Meituan stößt auf verdorbenen Appetit
Von Norbert Hellmann,
Schanghai
Die Geschwader von Kurieren mit gelben Jacken und Helmen, die Tag und Nacht auf ihren Elektromopeds durch die Gegend flitzen, um Essens- und Warenbestellungen zeitnah zu erfüllen, sind längst zu einer Art Wahrzeichen für moderne Dienstleistungskultur in Chinas Großstädten geworden. Die Farbkombination Gelb-Schwarz mitsamt dem Känguru-Logo steht für Meituan, Chinas drittgrößten Internetdienstleister und Tech-Konzern nach Alibaba und Tencent, der mit Anfängen als Schnäppchenportal, Online-Restaurantführer und Ticketbuchungsplattform nun vor allem mit mobilitätsverwandten Diensten vom Lieferservice über Fahrtenvermittlung bis zum Bike-Sharing auf mehr als 700 Millionen zahlende Plattform-Kunden kommt.
Meituan ist zum Inbegriff des Geschäftsmodells mit sogenannten On-Demand- und Lifestyle-Diensten für Chinas onlineaffine Massenkundschaft geworden, von dem man sich über Jahre hinweg hohe Wachstumsraten bei wachsenden Monetisierungschancen verspricht. Damit gilt die Aktie zwar als quasi unverzichtbarer Bestandteil von Investorenportefeuilles, die Chinas verbraucherzugewandter Tech-Branche das Vertrauen schenken. Sie ist aber auch eine Wette darauf, dass ein monströser Cashburn für die Logistikinfrastruktur bei urbanen Zustelldiensten und die Marketingkosten zur Popularisierung der App nicht nur das stets geforderte zweistellige Wachstum, sondern auch unter dem Strich zählbare Gewinne bringen.
Wette will nicht aufgehen
Die Wette ist bislang nicht wirklich aufgegangen. Zwar sind die Meituan-Dienste insofern eine Erfolgsgeschichte, als sie aus dem chinesischen Konsumalltag nicht mehr wegzudenken sind und die App auf praktisch jedem Smartphone einen festen Platz in den vordersten Reihen genießt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht jedoch ist es noch immer nicht gelungen, aus dem On-Demand-Sammelsurium und der Verknüpfung von E-Commerce und Mobilitätsdiensten ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das einen klaren Weg in Richtung Break-even vorzeichnet. Im Gegenteil: Nach einigen Fortschritten beim Abbau von Anlaufverlusten ist Meituan mit einer neuen Investitionsoffensive für lokale Lieferinfrastruktur in mittlerweile über 1000 chinesischen Städten erneut tief in die roten Zahlen gerutscht.
Für das Geschäftsjahr 2021, zu dem Meituan zu Ende März hin berichten wird, rechnen die Experten mit einem Rekordverlust über umgerechnet 2,7 Mrd. Dollar. Darin enthalten ist eine Strafe über 530 Mill. Dollar, mit der Meituan im Zuge der ausufernden chinesischen Regulierungskampagne im Technologiesektor Anfang Oktober wegen Marktmachtmissbrauch und wettbewerbsschädlichen Verhaltens abgekanzelt worden war.
Zielscheibe für Peking
Im Vergleich zum Konkurrenten Alibaba, der wegen gleichlautender Vorwürfe mit einer für Chinas Wirtschaftsgeschichte rekordhohen Buße über 2,7 Mrd. Dollar belegt wurde, ist Meituan einigermaßen gut weggekommen. Dennoch müssen die Anleger davon ausgehen, dass Meituan weiterhin eine Zielscheibe für die chinesische Regierung bei ihrem Feldzug zur Eingrenzung der Marktmacht von führenden App-Betreibern und Internetkonzernen abgibt.
Wie empfindlich der Markt auf jedwede Facette der Tech-Regulierungskampagne reagiert, zeigt der jüngste kapitale Kurseinbruch der Meituan-Aktie Ende Februar. So erließ Chinas Wirtschaftsplanungsrat NDRC im Verbund mit anderen Regulierungsbehörden als böse Überraschung einen neuen Maßnahmenkatalog, der zum Schutz des Gaststättengewerbes in pandemischen Zeiten gedacht ist und seinen Tech-Partnern eine Art Solidaritätsgeste zur Reduzierung der operativen Kosten der Bewirtungsbranche abverlangt.
Neuer Regulierungsschock
Meituan wird damit dazu gezwungen, die den Restaurants abverlangten Gebühren für Essenszustellungen und Werbeaktionen auf Meituan-Plattformen zu reduzieren, was nach groben Überschlagsrechnungen von Analysten die Konzernerlöse für das laufende Jahr um bis zu 10% zurückdrängen dürfte. Gleichzeitig ist damit quasi programmiert, dass die mit 3,3% bereits hauchdünnen Margen im Essenslieferungsgeschäft auf absehbare Zeit weiter nach unten zeigen werden.
Die Kursreaktion auf den Regulierungsvorstoß spricht Bände. Die Meituan-Aktie verlor binnen drei Handelstagen in Hongkong knapp 20% ihres Wertes, sackte auf ein Zweijahrestief bei 165 HK-Dollar ab und hat sich seitdem kaum erholt.
Geplatzte Blase
Die im Herbst 2018 in Hongkong gestartete Meituan-Aktie hatte nach enttäuschender Performance in den ersten eineinhalb Jahren im Frühjahr 2020 mächtig Wind in die Segel bekommen, weil die in China begonnene Corona-Pandemie mit ersten Lockdown-Erfahrungen, Lebensmittelzustellungen und E-Commerce einen neuen Boom verliehen. Binnen eines Jahres verfünffachte sich der Kurs, um Meituan zum Allzeithoch bei 445 HK-Dollar zur Februarmitte 2021 auf eine Marktkapitalisierung von 360 Mrd. Dollar zu bringen. Dann aber platzte die chinesische Tech-Blase und hat insbesondere den gegenüber Regulierungsbelangen empfindlichen Werten eine historische Talfahrt beschert. Gegenwärtig beträgt der Abstand zum Allzeithoch gut 60%.
Daumen nach oben
Wie bei chinesischen Tech-Werten üblich hält die Analystengemeinde den Daumen stets nach oben und geht fest davon aus, dass das von der Pekinger Offensive getrübte Sentiment irgendwann einmal doch wieder umschlägt. Seitens der rund 60 Adressen, die Meituan regelmäßig im Blick haben, finden sich gegenwärtig 55 Empfehlungen für Kauf oder Übergewichtung, fünf Halte-Signale und nur eine Ermunterung zum Verkauf. Die Experten rechnen also damit, dass Meituan im Sog einer Sektor-Rally wieder Potenzial nach oben hat. Von einer auf zügigen Ertragsfortschritten basierenden Kursfantasie ist allerdings wenig zu spüren.