Healthcare-Investments

Gesundheit fürs Depot

Obwohl die Gesundheitsbranche in Pandemiezeiten viel Aufmerksamkeit erfährt, hinken ihre Aktien dem Markt hinterher. Fondsmanager sehen aber gerade bei Werten aus der zweiten Reihe großes Potenzial.

Gesundheit fürs Depot

Gesundheitsaktien machen eine beschwerliche Rekonvaleszenz durch: Zwar haben sich die Gewinne vieler Unternehmen aus dem Healthcare-Sektor während der Corona-Pandemie äußerst positiv entwickelt, doch die Notierungen haben im Verlauf der vergangenen anderthalb Jahre geschwächelt. Das zeigt sich an der Underperformance des MSCI World Health Care gegenüber dem marktbreiten MSCI World seit dem Corona-Crash im März des vergangenen Jahres. Die Gründe sind vielschichtig: So hat die Aussicht auf einen konjunkturellen Aufschwung nach der Pandemie in den ersten Jahresmonaten eine Rotation in Richtung Value ausgelöst, während die Furcht vor einer Inflationsbeschleunigung und daraus resultierende Renditeanstiege am Anleihemarkt Wachstumswerte, zu denen auch die Healthcare-Aktien gehören, belasten. Zudem löste der Sieg der Demokraten bei den Präsidentschafts- und Kongresswahlen Sorgen bezüglich staatlicher Eingriffe in die Preisbildung der US-Pharmabranche aus. Doch nach der enttäuschenden Performance der Gesundheitsaktien sehen Vermögensverwalter gewaltiges Aufholpotenzial.

„Der Gesundheitssektor dürfte bis 2030 mit einer Rate von 6 % per annum wachsen, im Vergleich zu den meisten globalen Volkswirtschaften ist das äußerst beachtlich“, sagt Kai Brüning, Senior Portfoliomanager Healthcare bei apoAsset, im Interview mit rendite auf Seite 32. Dabei dürfte laut den Analysten von Bloomberg Intelligence auch der Absatz europäischer und amerikanischer Konzerne mit Markenarzneimitteln stabil zulegen: Bis 2025 werde er, ausgehend vom 2020 erreichten Volumen von knapp 580 Mrd. Dollar, auf 742 Mrd. Dollar steigen. Brüning geht davon aus, dass solche Fundamentaldaten verstärkt in den Fokus der Investoren rücken. Der Discount, mit dem Gesundheitsaktien im Vergleich zum breiten Markt gehandelt würden, sei daher nicht gerechtfertigt.

Bestärkt werden die Wachstumsaussichten durch mehrere Trends. „Mit wachsendem Wohlstand ist eine gesunde Lebensweise in Industrienationen und etablierten Schwellenländern in den vergangenen Jahren stärker ins Blickfeld geraten, die Coronakrise hat dies noch verstärkt“, sagt David Wehner, Senior Portfoliomanager beim Vermögensverwalter Do Investment. Neben der Bedeutung einer schnellen und adäquaten Herstellung von Arzneimitteln und Impfstoffen habe die Pandemie den Wert einer fortschrittlichen Medizintechnik unterstrichen. „So haben Beatmungsgeräte von Drägerwerk auf Intensivstationen Leben gerettet“, führt Wehner aus.

Gewaltige Zuflüsse

Infolge der verstärkten Aufmerksamkeit flössen der Branche gewaltige Mittel zu. „Einerseits erhalten Unternehmen wie Curevac und Biontech staatliche Unterstützung, andererseits ist der Gesundheitsmarkt auch für finanzstarke Konzerne aus anderen Sektoren interessant geworden“, sagt Wehner. Google etwa habe eine eigene Healthcare-Sparte gegründet. „Neben Kooperationen zwischen Healthcare-Unternehmen und branchenfremden Konzernen dürfte es auch innerhalb des Sektors zu mehr Fusionen und Übernahmen kommen“, prognostiziert Wehner. So arbeite der französische Pharmakonzern Sanofi bereits daran, die US-Biotechschmiede Translate Bio zu übernehmen.

Das Unternehmen hat sich auf mRNA-Therapeutika spezialisiert, mit denen sich genetische Informationen für den Aufbau eines bestimmten Proteins in Zellen übertragen lassen. Nach Ansicht der US-Investmentbank J.P. Morgan Cazenove ist der Deal für den französischen Pharmakonzern strategisch sinnvoll. So sei es wahrscheinlich, dass darüber die Entwicklung von Impfstoffen gegen neuartige Seuchen sowie neue Herangehensweisen bei der Bekämpfung bestehender Krankheiten wie der Grippe angestoßen werden könnten.

„Durch mRNA sind tiefe Eingriffe in die Genetik möglich, die Technologie könnte daher künftig auch eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Krebs und Herzkrankheiten spielen“, sagt Wehner. Gerade kleine Entwickler, die einem geringeren Aktionärsdruck ausgesetzt seien, erzielten dabei bedeutende Fortschritte. Für Großkonzerne ergebe es daher Sinn, sich das Know-how durch Kooperationen oder Übernahmen ins Haus zu holen und durch ihre etablierte Marktposition höhere Skalierungen bei mRNA zu erreichen.

Obwohl die Branchenführer aufgrund ihres diversifizierten Produktportfolios für viele Anleger die sicherere Option darstellten, böten Werte aus der zweiten Reihe große Chancen. Künftig dürften sich laut Wehner für Investoren sogar mehr Möglichkeiten bieten, da die Zahl der Börsengänge im Segment vermutlich zunehmen werde. „Im Markt ist extrem viel Liquidität vorhanden. Das dürften junge Healthcare-Anbieter nutzen, um sich frisches Kapital zu sichern und ihre Forschung vorantreiben zu können“, sagt Wehner.

Tatsächlich haben viele Titel aus der zweiten Reihe im laufenden Jahr der gebremsten Börsenstimmung für den Sektor getrotzt. Die Moderna-Aktie weist seit Anfang Januar gerechnet mit Abstand den stärksten Kursanstieg unter allen Titeln im S&P 500 auf und wird von der Entwicklung des ebenfalls an der US-Technologiebörse Nasdaq gelisteten Depositary Receipts von Biontech noch übertroffen. Und wenngleich Regeneron seit Jahresbeginn weniger stark zugelegt haben als die Papiere der beiden mRNA-Impfstoffvorreiter, übertrifft die Aktie des Biotech-Unternehmens viele größere Wachstumswerte klar.

Performancestarke Passivfonds

Für Fonds bedingt die Tiefe des Healthcare-Markts mit seinen performancestarken Wirkstoff-Schmieden, breit aufgestellten Pharmakonzernen, großen Versicherern und spezialisierten Anbietern aus Subsegmenten wie der Tiergesundheit Diversifikationsvorteile. Zu den Gesundheitsfonds, die in den vergangenen zwölf Monaten am besten abgeschnitten haben, gehört der MIV Global Medtech Fund. Allerdings sind auch bekanntere Häuser am Markt unterwegs, darunter BlackRock, J.P. Morgan und Fidelity – wobei sich der Blick auf die Kosten für Anleger lohnt. Bei den von rendite ausgewählten Aktivfonds aus dem Segment reicht die Spanne vom mit 1,55 % per annum günstigsten MIV Global Medtech Fund bis zum mit 2,37 % p.a. teuersten Janus Henderson Global Life Science Fund. Indes sind Investoren mit Passivprodukten teils besser gefahren. So sticht der iShares S&P 500 Health Care Sector ETF den Großteil der Aktivfonds im Segment nach Performance aus – und die laufenden Kosten von lediglich 0,15 % per annum.

Zu den schwersten Werten im Basisindex des ETF gehören zwei Pharmariesen, bezüglich derer die Meinungen der Investmenthäuser gegensätzlich ausfallen. Während laut Bloomberg zwölf von 20 Analysten eine Kaufempfehlung für Johnson & Johnson aussprechen und der Rest auf „Halten“ votiert, stehen bei Pfizer acht Kaufempfehlungen 15 „Halten“-Vota gegenüber – und eine Verkaufsempfehlung. Die gedämpfte Stimmung für Pfizer begründet J.P. Morgan damit, dass das aktuelle Absatzniveau des gemeinsam mit Biontech entwickelten Impfstoffes wohl kaum zu halten sei.

Für die Pharmariesen kommt es nun auch darauf an, in anderen Wirkstoffklassen Wachstum zu generieren. Allerdings besteht für Pfizer laut Barclays bezüglich möglicher schwerwiegender Nebenwirkungen beim Medikament Xeljanz, das bei rheumatoider Arthritis zur Anwendung kommt, Unsicherheit. Bei Johnson & Johnson sieht J.P. Morgan indes durch eine starke Pipeline gesunde Wachstumsaussichten. Das Medikament Stelara, das zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird, sei dabei ein Treiber.

Für neue pharmazeutische Erzeugnisse ist laut Do-Stratege Wehner künftig indes eher nicht mit schnelleren Zulassungen zu rechnen, wenngleich die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) für die Impfstoffe in der Notsituation der Pandemie Ausnahmen gemacht habe. „Natürlich würde sich die Pharmaindustrie eine Abkürzung der langen Verfahren wünschen, da diese mit enormen Kosten in der Forschung und Entwicklung verbunden sind. Doch in der Historie gibt es genügend Fälle, in denen Wirkstoffe einschneidende und irreparable Nebenwirkungen hatten“, sagt Wehner.

Gefahr durch Imageschäden

Bezüglich eines Einsatzes von mRNA bei der Bekämpfung von Krebs seien ausgereifte Testverfahren in mehreren Phasen aufgrund der möglichen Eingriffe in die Genetik unabdingbar. „Wenn durch einen Wirkstoff langfristige Schäden entstehen, kann dies das Image eines Unternehmens und damit auch seine Finanzen und den Aktienkurs empfindlicher treffen als kurzfristige Rückschläge bei der Zulassung“, betont Wehner. Dies gelte insbesondere für Unternehmen wie Biontech, die stark vom Erfolg eines Patents abhängig seien.

Allgemein seien Regulierungsprozesse in der Europäischen Union häufig langwieriger als in anderen Märkten. Deshalb würden Innovationen in Asien und den USA vermutlich schneller großflächig eingesetzt als in der Staatengemeinschaft. So auch die Robotik, die für das Wachstum des Gesundheitsmarkts eine wichtige Rolle spiele. „Es gibt bereits Start-ups, die sich auf Anwendungen für enorm penible Eingriffe am Herzen oder Hirn spezialisiert haben und versuchen, den menschlichen Fehler zu eliminieren“, führt Wehner aus.

Zunächst sei der Einsatz solcher Technologien zwar teuer, allerdings ließen sich somit Kosten für Folgebehandlungen vermeiden. Hinzu kämen Chancen durch die Blockchain-Technologie und künstliche Intelligenz, die eine effizientere Speicherung und Analyse von Patientendaten ermöglichten. Auch die Tatsache, dass viele Mäzene aus philanthropischer Motivation oder Entdeckergeist große Mittel in den Gesundheitsmarkt steckten, komme der Branche zugute. Somit sprechen viele Faktoren dafür, dass auch die Aktien des Sektors ihre beschwerliche Rekonvaleszenz noch erfolgreich abschließen.

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