hatte den Globus fest im Griff, doch am Horizont zeichnete sich ein Hoffnungsschimmer ab: Impfungen kamen schneller auf den Markt als gedacht. Dabei stellte sich heraus: Es gab nur drei Hersteller auf der ganzen Welt, die die Fläschchen für die Corona-Impfstoffe aus hochwertigem Borosilikatglas produzierten. Einer davon hieß Gerresheimer. Ein Unternehmen aus der Nische stand auf einmal im Rampenlicht. Mit einem Marktwert von nicht einmal 2 Mrd. Euro gehören die Düsseldorfer zu den leichtesten MDax-Werten.

Plötzlich im Rampenlicht

Bierflaschen stellt Gerresheimer längst nicht mehr her, dafür komplexe Verpackungen für Arzneimittel und deren Darreichung. Zum Portfolio gehören Spritzen, Inhalatoren und Insulin-Pens. Dem Hype um die Impfstofffläschchen folgte eine gewisse Ernüchterung: Eine gigantische Stütze des Geschäfts sind die vergleichsweise billigen Glasbehälter nämlich nicht. Wenige Cent kostet ein Stück, damit kommen auch bei dreistelligen Millionen-Stückzahlen pro Jahr keine Unsummen zusammen.

Die Fantasie bei Gerresheimer liegt woanders. Zum einen hat die Pandemie grundsätzlich das Be­wusstsein für die Sicherheit medizinischer Versorgung geschärft. Da­von profitiert nicht nur die Pharmaindustrie, sondern eben auch deren Zulieferer. Ausdruck dessen war unter anderem der kürzlich angekündigte Ausbau der Glasfläschchen-Produktion in den USA. Gerresheimer investiert dafür knapp 100 Mill. Dollar. Der Clou: Die Expansion geht äußerst kapitalschonend über die Bühne. Die US-Behörde für biomedizinische Forschung und Entwicklung unterstützt das Projekt mit bis zu 66 Mill. Dollar. Die USA wollen sich mit Produktionskapazitäten vor Ort wappnen, um auf künftige Krisensituationen im Gesundheitsbereich schneller reagieren zu können.

Digitale Medizintechnik

Zum anderen setzt das Management große Hoffnungen in smarte Medizintechnik – digitale Geräte zum wohldosierten Einnehmen von Arzneimitteln. Vor einigen Jahren hat Gerresheimer das schweizerische Start-up Sensile Medical übernommen, die an solcher Technik arbeitet. Die Idee ist bestechend: Pumpen geben mittels digitaler Messung und Steuerung genau die Menge an Wirkstoffen ab, die ein Patient benötigt. Smarte Inhalatoren überwachen, ob die Patientin in regelmäßigen Abständen ihre Medikamente nimmt. Doch das Zukunftsgeschäft ist ein mühsames. Gleich zu Anfang platzten zwei größere Entwicklungsprojekte, weil Partner aus der Pharmaindustrie sich zurückzogen. Die Umsatzerwartungen wurden im­mer weiter hinausgeschoben. Zu­erst sollten die smarten Produkte schon 2020 signifikante Umsätze bringen, dann wurde daraus das Jahr 2022. Doch danach sieht es nicht aus. Im zweiten Quartal generierten die unter Gerresheimer Advanced Technologies (GAT) firmierenden Aktivitäten lediglich 3 Mill. Euro an Erlösen und schreiben weiterhin rote Zahlen. Immer mal wieder gibt es Meldungen über vielversprechende Kooperationen wie gerade mit dem bayrischen Mittelständler Zollner Elektronik, doch greifbar ist noch wenig. Auf dem Markt ist bislang eine Mikropumpe für ein Parkinson-Medikament. In der Guidance des Konzerns taucht GAT wohlweislich nicht auf. Investoren können somit auf das smarte Potenzial der Sparte quasi eine Wette eingehen.

Als Basis und äußerst werthaltige Rückversicherung dient aber ein ordentlich laufendes Kerngeschäft. Mit den Halbjahreszahlen demonstrierte Gerresheimer gerade die eigene Preisgestaltungsmacht und rechnet für das zweite Halbjahr mit einer starken Margenverbesserung. Als systemrelevantes Unternehmen geht der Vorstand außerdem nicht von einer Gasrationierung aus und sieht sich durch Hedging zudem gewappnet.

Hoher Verschuldungsgrad

Der Blick in die Bilanz offenbart eine Schwäche von Gerresheimer: Das Unternehmen arbeitet mit viel Einsatz von Fremdkapital. Der Verschuldungsgrad liegt aktuell beim 3,4-Fachen des Ebitda, was den finanziellen Spielraum und die Flexibilität eindämmt. Die Gefahr, kurzfristig für die Refinanzierung deutlich stärker zur Kasse gebeten zu werden, scheint zunächst gebannt. Bereits Anfang Juli vereinbarte CFO Bernd Metzner mit den Banken eine neue 150 Mill. Euro schwere revolvierende Kreditlinie über drei Jahre, nachdem im November ein Schuldschein mit gleichem Volumen emittiert worden war. Beides soll einen in diesem Jahr fälligen Schuldschein mit einem Volumen von 306 Mill. Euro ersetzen. Die Refinanzierung sei sogar zu leicht verbesserten Konditionen gelungen, merkte die Gerresheimer-Finanzabteilung an.

Schwächen offenbart Gerresheimer auch in Sachen Diversität. Das vor fünf Jahren definierte Ziel, bis April 2022 eine Frau in den Vorstand zu berufen, wurde verfehlt. Bis heute ist das dreiköpfige Führungsgremium rein männlich be­setzt.

Ankeraktionär fehlt

Die Gerresheimer-Aktien sind breit gestreut. Einen Ankeraktionär hat der Konzern seit dem Ausstieg von Private-Equity-Investor Blackstone und der Wiedereinführung an die Börse im Jahr 2007 nicht mehr. Goldman Sachs hält mit gut 12% derzeit das größte Paket, der niederländische Versicherer NN Group besitzt rund 10%. Mit dem Stichting Pensioenfonds ABP, dem niederländischen Altersvorsorgefonds für Angestellte der öffentlichen Hand, Lehrer und Erzieherinnen, sowie der norwegischen Zentralbank finden sich weitere eher langfristig orientierte Anleger unter den größten Aktionären.

Analysten empfehlen die Gerresheimer-Aktie, die mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von aktuell 23 aufwartet, mit deutlicher Mehrheit zum Kauf. Deutsche Bank und Bankhaus Metzler haben mit je­weils 105 Euro das höchste Kursziel, der Durchschnitt liegt bei knapp 90 Euro. Aktuell notieren die Gerresheimer-Titel jedoch lediglich bei 60 Euro. Übernahmespekulationen kamen im Juni bereits auf. Doch ob Bain Capital oder jemand anderes tatsächlich ernsthaft interessiert ist, bleibt aktuell noch offen.

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