Zinswende

Schreck an den Kreditmärkten

Die Äußerungen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der jüngsten Zinssitzung haben so manchen am Credit-Markt aufgeschreckt. Das sorgte auch für Spread-Ausweitungen, die aber einen Puffer bilden.

Schreck an den Kreditmärkten

Von Carsten Lüdemann*)

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf ihrer jüngsten Ratssitzung den Zins- und Kreditmärkten einen gehörigen Schrecken eingejagt. Genauer gesagt wurde das Ausmaß des Sinneswandels innerhalb des EZB-Rats erst auf Nachfragen in der Pressekonferenz offenbart. Denn die zunächst veröffentlichte Pressenotiz las sich nahezu unverändert zur vorherigen Sitzung. Doch offensichtlich hat eine Mehrheit der Ratsmitglieder die bisherige Haltung aufgegeben, dass die erschreckende Preiswelle im Jahresverlauf von selber wieder abebben werde, und sieht jetzt dringenden Handlungsbedarf.

Die EZB-Notenbanker werden dabei auch ein wenig von ihren Kollegen in anderen Wirtschaftsräumen getrieben. Allen voran die US-Notenbank­ Fed, die dem Eindruck, sie sei weit hinter die Inflationskurve zurückgefallen, mit einer sehr expliziten Ankündigung einer Reihe von Leitzinserhöhungen sowie der Reduzierung ihrer Bilanz entgegentritt. Großbritannien hat schon zweimal den Leitzins angehoben und war beim jüngsten Beschluss ganz knapp davor, eine Anhebung um gleich 50 Basispunkte (BP) zu beschließen.

Vor diesem Hintergrund wollte EZB-Präsidentin Christine Lagarde einen Zinsschritt in diesem Jahr jedenfalls nicht mehr ausschließen, und überhaupt stehe die Geldpolitik mit den neuen Projektionen im März generell auf dem Prüfstand, räumte sie ein. Die EZB-Ratssitzung vom Februar bot somit einiges an Überraschung, was an dem kräftigen Renditeanstieg während und nach der Pressekonferenz um etwa 20 BP bei Bundesanleihen und über 40 BP bei italienischen Staatsanleihen sichtbar wurde. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nun ein zügiges Ende der Nettoanleihekäufe bevorsteht, und am Markt wird erwartet, dass noch in diesem Jahr die Zinswende eingeläutet wird. Innerhalb von zwölf Monaten dürfte demnach der tief negative Einlagensatz auf null angehoben und im Laufe des kommenden Jahres langsam weiter nach oben geschraubt werden.

Hartnäckige Inflation

Die hartnäckig steigenden Inflationsdaten haben bereits seit Herbst die Zinsmärkte belastet, aber mit der überraschenden Wende der EZB sind die Renditen nochmals kräftig angesprungen. Doppelt hart werden jedoch die südeuropäischen Nachbarn getroffen, denn sie haben am stärksten von den Wertpapierkaufprogrammen der Notenbank profitiert. Vor allem das Pandemie-Notprogramm PEPP war darauf ausgelegt, den Zinsabstand der Peripherieländer, der die deutlich höheren Risiken in diesen Ländern ausdrückt, künstlich klein zu halten. Da nun auch ein schnelles Ende der APP-Käufe zu erwarten ist, sind die Spreads von Spanien und vor allem Italien kräftig auf den höchsten Stand seit anderthalb Jahren angesprungen.

Aufgrund seiner sehr hohen Verschuldungsquote ist ein Zinsanstieg für Italien besonders bedrohlich. Daher hat Lagarde auf der Pressekonferenz auch darauf hingewiesen, dass die Notenbank diese Risiken im Blick habe und bei Bedarf dagegen vorgehen werde. Doch da das bisher effektivste Instrument hierfür nun gerade in den Schrank gestellt werden soll, sind die Marktreaktionen entsprechend scharf ausgefallen. Eine deutliche Entlastung für die südeuropäischen Staatshaushalte hat inzwischen die EU-Politik geschaffen. Mit dem EU-Wiederaufbaufonds NGEU können alle Euro-Länder auf großzügige Zuschüsse sowie kostengünstige Kredite zugreifen und damit ihre Verschuldungssituation spürbar lindern. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen der Euroland-Peripherie sollten nun wohl vorerst den schlimmsten Schrecken verdaut haben. Politische Unwägbarkeiten halten aber die Nervosität hoch. Gerade in Italien stehen Anfang nächsten Jahres wieder Parlamentswahlen an, die die bisherigen Reform- und Konsolidierungsschritte gefährden könnten.

Mit der Quasi-Ankündigung der Leitzinswende durch die EZB fallen zwei wichtige Unterstützungsfaktoren für die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen weg. Zum einen hat das extrem niedrige Zinsniveau den Unternehmen außergewöhnlich geringe Finanzierungsbedingungen beschert, zum anderen haben die EZB-Käufe von zuletzt 60 Mrd. Euro netto im Jahr 2021 die Risikoaufschläge für Unternehmen zusätzlich kräftig gedrückt. Diese haben etwa 20% aller Euro-Neuemissionen von Corporates im Investment-Grade-Bereich ausgemacht. Spätestens ab dem kommenden Herbst dürften diese Käufe wegfallen, für 2022 bleiben dann noch die Ersatzkäufe für fällige Wertpapiere in Höhe von ca. 15 Mrd. Euro.

Höhere Volatilität

Mit der Zinswende muss auch ein weiterer wichtiger Bewertungsfaktor für Corporates angepasst werden: die Volatilität. Diese ist für Zinsen und Risikoassets deutlich angestiegen. Daher werden Investoren für die gestiegenen Risiken und die dadurch erhöhten Risikokapitalkosten höhere Prämien für Unternehmensanleihen verlangen müssen. Auch werden sich die deutlich steigenden Zinsen in den USA und damit sich ausweitende Spreads bei uns negativ auswirken.

Zum anderen drückt die Zinswende aber auch die Zuversicht der Notenbank in verbesserte Konjunkturaussichten aus. Viele Unternehmen haben prall gefüllte Auftragsbücher, die sie in den kommenden Monaten hoffen abarbeiten zu können. Und es hat sich gezeigt, dass viele Firmen durch geschickte Steuerung hin zu Produkten mit höheren Margen, Produktionsanpassungen und Umstrukturierungen in der Lage sind, mit weniger Umsatz höhere Gewinne zu erzielen. In der aktuell laufenden Berichtssaison für das vierte Quartal 2021 zeichnet sich für die Stoxx-600-Mitglieder ein kräftiges Gewinnwachstum ab. Und das, obwohl das Schlussquartal durch Omikron und Lieferengpässe für Euroland nur sehr schwach ausfiel und für Deutschland sogar ein deutlich negatives Wirtschaftswachstum auswies. Die Dynamik der Gewinnzuwächse wird sich allerdings nicht durchhalten lassen, da ein Großteil der positiven Effekte bereits umgesetzt und in den Zahlen enthalten ist.

Unternehmensanleihen werden aktuell doppelt abgestraft, denn zu den Kursverlusten durch den allgemeinen Zinsanstieg addieren sich noch die Spread-Ausweitungen. So sind beispielsweise die Prämien im iTraxx Main, dem Kreditindex für Credit-Default-Swap-Sätze europäischer Unternehmen aus dem Investment-Grade-Bereich, seit Jahresbeginn um etwa 20 BP auf mehr als 60 BP angestiegen. In der Folge haben sich die Renditen fünfjähriger Corporates mit einem „BBB“-Rating auf über 1% verdoppelt. Sie liegen damit – die Panik zu Pandemiebeginn einmal ausgenommen – auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Aus Trading-Aspekten könnte dies ein attraktiver Zeitpunkt für erste vorsichtige Zu­käufe sein. Zwar steht zu befürchten, dass die Leitzinsdebatte im Jahresverlauf noch weitere Zinsanstiege mit sich bringt, die sich auch wieder negativ auf die Spreads auswirken könnten. Doch mit den jetzigen Zins- und Spread-Aufschlägen bieten Unternehmensbonds bereits einen unterstützenden Puffer für mögliche Kurskorrekturen.

*) Carsten Lüdemann ist im MakroResearch der DekaBank tätig.