Neue Wette auf Chinas Konsum
Von Norbert Hellmann, Schanghai
In einem sind sich die China-Ökonomen einig. Eine nachhaltige Erholung der Konjunktur von den Irrungen und Wirrungen der im Dezember über Bord gekippten Null-Covid-Politik kann nur gelingen, wenn der im vergangenen Jahr von übertriebenen Corona-Restriktionen erstickte Binnenkonsum wieder zur treibenden Kraft der weltweiten zweitgrößten Volkswirtschaft wird. Daran knüpfen sich auch die Wetten der Aktienanleger auf eine Fortsetzung der Ende Januar ins Stottern gekommenen „Öffnungsrally“, mit der Chinas Börsen nach einem kapitalen Absturz im Oktober 2022 wieder neues Leben eingehaucht bekommen hatten.
Zu Wochenbeginn haben sich die China-Strategen bei Goldman Sachs einen Ruck gegeben und die Ende Januar begonnene Korrekturphase für beendet erklärt. Sie nehmen jüngste Frequenzdaten zur Wirtschaftsaktivität, die von hohem Verkehrsaufkommen, einem Aufleben in der Gastronomie- und Unterhaltungsbranche sowie flotten Reisebuchungen zeugen, zum Anlass, der chinesischen Wirtschaft ein gutes Erholungspotenzial zu bescheinigen, und gehen davon aus, dass dies positiv auf die Unternehmensgewinne durchschlagen wird.
Goldman wagt sich nun mit einer sehr ambitiösen Zielmarke für den MSCI China Index hervor und prognostiziert für Jahresende 2023 einen Indexstand bei 85 Punkten. Beim Stand von zuletzt 68,6 Punkten würde dies eine äußerst flotte Performance für den MSCI China mit einem Anstieg von nochmals 24% im weiteren Jahresverlauf bedeuten. Die vor allem von ausländischen China-Anlegern verfolgte Benchmark hatte in den drei Monaten von Anfang November bis Ende Januar gut 20% zugelegt, dann aber im Februar wieder an Boden verloren. Dabei mischte sich beginnende Skepsis über die tatsächliche Wucht der chinesischen Konsumerholung mit geopolitischen Risikofaktoren im Zuge der zuletzt wieder heftigeren Spannungen zwischen China und den USA.
Zuletzt zurückgehalten
Tatsächlich haben sich ausländische Investoren, bei ihrem China-Engagement zuletzt wieder stärker zurückgehalten, zeigen die Daten zur Frequentierung des sogenannten Shanghai Hongkong Stock Connect. Über diesen Verknüpfungsmechanismus der Hong Kong Exchanges zu den Börsen in Schanghai und Shenzhen steigen globale Investoren bevorzugt in chinesische Festlandaktien ein. Nachdem man im Januar die höchsten Nettokäufe im Rahmen des Stock Connect seit Pandemiebeginn verzeichnen konnte, hat sich das Geschehen im Februar wieder extrem beruhigt. Immerhin sieht man aber keine Nettoabflüsse wie bei der China-Aktiendelle im Oktober.
Als Schwachstelle erweisen sich zuletzt allerdings ausgerechnet die den chinesischen Massenkonsum mitprägenden großen chinesischen Techunternehmen wie Alibaba, JD.com, Meituan oder Tencent. Das Wiederaufbäumen der Tech-Aktien im November und Dezember hatte wesentlich zur chinesischen Öffnungsrally beigetragen. Dabei sprangen die Anleger vor allem auch auf dezente Signale an, dass die chinesische Regierung ihre gut zwei Jahre während massive Regulierungskampagne zur Beschneidung der Marktmacht von heimischen Internetkonzernen und der Züchtigung führender Tech-Entrepreneurs austrudeln lässt.
Die Entlastung beim politischen Risikofaktor ist aber bereits in den Kursen reflektiert, während positive Einschätzungen zur laufenden Konsumkonjunktur kaum noch abfärben. Dies liegt daran, dass die Geschäftsmodelle der führenden Internetkonzerne, deren Wachstumspotenzial fast ausschließlich im Heimatmarkt angesiedelt ist, etwas ausgereizt wirken und nicht mehr die vormals gewohnten zweistelligen Umsatzzuwächse hergeben. Damit zeichnet sich vor allem im E-Commerce-Bereich und in anderen konsumverwandten Internetdiensten ein Ringen um Anteile am nicht mehr stark expandierenden Kuchen ab, der auf einen intensiveren und margenfressenden Preiswettbewerb hindeutet.
Bestes Beispiel ist der nach Alibaba zweitgrößte Onlinehändler des Landes JD.com. Dessen jüngste Andeutungen zu Preissubventionen, um in der Marktanteilsschlacht gegenüber neueren Rivalen wie Pinduoduo und Meituan zu punkten, haben die Anleger am Dienstag regelrecht in die Flucht geschlagen. In Hongkong verlor der JD-Kurs am Dienstag um 8,5% und wurde bei der Eröffnung in New York sogar um 11% zurückgedrängt. Auch andere chinesische Tech-Werte sind stark in Mitleidenschaft gezogen worden. In Hongkong büßte der Hang Seng Tech Index am Dienstag um 3,6% ein und weist zu seinem Jahreshoch am 26. Januar nun bereits wieder einen Abstand von fast 14% auf.
Die Anleger schielen nun mit einiger Nervosität auf den Donnerstag, wenn der Sektorgigant Alibaba seine Zahlen für das Dezemberquartal vorlegen wird. Nachdem sich das Wachstum der Konzernumsätze im vergangenen Jahr auf die Kriechspur begeben hat, ist trotz allgemeiner Konsumbelebung in China nicht mehr mit hoher Erlösdynamik zu rechnen. Am Dienstag musste Alibaba ebenfalls kräftig Federn lassen und rutschte im New Yorker Handel bis Mittag um 5% ab.