Großes Hallo bei China-Aktien
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Einen pessimistisch gestimmten China-Analysten zu finden, scheint in den vergangenen Wochen ein Ding der Unmöglichkeit geworden zu sein. Bei den globalen Investmentbanken setzt man ohne Wenn und Aber auf eine weiterführende steile Hausse von chinesischen Aktienwerten. Die Aussichten auf ein wieder kräftiger anziehendes Wirtschaftswachstum sind nach der jüngsten Wende in der chinesischen Corona-Politik allemal gegeben.
Die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft soll nach der langen und drakonischen Abriegelung wieder vollständig geöffnet werden. Mit der Abschaffung sämtlicher Restriktionen unter dem Banner der Null-Covid-Strategie setzen die Experten nun auf eine starke Belebung in weiten Ausschnitten des Dienstleistungssektors und eine grundsätzliche Erholung der im vergangenen Jahr durch Lockdown-Maßnahmen und Mobilitätsrestriktionen praktisch völlig verkümmerten Konsumkonjunktur.
Die chinesische Regierung hat Anfang Dezember die Wende bei der sogenannten „Null-Covid-Strategie“ nach aufsehenerregenden Bürgerprotesten allerdings so abrupt und ohne gesundheitspolitische Vorbereitungen eingeleitet, dass das Land nun tatsächlich von einer gewaltigen Corona-Ansteckungswelle mit noch unsicheren wirtschaftlichen Folgen überflutet wird. An den Märkten allerdings scheint das bislang niemand aus dem Konzept gebracht zu haben. Die Risiken einer totalen Überfrachtung des Gesundheitssystems, die Gefahr von neuerlichen Störungen der Industrieproduktion, die Möglichkeit einer tatsächlich äußerst zähen Erholung der Konsumkonjunktur sowie einer fortgesetzten Zurückhaltung am kriselnden Wohnimmobilienmarkt werden zumindest bei den Aktienstrategen geflissentlich ausgeblendet.
Nachfrage lässt nach
Völlig in den Hintergrund scheint auch Chinas jüngste Exportperformance getreten zu sein. Dies, obwohl sie eindeutig erkennen lässt, dass die globale Nachfrage nach chinesischen Exportgütern stark nachlässt. Damit dürfte Chinas Außenhandel im neuen Jahr anders als in der Pandemiezeit keine Glanzpunkte mehr setzen und auch nicht zum Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beitragen. Zum Sorgenfaktor könnte schließlich auch die Inflationsentwicklung werden. Die restriktionsbedingte Konsumbremse hat Chinas Verbraucherpreise im krassen Gegensatz zu Inflationsschüben in der westlichen Welt stark im Zaum gehalten. Manche Ökonomen halten nun aber einen scharfen postpandemischen Preisdruck in China für möglich, der Chinas Zentralbank zu einer für das Aktienmarktklima nicht gerade förderlichen restriktiven Geldpolitik nötigen könnte.
Trotz der Reihe von Hindernissen, die einer rauschhaften Konjunkturerholung unter dem Wiederöffnungsmotto entgegenstehen, sind die China-Aktienstrategen bei den großen Investmentbanken äußerst „bullish“ gestimmt. Sie rechnen mit einer Fortsetzung der imposanten Hausse, die Anfang November mit ersten Spekulationen über Pekinger Pläne zum graduellen Ausstieg aus der Null-Covid-Politik begonnen hatte, und seitdem kaum an Schwung verloren hat. Im Gegenteil, die Aufhebung der Restriktionen für Einreisen nach China und damit auch die Wiederaufnahme des drei Jahre geblockten Personenverkehrs zwischen dem chinesischen Festland und Hongkong zum 8. November haben den Anlegern nochmals Anlass für eine flotte Jahresauftaktrally gegeben.
An der Hongkonger Börse etwa hat der Leitindex Hang Seng in der ersten Januarwoche gleich einmal um gut 6% zugelegt und damit den besten Start seit 1999 erwischt. Dabei haben vor allem Signale der Pekinger Regierung, dass sie ihre im Oktober 2020 mit dem Verbot des Börsengangs des Fintech-Riesen Ant Group und massiven Strafaktionen gegenüber einer Reihe weiterer großer Internetfirmen begonnene Regulierungskampagne im Technologiesektor nun endgültig ad acta legen wird, weiteren Auftrieb gegeben. Börsenschwergewichte wie Alibaba und Tencent haben in den ersten Januartagen massiv um 23% bzw. 10% zugelegt.
Zielmarke angehoben
Mit der Renaissance der bei ausländischen Investoren besonders gefragten chinesischen Tech-Riesen sowie einer Reihe von zyklisch beeinflussten großen Konsumwerten hat der MSCI China Index als Benchmark für Aktienengagements in China eine gewaltige Hausse hingelegt und ist zum Jahresauftakt gleich mal um 10% geklettert. Bei zuletzt 70,4 Punkten beträgt der Abstand zum Tief von Ende Oktober nun praktisch genau 50%. Analysten bei Morgan Stanley und Goldman Sachs sehen das Ende der Fahnenstange damit freilich noch nicht erreicht. Zu Wochenbeginn wurde in beiden Häusern die Zielmarke für das Jahresende 2023 auf 80 Punkte angehoben, so dass man dem MSCI China einen weiteren Fortschritt von etwa 14% bzw. eine Jahresperformance von genau 25% zutraut.