Finanzmärkte

Stimmung am Markt dreht

Die Inflation ist nicht mehr das dominierende Thema an den Anleihemärkten. Die Stimmung dreht. Anleger fürchten, dass die Rezession in vielen Volkswirtschaften zum Belastungsfaktor wird.

Stimmung am Markt dreht

Von Kai Johannsen, Frankfurt

Die Stimmung an den internationalen Finanzmärkten dreht. Im ersten Halbjahr dominierten klar die Inflationssorgen. Mit immer neuen Teuerungsschüben in vielen Volkswirtschaften der Welt wurden auch die Rufe nach immer restriktiveren Gangarten in der Geldpolitik der Zentralbanken lauter. Das klingt nun ab. Nach ihrer jüngsten Zinssitzung hat die Bank of England als eine der ersten Notenbanken überhaupt die Erwartung geäußert, dass die britische Wirtschaft in die Rezession abgleiten wird, die wohl das gesamte kommende Jahr anhält. Dies wäre dann die längste Schwächephase auf der Insel seit der Weltfinanzkrise.

Britisches BIP schwächelt

Und offenkundig ist die britische Wirtschaft dabei, genau diesen Kurs nun einzuschlagen: Im Frühjahr ist die Wirtschaftstätigkeit im Vereinigten Königreich nun leicht geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im zweiten Quartal um 0,1% zurück, wie das Statistikamt ONS zum Wochenausklang auf Basis vorläufiger Zahlen mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten sogar mit einem etwas größeren Minus von 0,3% gerechnet nach einem Plus von 0,8% zu Jahresbeginn. Im Monat Juni schrumpfte die Wirtschaftsleistung bereits besonders deutlich um 0,6%, wie weiter mitgeteilt wurde. Sollte die britische Volkswirtschaft auch im dritten Quartal im Rückwärtsgang bleiben, wäre in rein technischer Hinsicht die Definition der Rezession erfüllt. Die USA sind bereits in der Rezession.

Auch für den Euroraum geben sich immer mehr Analysten vorsichtiger, was die Wachstumsaussichten be­trifft. So meinen etwa die Volkswirte der Commerzbank, dass auch das gemeinsame Währungsgebiet in die Rezession abgleiten dürfte. Sie rechnen auch für den Euroraum für das Winterhalbjahr 2022/23 mit einer Rezession, und sie revidieren ihre 2023er Konjunkturprognose von 0,8% auf glatt 0% nach unten. Die EZB reagiere traditionell sensibel auf eine Eintrübung der konjunkturellen Aussichten, auch weil sie davon ausgehe, dass eine Rezession die Inflation quasi automatisch drücke. „So erwartet die EZB im Rahmen ihrer im Juni veröffentlichten Projektionen, dass die Inflation am Ende ihres Prognosehorizonts 2024 wieder unter ihrem Ziel von 2% liegt, falls die Wirtschaft in eine Rezession abgleitet. Die EZB würde in diesem Fall wohl die Zinserhöhungen aussetzen“, schreiben die Experten der Commerzbank.

So werden die Marktakteure auch in der neuen Woche die anstehenden Konjunkturdaten genau unter die Lupe nehmen und daraufhin abklopfen, inwieweit sich daraus Rezessionssignale ableiten lassen. So kommt am Dienstag das Barometer der ZEW-Konjunkturerwartungen für August. In den USA wird am gleichen Tag die Industrieproduktion für den abgelaufenen Monat veröffentlicht. Einen Tag später stehen in den USA die Einzelhandelsumsätze im Datenkalender – ebenfalls für Juli. Und abends legt die US-Notenbank ihr Protokoll für die vergangene Zinssitzung vor.

Bundrendite vor Rückgang?

Sollte es bei den anstehenden Konjunkturdaten aus Deutschland zu verstärkten Signalen kommen, dass die Rezession auch in der Eurozone wahrscheinlicher wird, weil etwa die Konjunkturerwartungen zurückgehen, wird das auch an der Stimmung an den Bondmärkten ablesbar sein. Die Anleger dürften dann mit einer Verzögerung bzw. einer Pause des Zinserhöhungszyklus der EZB rechnen, was auf die Renditen der Bundesanleihen durchschlagen sollte. Die zehnjährige Bundrendite könnte vor diesem Hintergrund deutlicher unter die Marke von 1% fallen. Am Freitag pendelte sie um diese Marke. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch immer, dass sich die Märkte derzeit in einer urlaubsbedingt ausgedünnten Situation befinden. Da sind stärkere Bewegungen als Reaktion auf einzelne Makrodaten einzukalkulieren.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.