China-Aktien

Peking ist der Stimmungs­killer

Chinas Aktienmarkt wird von einem Stimmungstief beherrscht. Pekings Corona-Restriktionen diktieren den Konjunkturtrend und machen selbst Stimulierungsgesten an der Zinsfront zur Nebensache.

Peking ist der Stimmungs­killer

Von Norbert Hellmann, Schanghai

China leidet unter akuter Wachstumsschwäche. Die Pekinger Regierung hat sich mit der Covid-Zero-Politik für einen kategorischen Gegenentwurf zum Rest der Welt entschieden. Vom Nulltoleranzgebot diktierte Corona-Restriktionen werden zum wichtigsten Bestimmungsfaktor für die Konjunkturentwicklung, das Konsum- und Investitionsklima und damit auch das Marktvertrauen. An den chinesischen Aktienbörsen verdichtet sich die Resignation über Chinas wachstumsgefährdende Corona-Politik zu einer morbiden Stimmung. Anders als im März sind es nicht heftige Panikschübe, gefolgt von erleichterten Rallybewegungen, die das Bild prägen, sondern es ist ein zäher Abwärtstrend bei relativ geringer Volatilität.

An der Hongkonger Börse ist der Leitindex Hang Seng bei 19764 Punkten wieder unter die 20 000er Marke gedrückt worden und liegt für das laufende Kalenderjahr gut 15% im Minus. Der Abstand zum 52-Wochen-Hoch beträgt bereits 26%. Der nur die chinesischen Werte abbildende Hang Seng China Enterprise Index schneidet noch schlechter ab und gehört zu den Benchmarks mit der weltweit schwächsten Performance in diesem Jahr. Trotz der von Inflationssorgen geprägten Baisse auf westlichen Märkten sind China-Aktien im weltweiten Maßstab auf der Verliererstraße. Das zeigt sich beim Bewertungsverhältnis der im MSCI China Index vertretenen Aktien im Vergleich zum MSCI All Countries World Index. Es liegt nach Berechnungen von Bloomberg auf dem niedrigsten Niveau seit 2005.

Mit dem zweimonatigen Lockdown in Schanghai und anderen chinesischen Großstädten ist Chinas Wirtschaft im Frühjahr völlig unter die Räder gekommen. Mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um zuletzt 0,4% wurde, vom ersten Pandemieschock einmal abgesehen, das schwächste Wachstum in einem Quartal seit Beginn solcher Aufzeichnungen Anfang der neunziger Jahre produziert. Neue Konjunkturdaten für Juli konterkarieren das Mantra der Regierung, demzufolge die Wirtschaft seit Aufhebung des Schanghai-Lockdown im vollen Aufschwung steckt, weiter an Fahrt gewinnt und so die Nulltoleranzmisere vergessen macht. Im Gegenteil zeigen die Juli-Daten, dass nach einem positiven Schub im Juni bereits wieder die Bremse eingelegt wird. Das Wirtschaftsvertrauen bleibt angeknackst, die Kreditnachfrage ist im Keller, und mit der Verschuldungskrise der Immobilienentwickler droht ein gewaltiges Finanzstabilitätsrisiko.

Chinas Zentralbank hat parallel zur Verkündung der Konjunkturdaten ein Trostpflaster in Form einer geringen Verbilligung der Refinanzierung der Geschäftsbanken um 10 Basispunkte gespendet. Das Timing der überraschenden Zinslockerung war eindeutig darauf gemünzt, eine schroffe Aktienmarktreaktion auf die Konjunkturdaten vom Montag zu verhindern und Optimismus bezüglich weiterer monetärer Unterstützung zu entfachen. China-Aktien pflegen mit Begeisterung auf monetäre Lockerungsgesten und Versprechen der Zentralbank zu reagieren. Diesmal scheint jedoch kein Funken gezündet worden zu sein.

Zentralbank ratlos

Die Marktteilnehmer wissen, dass die Zentralbank nur höchst widerwillig lockert. Zum einen, weil sie angesichts des Kontrasts zu US-Zinserhöhungen Druck auf den Yuan und verstärkte Kapitalabflüsse aus China befürchtet. Zum anderen, weil die stockende Kreditnachfrage der Unternehmen nicht an der Höhe der Kreditkosten, sondern an einem Nachfrageproblem liegt, das man auch als keynesianische Liquiditätsfalle bezeichnet. Es kann mit Verwöhnung der Banken und Finanzmärkte durch reiche Zentralbankliquidität nicht behoben werden.

Analysten betonen, dass die vor allem auf Ankurbelung von Infrastrukturausgaben ausgerichteten Konjunkturanregungsmaßnahmen der Regierung wenig zur Verbesserung der Unternehmensgewinne beitragen und damit auch keine Impulse am Aktienmarkt zu entfachen vermögen. Die enttäuschend ausgefallene Bilanzsaison mit den Ergebnisvorlagen für das zweite Quartal trübt das Stimmungsbild weiter. Besonders auffällig ist dabei der Niedergang der führenden chinesischen Technologiekonzerne Alibaba und Tencent, die sowohl von der Konjunkturflaute als auch der andauernden Pekinger Tech-Regulierungskampagne in die Zange genommen werden. Während Alibaba im Juni-Quartal nur noch ein Nullwachstum verzeichnet, weist der rivalisierende Internetkonzern Tencent gar den ersten Umsatzrückgang in seiner Unternehmensgeschichte aus. Die Analysten halten mit Dauer-Kaufempfehlungen Tencent weiterhin die Treue und hoffen auf ein Austrudeln der Regulierungskampagne. Für Tencent wie auch Alibaba gilt aber dennoch, dass sie bei Fortschreibung der Corona-Politik ihren Nimbus als Vorzeige-Growth-Stocks einbüßen werden.

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