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Warum der Euro auch strukturell schwach ist

Die Stärke des Dollar wird damit begründet, dass die USA kaum von der Energiekrise betroffen sind und die Fed aggressiv strafft. Der Euro ist aber auch aus strukturellen Gründen schwach.

Warum der Euro auch strukturell schwach ist

Von Xueming Song*)

An den Kapitalmärkten herrscht die Meinung, dass der Dollar so stark ist, weil die US-Wirtschaft kaum von der Energiekrise betroffen ist und auch deshalb vergleichsweise gut dasteht, weil die Federal Reserve ihre Geldpolitik aggressiv strafft. Vor diesem Hintergrund – so die gängige Einschätzung – neige nicht nur der Euro, sondern auch eine Reihe anderer Währungen zur Schwäche, wie etwa der japanische Yen oder das britische Pfund.

Zweifelsohne treffen die Argumente für die Stärke des Dollar zu, sie können aber nicht erklären, warum beispielsweise der Schweizer Franken, der mexikanische Peso oder der brasilianische Real so stark geblieben sind, obwohl diese Länder ähnliche wirtschaftliche Probleme haben wie der Euroraum. Auffällig ist, dass die Zentralbanken dieser Länder rigoros gegen die Inflation kämpfen. Ist das der Hauptgrund für ihre relativ starken Währungen? Zumindest historisch betrachtet führte eine starke Zentralbank, die sich der Stabilität im Sinne einer Inflationsbekämpfung verpflichtet, immer zu einer starken Währung.

EZB sagt Inflation Kampf an

Zwar hat auch die Europäische Zentralbank (EZB) zuletzt signalisiert, dass sie gegen die Inflation vorgehen will. Das hat aber nicht dazu geführt, dass der Euro gegenüber dem Dollar an Wert gewonnen hat. Fehlt dem Markt der Glaube oder hat die Gemeinschaftswährung doch strukturelle Schwächen? Es gibt Stimmen an den Kapitalmärkten, die sagen, dass die EZB eine schwache Zentralbank sei und nicht mit der Bundesbank vor der Einführung des Euro verglichen werden könne. Sollte dies der Fall sein, stellt sich die Frage, welche strukturellen Faktoren dafür verantwortlich sein könnten.

Teuerung zweistellig

Zunächst ist davon auszugehen, dass gerade die EZB eine Zentralbank sein müsste, die Inflation absolut nicht tolerieren kann, da sie in der Theorie nur ein einziges Mandat hat, nämlich die Preisstabilität. Seit der Einführung des Euro war die Inflation im gemeinsamen Währungsgebiet kein wirkliches Problem gewesen. Erst seit 2022 steigt sie dramatisch. Gleich bei der ersten Bewährungsprobe hat die EZB jedoch versagt: In mehr als der Hälfte der Länder der Eurozone ist die Inflation mittlerweile zweistellig. Wenn man genau analysiert, sind im Wesentlichen zwei strukturelle Faktoren für dieses Versagen verantwortlich. Der erste Faktor ist, dass die EZB in der Praxis mehrere Mandate verfolgt. Als EZB-Präsident Mario Draghi im Juli 2012 sagte, dass die EZB die Gemeinschaftswährung verteidigen werde „what ever it takes“, hat er neben der Inflationsbekämpfung ein weiteres Ziel eingeführt, nämlich ein Scheitern des Euro zu verhindern durch einen stärkeren Fokus auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Draghi machte diese Aussage zu einem Zeitpunkt, als die internationale Gemeinschaft daran zweifelte, dass der Euro bestehen bleiben wird. Die Anti-Europa-Stimmung war nach der Griechenlandkrise in jenen Ländern des Euroraums sehr hoch, deren Volkswirtschaften am Boden lagen, in denen die Arbeitslosigkeit sehr hoch und auch die Staatsverschuldung stark gestiegen war. Die Verschuldungskrise im gemeinsamen Währungsgebiet ist bis heute nicht wirklich überwunden. Wenn nun die Inflation und die Zinsen steigen, stellt sich die Frage, wie die Länder ihre Schulden bedienen können. Der Kapitalmarkt ist rational und verlangt von Ländern mit höheren Schulden eine Risikoprämie. Das kann für die Betroffenen durchaus zu wirtschaftlichen Problemen führen. So hat die EZB ein weiteres Mandat an sich gezogen, nämlich gegen die Fragmentierung vorzugehen. Dabei handelt es sich aber eigentlich um Kreditrisiken und für die Kreditwürdigkeit sollten die Finanzministerien verantwortlich sein. Die EZB jedoch schätzt die Situation plötzlich so ein, dass wegen der Risikoprämien das Funktionieren der Geldpolitik in Gefahr sei. Das ist freilich weit hergeholt und zeugt von einer strukturellen Schwäche der Eurozone.

Inflation, Arbeitslosigkeit und Kreditrisiko gleichzeitig zu bekämpfen, ist schlicht nicht möglich. Wenn die Inflation steigt, sollte eine Zentralbank in der Regel die Zinsen anheben. Höhere Zinsen führen jedoch unweigerlich zu höheren Risikoprämien. Um die Risikoprämie unter Kontrolle zu halten, kauft die EZB die Staatsanleihen der betroffenen Länder, was klar dem Ziel der Inflationsbekämpfung widerspricht.

Eurozone heterogen

Der zweite Faktor liegt in der Heterogenität der Eurozone, die sich wiederum in der Haltung der lokalen Zentralbanken widerspiegelt. Dieses Thema wurde zwar bereits vor der Einführung der Gemeinschaftswährung diskutiert, im Zusammenhang mit der Theorie des optimalen Währungsraums. Da der Euro jedoch ein politisches Projekt war, musste die EZB am Ende damit leben. Es ist also ein Geburtsfehler, den man nicht der EZB anlasten sollte. Die Mitglieder des Governing Council der EZB kommen zu rund einem Drittel aus Ländern, die fast immer höhere Inflation toleriert haben, weil sie ein stärkeres Wirtschaftswachstum anstrebten. In diesem Sinne kann die EZB nur eine „weiche“ Zentralbank sein.

Ein weiterer Faktor ist die aktuelle Führung der EZB. Präsidentin Christine Lagarde wird allgemein als eine politische Präsidentin wahrgenommen. Politik lebt aber von Kompromissen. Die Heterogenität in der Eurozone könnte dadurch also sogar noch verstärkt werden: Wenn es um Zielkonflikte geht, wird noch mehr abgewogen, anstatt sich auf ein Ziel zu konzentrieren. Inflationsbekämpfung kann somit nur halbherzig verfolgt werden.

Stabilität ein Stärkefaktor

Eine „weiche“ EZB kann also nicht für eine harte Gemeinschaftswährung sorgen. Die Bundesbank hat immer einen strikten Stabilitätskurs verfolgt, um eine starke Wirtschaft herbeizuführen. Die Logik funktioniert wie folgt: Stabilität führt zu einer starken Währung und damit sind die Unternehmen gezwungen, innovativ zu bleiben. Am Ende steht eine starke Wirtschaft auf internationaler Ebene. Symptomatisch kann man aktuell feststellen, dass das Produktivitätswachstum der deutschen verarbeitenden Industrie in den letzten Quartalen fast bei null liegt. Zu behaupten, dass das etwas mit der EZB zu tun hat, ist sicherlich verfrüht und die Datengrundlagen sind zu dünn. Richtig ist aber auch, dass die Notenbank über die aktuelle Situation reflektieren könnte.

*) Xueming Song ist Chief Currency Strategist der DWS.