Guy Wagner, Banque de Luxembourg

„Gold ergibt in einem diversifi­zierten Port­folio viel Sinn“

Eine Implikation des Ukraine-Krieges sind für Guy Wagner, Anlagechef der Banque de Luxembourg Investments (BLI), höhere Rohstoffpreise. Eine dauerhaft, strukturell höhere Inflation sieht er aber nicht.

„Gold ergibt in einem diversifi­zierten Port­folio viel Sinn“

Kai Johannsen.

Herr Wagner, welche größten wirtschaftlichen Implikationen be­­ziehungsweise Folgen für die Finanzmärkte leiten Sie aus dem nun gut zwei Wochen andauernden Ukraine-Krieg ab?

Die wirtschaftlichen Implikationen werden wohl vor allem über die Rohstoffpreise kommen. Steigende Rohstoffpreise erhöhen noch einmal den Inflationsdruck. Höhere Inflation wiederum beeinträchtigt die Kaufkraft der Haushalte und somit das Wachstum. Für die Finanzmärkte kann man global sagen, dass Investoren durch die Verschlechterung des geopolitischen und wirtschaftlichen Umfelds eine höhere Risikoprämie fordern, was im Umkehrschluss niedrigere Aktienbewertungen bedeutet. Positiv ist vielleicht anzumerken, dass die Zentralbanken trotz höherer Inflation möglicherweise weniger aggressiv bei ihren Zinserhöhungen vorgehen werden.

Die Inflationsraten sind praktisch rund um den Globus im Zuge der Pandemiefolgen gestiegen, zum Teil auf die höchsten Stände seit einigen Jahrzehnten. Wie geht es mit der Inflation weiter?

Ich gehe davon aus, dass sich einige dieser Faktoren, die hinter diesen Preisanstiegen stehen, mittelfristig wieder abschwächen. Das sollte die Inflationsraten dann auch wieder zurückkommen lassen. Wir müssen unterscheiden zwischen anhaltender Inflation und einer einmaligen Preisanpassung. Dabei sind in erster Linie die Basiseffekte zu nennen, die im Zeitablauf die Inflation wieder auf geringere Anstiegsraten fallen lassen. Anhaltende Preisniveau-Anstiege hätten wir ja nur dann, wenn die Preise immer weiter steigen würden. Das ist jedoch nur möglich, wenn auch die Löhne immer weiter steigen, so wie das zum Beispiel in den 1970er Jahren der Fall war, als die Löhne noch an die Inflation indexiert waren. Ohne solche Lohn-Preis-Spiralen kann die Inflation nicht ständig weiter in diesem Ausmaß ansteigen. Legen die Gehälter nämlich nicht in gleichem Ausmaß zu, müssen Haushalte für Produkte, die teurer werden, mehr ausgeben. Dieses Geld fehlt dann aber verständlicherweise an anderer Stelle und kann dann nicht kaufkräftig und preissteigernd wirken. Der Preisanstieg einiger Produkte und Dienstleistungen wird dann vom Preisrückgang anderer Produkte und Dienstleistungen kompensiert. Hier wird meiner Ansicht nach nicht genügend differenziert.

Rechnen Sie in den kommenden Jahren mit einer dauerhaft, strukturell bedingt höheren Teuerung? Welche Faktoren sprechen dafür, welche Faktoren werden sich in den kommenden Jahren eher wieder abschwächen?

Eine dauerhaft, strukturell höhere Inflation bekommen wir nur dann, wenn sich diejenigen Faktoren umkehren, die in den vergangenen Jahren dafür verantwortlich waren, dass die Inflationsraten so niedrig gewesen sind. Dazu gehört etwa die Globalisierung, die dazu führte, dass die Produktion in Länder verlagert wurde, in denen die Lohnkosten niedrig gewesen sind. Der technologische Fortschritt gehörte auch dazu, er zeigte einen disinflationären oder sogar deflationären Einfluss. Beim Faktor technologischer Fortschritt sehen wir keine Umkehrung, aber in gewissem Maße schon bei der Globalisierung. Die Pandemie hat in weiten Teilen der Wirtschaft zu einem Umdenken geführt. Bestimmte Produktionsprozesse haben viele Adressen nun doch lieber wieder näher an oder sogar in ihrem Heimatland. Wenn die Globalisierung zu weniger Inflation führte, dann führt die Deglobalisierung im Umkehrschluss tendenziell eher wieder zu höheren Preissteigerungsraten.

Und der Energiebereich?

Die Energiepreise sind zudem ein wichtiger Faktor. Hier wurde in den fossilen Energieträgern in der Vergangenheit wenig investiert, zum Teil auch aus ESG-Überlegungen heraus. Bei vielen Energieträgern und anderen Rohstoffen kann sich daher ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ergeben. Das führt wiederum zu höheren Preisen.

Wie werden die Notenbanken reagieren, allen voran die Fed? Ist die Zeit des billigen Geldes in den USA absehbar zu Ende, und wie sehen Sie das auch unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges?

Vor dem Ukraine-Krieg haben die Zentralbanken schon sehr klar kommuniziert, was sie machen wollen. Noch vor wenigen Monaten hatte die Fed Zinsanhebungen vor Ende 2022 oder sogar Anfang 2023 eine Absage erteilt. Nun deutet es eher darauf hin, dass es vier, womöglich sogar fünf Leitzinsanhebungen in den USA geben könnte. Der Einfluss des Ukraine-Krieges auf die US-Zinspolitik lässt sich zum momentanen Zeitpunkt noch recht schwer abschätzen. Es ist jedoch durchaus denkbar, dass die Fed nun ein wenig zurückrudert.

Und die Europäische Zentralbank? Präsidentin Christine Lagarde hat einer Zinserhöhung in diesem Jahr nun ja nicht mehr explizit eine Absage erteilt. Geht auch hier die Zeit der ultralockeren Geldpolitik zu Ende?

Die EZB hat ihre Zinssteigerungen von Mitte kommenden Jahres auf Ende dieses Jahres vorgezogen. Das war ohne Zweifel die Haltung der EZB vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges. Nun ist es durchaus möglich, dass die EZB vielleicht nicht ganz so forsch zu Werke gehen wird, wie man dies Mitte Februar noch hätte annehmen können.

Was bedeutet die Inflationsentwicklung im Umkehrschluss für die etablierten großen Bondmärkte, also US-Treasuries und Bundesanleihen: weiter höhere Renditen in Sicht? Oder kommt es doch nicht dazu? Denn in der jüngeren Vergangenheit sind die Renditen der US-Treasuries und der Bundesanleihen unter dem Eindruck des Krieges ja wieder sehr stark gefallen.

Die Zentralbanken kontrollieren bekanntlich nur die kurzfristigen Zinsen, die langfristigen Zinssätze bilden sich ja am Markt. In den USA liegt die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe unterhalb der Marke von 2%. Wir haben eine Inflationsrate in den USA von 7,9%. Das bedeutet: Wir haben einen negativen US-Realzins von etwa 6%. Daraus kann man schließen, dass an den Anleihemärkten davon ausgegangen wird, dass die Inflation auf mittlere Sicht wieder fallen wird. Denn ansonsten würde das aktuelle Zinsniveau keinen Sinn ergeben.

Was ist dabei entscheidend?

Entscheidend ist für das lange Ende des Anleihemarktes natürlich auch das künftige Wachstum. Wir hatten in der jüngeren Vergangenheit auch ein stärkeres Wachstum, wozu auch Aufhol- beziehungsweise Nachholphasen der Wirtschaft beziehungsweise des privaten Konsums nach der Pandemie beigetragen haben. Dazu beigetragen haben darüber hinaus die umfangreichen Stimulierungsmaßnahmen der Regierungen. Einige Indikatoren deuten nun aber schon wieder an, dass das Wachstum in vielen Ländern wieder schwächer werden könnte. Das nimmt von den langfristigen Anleiheverzinsungen auch einen Teil des Aufwärtsdrucks wieder weg. In vielen Ländern werden die langfristigen Bondrenditen niedrig bleiben, so dass klassische Investments in Anleihen für weite Anlegerkreise wenig Sinn ergeben.

An welchen Staatsanleihemärkten tun sich in diesem Umfeld denn noch für Anleger Opportunitäten auf?

Die US-Treasuries mögen in manchen Phasen ja noch sinnvoll sein, wenn beispielsweise die Aktienmärkte in Mitleidenschaft gezogen werden. Das geschieht etwa, wenn auf längere Sicht wieder Wachstumsängste kommen und dann bestimmte Unternehmen und damit deren Aktien unter Druck geraten. In den USA mögen die Sätze, die wir aktuell sehen, dann vielleicht noch für den einen oder anderen Investor zu rechtfertigen sein. Aber in der Eurozone, gerade bei den Qualitätspapieren wie den Bundesanleihen, sind die Renditen so niedrig, dass ein In­vestment aus meiner Sicht wenig Sinn ergibt. Abseits davon muss man sich dann schon in den Schwellen­ländern nach Investmentopportunitäten um­sehen, die aber auch ihre spezifischen Risiken aufweisen. Insgesamt stellen die klassischen etablierten Staatsanleihen eine Anlageklasse dar, die in den vergangenen Jahren relativ unattraktiv geworden ist, und zwar unter Rendite-Risiko-Aspekten.

Das heißt?

Die Renditen sind sukzessive gefallen. Bei zehnjährigen Bundestiteln sind sie zwischenzeitlich sogar wieder unter die Nulllinie gegangen. Das Risiko ist gemessen an der Kapitalbindungsdauer im Gegenzug immer weiter gestiegen. Sollten die Renditen einmal steigen, bedeutet das im gegenwärtigen Umfeld bei den sehr niedrigen Renditen höhere Risiken, als wenn ein Anstieg in gleichem absoluten Ausmaß ausgehend von höheren Niveaus stattfände.

Das gegenwärtige Umfeld spricht doch stark für Sachwerte: Sollten Anleger aus Furcht vor Inflation mehr in Sachwerte gehen?

Das würde ich schon so sehen. Geldwerte ergeben nur Sinn, wenn man eine positive Realverzinsung hat. Und von den Zentralbanken sollte man den Eindruck haben, dass ihnen der Wert der jeweiligen Währungen auch sehr am Herzen liegt. Das sehen wir in diesem Umfeld meines Erachtens ja nicht unbedingt. Deshalb sind Geldwerte in diesen Zeiten von negativen Realzinsen eher uninteressant, und man sollte eher Sachwerten den Vorzug geben.

Aktien gehören auch zu Sachwerten. Sie sind bekanntermaßen ein Freund von Qualitätsaktien. Diese sind in den vergangenen Monaten wenn nicht gar Jahren aber auch sehr teuer geworden – wie sollten Anleger hier agieren, beziehungsweise wie agieren Sie?

Unserer Methodologie folgend setzen wir grundsätzlich darauf, Aktien von qualitativ hochwertigen Unternehmen zu kaufen. Diese Unternehmen haben Alleinstellungsmerkmale, die sie von ihren Wettbewerbern unterscheiden. Das können Wettbewerbsvorteile bestehend aus einer Marke, einem bestimmten Vertriebsnetz oder einer Technologie sein. Damit können sich diese Unternehmen klar von ihren Konkurrenten abgrenzen und dauerhaft höhere Margen und eine dauerhaft höhere Rentabilität in ihrem Geschäft erzielen. Diese Firmen generieren somit einen höheren Cashflow und sind demzufolge weniger auf Fremdfinanzierung angewiesen. Sie weisen somit stärkere Bilanzen auf. Es ist für uns wichtig bei dieser Strategie, keine Kompromisse einzugehen. Aber es ist zweifelsohne richtig, dass diese Unternehmen in den vergangenen Jahren vergleichsweise teuer geworden sind. Die Herausforderung besteht demnach in diesem Umfeld für uns darin, weiterhin genau solche Unternehmen zu finden, ohne jedoch überteuerte Preise zu zahlen. Das bedeutet umgekehrt aber nicht, dass wir unserer Strategie untreu werden und in qualitativ minderwertige Unternehmen investieren, nur weil diese möglicherweise billiger scheinen.

Welche beiden Faktoren sind für Aktien entscheidend, gerade in der jetzigen Situation?

Das sind zum einen die Bewertungen. Dazu gehören die absoluten Bewertungen etwa in Form eines Kurs-Gewinn-Verhältnisses, aber auch die relativen Bewertungen, die das Zinsniveau mit in Betracht ziehen. Denn es macht nun mal einen Unterschied, ob der risikolose Zinssatz – etwa einer zehnjährigen Staatsanleihe – bei 10% oder bei 2% liegt. Zum anderen ist es das all­gemeine Umfeld. Letzteres wird geprägt von der Geldpolitik der Zentralbanken sowie den wirtschaftlichen und geopolitischen Entwicklungen. Dieses Umfeld hat sich verschlechtert, so dass man annehmen könnte, dass die Anleger künftig eine höhere Risikoprämie verlangen werden, wenn sie in Aktien investieren sollen. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Kurse erst einmal fallen müssten, um den Anlegern eine solch höhere Risikoprämie zu bieten.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Bewertungsniveau und nachfolgender langfristiger Rendite von Aktien, speziell am US-Aktienmarkt?

Der gesunde Menschenverstand sagt einem: Der Preis bestimmt die Rendite. Die Geschichte belegt das auch. Denn sie zeigt, dass, wenn Sie Aktien zu hohen Bewertungen gekauft haben, Sie in den folgenden zehn Jahren eine niedrige Rendite bekommen haben. Umgekehrt erhielt selbstredend derjenige, der zu niedrigen Bewertungen kauft, in der Regel in der Folgezeit eine hohe Rendite. Diese Korrelation zwischen Bewertung und Rendite funktioniert allerdings nur langfristig. Kurzfristig gibt es keine enge Korrelation zwischen Bewertung und Rendite: Ein teurer Markt kann kurzfristig noch teurer, ein billiger Markt noch billiger werden. Mittel- bis langfristig funktioniert diese Strategie recht gut. Da derzeit die Bewertungen an vielen Aktienmärkten im historischen Kontext immer noch vergleichsweise hoch sind, muss man sich daher bei einem rein passiven Investment auf eine sehr niedrige Rendite einstellen.

Gold gilt seit jeher als Inflationsschutz. Sollten Anleger noch in Gold einsteigen, oder gibt es im Goldmarkt auch interessantere Alternativen zum Direktinvestment?

Gold ergibt in einem diversifizierten Portfolio weiterhin recht viel Sinn: als Inflationsschutz und als Schutz gegen die geopolitischen Risiken. Gold ist vor allem dann attraktiv, wenn die Zinsen beziehungsweise die Realzinsen negativ sind. In einem derartigen Umfeld befinden wir uns ja derzeit. Ich selbst kaufe weniger Gold und eher Goldminenaktien. Bei einem steigenden Goldpreis legen die Kurse guter Goldunternehmen normalerweise überproportional zu.

Das Interview führte

BZ+
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