Stagflation ist kein Unruheherd für Anleihen
kjo Frankfurt
Anleiheinvestoren haben sich in diesem Jahr bereits mit unzähligen Herausforderungen konfrontiert gesehen: von niedrigen Zinsen über eine steigende Inflation bis hin zu sehr engen Credit-Spreads. Jetzt droht das nachlassende globale Wachstum in eine Stagflation überzugehen, meinen die Experten von Jupiter Asset Management (AM). Zu einer Stagflation komme es, wenn sich das Wirtschaftswachstum verlangsame, die Arbeitslosigkeit steige und die Inflation hoch bleibe. Für Anleger sei das ein bedrohliches Szenario, da es zu einem Teufelskreis führe, in dem der durch die Inflation gedämpfte Konsum zu rückläufigen Unternehmensgewinnen und damit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führe. „Ich halte die Stagflation für ein kurzfristiges Risiko, aber nicht für einen langfristigen Sorgenfaktor für Anleger. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Inflation nur vorübergehend erhöht ist und wieder sinken wird, wenn die Lieferkettenunterbrechungen weitgehend behoben sind und das Angebot wieder mit der Nachfrage gleichziehen kann“, sagt Ariel Bezalel, Head of Strategy Fixed Income bei Jupiter AM.
Die globalen Lieferketten würden auf dem Just-in-Time-Konzept basieren, das durch die Pandemie nicht mehr funktioniert habe. Das sei auch eine der Hauptursachen des zunehmenden Inflationsdrucks in diesem Jahr gewesen. „Die Welt ist vernetzter denn je. Dadurch hat ein Produktionsstillstand in einer Fabrik in China sofortige und weitreichende Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Ich gehe davon aus, dass es eine Weile dauern wird, bis diese wieder störungsfrei funktionieren“, so Bezalel.
Wie lange das sein werde, hänge vor allem davon ab, wie erfolgreich die Länder bei der Bekämpfung des Coronavirus seien. Wenn weiter neue Varianten aufkommen würden und die Volkswirtschaften erneut in den Lockdown zwingen, werde der Heilungsprozess der globalen Lieferketten entsprechend länger dauern.
„Darüber hinaus sehe ich starke strukturelle Faktoren, die die Inflation im Zaum halten werden. Dazu gehören die rekordhohe globale Verschuldung, die alternde Weltbevölkerung und die Globalisierung. Die Covid-19-Pandemie hat die globale Verschuldung auf ein seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehenes Niveau ansteigen lassen“, so Bezalel weiter. Allein im zurückliegenden Jahr sei der globale Schuldenberg um 40 Bill. auf 280 Bill. Dollar angewachsen. Das sei mehr als das Dreifache der weltweiten Wirtschaftsleistung (BIP). Und die Erfahrung der Vergangenheit zeige: Wenn die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP 50 bis 60% erreiche, wirke sich dies nachteilig auf das Wachstum aus und sorge für Gegenwind für den Inflationsdruck.
Pandemie unterbricht Trends
Die Auswirkungen der Globalisierung würden ebenfalls zur Verringerung der Inflation beitragen, da das Lohnwachstum durch die Verlagerung der Produktion in ärmere Länder gedeckelt werde. Gleichzeitig habe der technologische Fortschritt die Warenherstellung billiger gemacht und damit die Preise niedrig gehalten. „Die Pandemie mag einige dieser Trends unterbrochen haben. Ich halte dies aber für eine vorübergehende Entwicklung und glaube, dass diese Entwicklungen weiter deflationär wirken werden, wenn sich die Welt von der Pandemie erholt“, so Bezalel. So gebe es auch keine Belege für die von einigen weiterhin vertretene These der Deglobalisierung. Die harten Zahlen würden eher auf das Gegenteil hindeuten.
Im Rückblick habe sich der diesjährige Inflationsschub als hartnäckiger erwiesen, als viele antizipiert hätten. Insbesondere Rohstoffe und Konsumgüter hätten sich im Vergleich zum Vorjahr stärker verteuert als erwartet. Inzwischen würden diese Preise aber bereits wieder etwas nachgeben. Die Holzpreise hätten sich gegenüber ihrem Höchststand mehr als halbiert, die Kupfer- und Agrarrohstoffnotierungen scheinen zu drehen, und auch der Eisenerzpreis habe sich gegenüber seinen am Jahresanfang erreichten Höchstständen halbiert. „Ich führe den Preisverfall bei Rohstoffen wie Kupfer und Eisenerz vor allem auf die drastische Wachstumsverlangsamung in China zurück. Die jüngsten Zahlen zur Verbraucherpreisinflation (CPI) in den USA scheinen den Rückgang der Teuerung zu bestätigen“, so Bezalel weiter. Bei den Preisen für Gebrauchtfahrzeuge und Flugtickets sei bereits eine Normalisierung zu beobachten.
Natürlich sei die Inflation nur ein Faktor in der Stagflationsgleichung – der andere sei das globale Wachstum. Es gebe viele Anzeichen dafür, dass das weltweite Wachstum seinen Höhepunkt erreicht habe. „Wie bereits erwähnt, scheint die chinesische Wirtschaft zuletzt an Dynamik verloren zu haben: Die Einzelhandelsumsätze sind hier im August im Jahresvergleich nur noch um 2,5% gestiegen, während die Ökonomen von 7% ausgegangen waren. Durch die wiederholten Covid-19-Ausbrüche und die Auswirkungen der Evergrande-Krise ist auch die chinesische Industrieproduktion hinter den Erwartungen zurückgeblieben“, sagt Bezalel.
Temporäres Phänomen
Der Blick auf die Märkte zeige, dass der Anleihemarkt die Inflation ebenfalls für ein vorübergehendes Phänomen hält: Am kurzen Ende (fünfjährige TIPS) würden die Break-even-Raten bei gerade einmal 2,3% liegen. Dieser Wert könnte sinken, wenn der Inflationsdruck weiter nachlasse und für einen weiteren Rückgang der Renditen in den USA sorge. Daher sehe das künftige wirtschaftliche Umfeld für Anleiheinvestoren günstig aus. Auf der Suche nach regelmäßigen Erträgen fließe aktuell viel Geld in Unternehmensanleihen, und die Unternehmen seien dank großzügiger staatlicher Unterstützung in den westlichen Staaten im Vergleich zu ihren Konkurrenten in den Schwellenmärkten ziemlich gut aufgestellt.
„Das stimmt mich zuversichtlich, dass die Ausfallraten noch einige Zeit sehr niedrig bleiben werden. Dadurch könnten sich im High-Yield-Segment ausgewählte Einstiegsmöglichkeiten eröffnen. Mit der beginnenden Rückführung der extrem expansiven Geldpolitik der Zentralbanken dürfte die Volatilität an den Märkten zunehmen“, sagt Bezalel. Die längerfristigen strukturellen Kräfte sollten jedoch dazu führen, dass der Inflationsdruck nachlasse, wenn sich die wirtschaftliche Lage wieder normalisiere.