EU-Aktionsplan

Von „grünen“ Blasen und „braunen“ Schnäppchen

In Hinblick auf die tatsächlichen Auswirkungen an den Märkten stellt sich die Frage, ob der EU-Aktionsplan nicht vielmehr zum Bremsklotz als zum Beschleuniger einer grünen Finanzwende wird.

Von „grünen“ Blasen und „braunen“ Schnäppchen

Mehr Geld für nachhaltige Unternehmen – das ist das Ziel des EU-Aktionsplans der Europäischen Kommission. Mit dem Reformpaket sollen die Finanzmärkte künftig zum „Enabler“ der „grünen“ Transformation werden und nachhaltige Geschäftsmodelle mit Investments in Milliardenhöhe versorgen. Vor dem Hintergrund der drohenden Klimakrise ein nachvollziehbarer und begrüßenswerter Plan, zumal die Investitionsbedarfe für den klimagerechten Umbau der Wirtschaft immens sind. Laut BDI-Chef Siegfried Russwurm liegen sie allein für Deutschland bei geschätzten 860 Mrd. Euro. Für den gesamten Kontinent belaufen sie sich sogar auf rund 2,6 Bill. Euro – und das lediglich bis 2030, so die EU-Kommission.

Volumen verzehnfacht

Angesichts solch immenser Summen ist klar: Ohne die Finanzmärkte wird die Einhaltung der europäischen Klimaziele nicht gelingen. Nur gut, dass viele Anleger die hohen Bedarfe und langfristigen Wachstumschancen grüner Investments bereits erkannt haben und sich entsprechende Finanzprodukte am Markt bereits einer wachsenden Nachfrage erfreuen. Das belegt auch eine vor kurzem veröffentlichte Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Demzufolge ist das Volumen von Anlageprodukten, die sich im weitesten Sinne dem ESG-Bereich zuordnen lassen, seit 2016 um etwa ein Drittel auf 35 Bill. US-Dollar gestiegen. Blickt man ausschließlich auf ESG-Investments in als „grün“ gekennzeichnete Fonds, haben sie sich in den letzten fünf Jahren sogar verzehnfacht – auf 2 Bill. Dollar. Ein deutlicher Anstieg, doch der Markt für Sustainable Finance sieht sich noch immer mit einer Reihe regulatorischer Herausforderungen konfrontiert, wie zum Beispiel der einheitlichen Klassifizierung von „grünen“ und „braunen“ Finanzprodukten. Mit der Umsetzung des EU-Aktionsplans soll sich das allerdings nun ändern. Zur Neuausrichtung der europäischen Fi­nanzmärkte setzt der EU-Aktionsplan im Wesentlichen auf drei Hebel: Mehr Transparenz, die Reduzierung von Umweltrisiken in Portfolios und Sanktionen für klimaschädliche In­vestments. Vor allem bei den Transparenzvorschriften drückt Brüssel aufs Gas. So gilt seit dem 10. März 2021 im europäischen Binnenmarkt die Sustainable Finance Disclosure Regulation, auch Offenlegungsverordnung genannt. Mit ihr hat die EU erstmals den Versuch unternommen, einen einheitlichen Standard für die Einteilung nachhaltiger Vermögenswerte zu schaffen. Sämtliche Finanzprodukte müssen seitdem anhand eines vorgegebenen Katalogs in drei verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Die drei Kategorien ergeben sich aus den Artikeln 6, 8 und 9 der Offenlegungsverordnung, wobei alle nichtnachhaltigen Finanzprodukte unter Artikel 6 fallen, während Artikel 8 und 9 die Vorschriften für teilweise und vollständig nachhaltige Finanzprodukte umfassen. Mit jeder der drei Kategorien verbinden sich unterschiedliche Transparenzvorschriften, was besonders in Hinblick auf das Reporting relevant ist. Denn ohne Reporting ist eine Klassifizierung grüner Finanzprodukte nicht möglich.

Die Reporting-Vorschriften stellen deshalb den zentralen Baustein der ESG-Offensive dar, was Finanzdienstleister mitunter vor große Herausforderungen stellt. Der Grund: In der Kommunikationskette zwischen Un­ternehmen und Finanzmarkt bilden die Finanzdienstleister für gewöhnlich das letzte Glied, was bedeutet, dass sie für ihre Reportings stets auf die Daten Dritter angewiesen sind. Eine schwierige Situation, denn viele Unternehmen aus der Realwirtschaft sind bisher noch nicht dazu in der Lage, die benötigten Daten zu erheben. Und das, obwohl ab Januar 2022 neue Regularien in Kraft treten, die genau das vorschreiben. Betroffen von dem Datenmangel sind vor allem Artikel-8- und Artikel-9-Fonds, für die die verschärften Reporting-Regeln immer mehr zum Flaschenhals werden. Das Resultat: Während das Angebot zertifizierter ESG-Assets stagniert, steigt ihre Nachfrage rasant an, was zunehmend auch die Sorge vor einer „grünen Blase“ immer schürt. In Hinblick auf die tatsächlichen Auswirkungen an den Märkten stellt sich somit die Frage, ob der EU-Aktionsplan nicht vielmehr zum Bremsklotz als zum Beschleuniger einer grünen Finanzwende wird.

Klar ist: Mit der Umlenkung be­stehender Finanzströme wird eine leichte Überbewertung „grüner“ Finanzprodukte mittelfristig nicht zu vermeiden sein. Laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sollten Anleger die Entwicklungen auf dem ESG-Markt deshalb genau beobachten. Zwar dürften die Wachstumschancen „grüner“ Investments gesamtwirtschaftlich überwiegen, doch bringt eine Blasenbildung auch finanzielle Risiken mit sich. So könnte zum Beispiel eine vielversprechende Technologie oder ein bestimmtes Geschäftsmodell aufgrund neuer Klimaschutzmaßnahmen innerhalb kürzester Zeit unrentabel werden und vom Markt verschwinden. Gleichzeitig besteht mit der Umsetzung der neuen Regularien auch die Gefahr, dass nichtnachhaltige Produkte eine schleichende Unterbewertung am Markt erfahren. Das wiederum hätte den Effekt, dass Investitionen in „braune“ Unternehmen immer günstiger werden und damit wieder an Attraktivität gewinnen. Um diesem Problem vorzubeugen, soll der EU-Aktionsplan der Finanzmarktaufsicht in Zukunft die Möglichkeit geben, „braune“ Investitionen zu sanktionieren – zumindest, solange sie aus dem europäischen Binnenmarkt getätigt werden. Für Anleger aus dem europäischen Ausland bestünde dieses Risiko allerdings nicht, weshalb ein Anreiz, vermehrt in klimaschädliche Unternehmen zu investieren, für sie noch immer gegeben wäre.

„Demand-Pull-Inflation“

Die Einführung des EU-Aktionsplans ist also durchaus mit einigen Hürden verbunden. Dennoch sind sich die meisten Experten einig, dass eine Reform der Offenlegungsvorschriften letztlich unumgänglich ist und das Ziel – die grüne Transformation massiv zu beschleunigen – die umfassenden Eingriffe rechtfertigt. In gewisser Weise gilt das auch für die Bildung einer „grünen Blase“, die sich aus makroökonomischer Perspektive auch als Preissignal für Finanzdienstleister deuten ließe, das Angebot „grüner“ Produkte möglichst schnell zu erhöhen. Ökonomen sprechen in einem solchen Fall auch von einer „Demand-Pull-Inflation“, die innerhalb weniger Jahre eine Flut an „grünen“ Finanzprodukten auslösen könnte. Mit ihr würde sich der Marktanteil von Artikel-8- und -9-Fonds, der derzeit bei zwischen 20 und 30% liegt, deutlich erhöhen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass Anleger auch bei braunen Unternehmen einsteigen, um sie mit frischem Kapital für ihren „Change-Prozess“ zu versorgen. Nur so kann der Umbau der Wirtschaft langfristig gelingen. Wie groß die Wachstumschancen für Unternehmen und Anleger dabei sind, bleibt abzuwarten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Assetmanager jetzt die Kompetenzen aufbauen müssen, um grundlegende strategische Entscheidungen zu treffen und so den zukünftigen Unternehmenserfolg sicherzustellen. Die Entscheidungen betreffen neben der Unternehmensebene insbesondere die Produktebene und alle Prozesse in der Wertschöpfungskette.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.