Anziehende Teuerung

Was höhere Inflation für Aktien bedeutet

Kaum ein Thema treibt Anleger mehr um als die Entwicklung der Inflation. Doch wer in Unternehmen mit starker Marktstellung investiert, dem sollte die anziehende Teuerung nicht den Schlaf rauben.

Was höhere Inflation für Aktien bedeutet

Transitorisch oder gekommen, um zu bleiben? Kein Thema beschäftigt Anleger derzeit mehr als der Blick auf die Inflationsraten und insbesondere auf deren weitere Entwicklung. Die Notenbanken in Europa und den USA haben sich entschieden, über das Hochschnellen der Inflationsraten hinwegzusehen und statt auf Zinserhöhungen auf die Selbstregulation der Märkte zu setzen. Das mag richtig sein, aber in den vergangenen Monaten ist zu beobachten, dass viele Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen und an der Preisschraube drehen. Zum Thema Inflation und Aktienbewertung gibt es landläufig eine ganze Reihe intuitiver Meinungen. Nicht alle davon lassen sich allerdings empirisch oder zumindest finanzmathematisch belegen. Ein Grund mehr, die Wirkmechanismen einmal detaillierter zu betrachten.

Aktien können langfristig ein sehr guter Schutz vor Inflation sein. Über kürzere Zeiträume sind Aktienrenditen allerdings empirisch betrachtet negativ mit Phasen hoher Inflation korreliert. Neben den auf Aktien in einer solchen Zeit wirkenden Kollateralereignissen spielt dabei die Prognoseunsicherheit eine große Rolle, die insbesondere bei rasch steigender Inflation auftritt und ihrerseits belastend auf die Bewertung künftiger Zahlungsströme wirkt.

Am besten nähert man sich dieser Thematik über die Discounted-Cash-flow-Betrachtung, also die Addition der abgezinsten künftigen Zahlungsmittelüberschüsse zu einem heutigen Barwert. Diese Ertragswertmethode ist gängige Praxis bei Aktienanalysten und Wirtschaftsprüfern gleichermaßen und zumindest modelltheoretisch die sauberste Herangehensweise. Je höher die künftigen Einzahlungen, desto wertvoller das Unternehmen. So weit, so gut. Um die vielfältigen Angriffspunkte der Inflation auf den Unternehmenswert zu verstehen, bedarf es allerdings eines etwas tieferen Einstiegs in die Materie.

Direkter Einfluss auf Zahlen

Die künftigen Zahlungsmittelüberschüsse des Unternehmens ergeben sich aus seinen Gewinnen, also Umsatz multipliziert mit der operativen Marge, abzüglich Steuern und der für den Geschäftsbetrieb notwendigen Investitionen. Diese vier Parameter gilt es zu schätzen. Hierbei fällt auf, dass alle mehr oder weniger direkt von Inflation beeinflusst werden. Steigen die Preise für Güter, erzielen Unternehmen unter sonst gleichen Bedingungen höhere Umsätze – zumindest diejenigen von ihnen, die aufgrund von Produkt und/oder Marktposition höhere Preise erzielen können. Den höheren Umsätzen stehen im Inflationsszenario höhere Inputkosten gegenüber. Rohmaterialien und die Arbeitskraft werden teurer und belasten die Kostenseite. Daraus ergibt sich unmittelbar der Einfluss auf die operative Marge. Bei Unternehmen mit steigenden Kosten und wenig Preissetzungsmacht werden die Margen sinken. Umgekehrt, also wenn sich die Kosten unterproportional zum Umsatz entwickeln, steigt die Marge.

Für alle Unternehmen erhöht sich durch die Inflation allerdings auch die effektive Steuerbelastung. Das ist zunächst weniger intuitiv, doch deswegen nicht weniger relevant. Abschreibungen zum Beispiel auf Maschinen und Anlagen senken den Gewinn und damit die Steuerlast. Da die historischen Anschaffungskosten die Bezugsgröße der Abschreibungen sind, wird bei steigenden Preisen der Steuervorteil geringer, während die Reinvestition zu aktuellen Preisen Cash verzehrt. In Summe ergibt sich also ein für die meisten Unternehmen unerfreuliches Szenario, das sich negativ auf den Aktienwert auswirkt.

Inflation hat zudem die unangenehme Eigenart, nicht nur die künftigen Cash-flows, sondern über die Diskontierungsrate auch deren Barwert zu beeinflussen. Dieser Effekt ist unmittelbar eingängig und ergibt sich, wenn man die Diskontierungsrate in ihre beiden Bestandteile zerlegt – Zins und Risikoprämie. Steigende Inflation zieht über kurz oder lang steigende Zinsen nach sich. In der von Zentralbanken manipulierten Welt von heute mag man an dieser Gesetzmäßigkeit zweifeln. Langfristig führt aber kein Weg daran vorbei, möchte man keine unkontrollierbare Hyperinflation riskieren.

Höhere Inflation und auch schon die Sorge davor führen zudem zu steigenden Risikoprämien. Sprunghaft steigende Finanzierungskosten ziehen in der Regel höhere Kreditausfälle nach sich, und die damit einhergehende Unsicherheit lassen sich Aktieninvestoren über höhere Risikoprämien bezahlen.

Risiko hat einen Preis

In Summe werden die risikoadjustierten Zahlungsströme der Unternehmen also weniger wert. Dieser Effekt verstärkt sich, je weiter sich Auszahlungen in die Zukunft verschieben. Das ist auch schon ein maßgeblicher Grund dafür, warum Wachstumsunternehmen in einem solchen Szenario besonders leiden. Heute viel wertvolles Geld auszugeben, um in ferner Zukunft vielleicht Geld mit deutlich weniger Kaufkraft zu verdienen, ist ein vergleichsweise unattraktives Investment.

Und die Quintessenz des Ganzen? Neben Immobilien, einigen Sachwerten und vielleicht inflationsindexierten Anleihen bleibt der Aktienmarkt Mittel der Wahl für all diejenigen, die an eine transzendentale Erkenntnis der Notenbanken nicht so recht glauben mögen. Wer in Unternehmen mit starken Produkten und Marktstellung, einer soliden Finanzierungsstruktur und idealerweise regionaler Diversifikation in Umsatz und Kostenbasis investiert, dem sollte das Schreckgespenst Inflation nicht den Schlaf rauben.

Zuletzt erschienen:

Was uns Krisen über die ESG-Risiken von Unternehmen verraten (181), Comgest

Holpriger Sommer kein Grund für Pessimismus (180), Berenberg

Chinas Währungshüter müssen vielfältige Herausforderungen bewältigen (179), H&A Global Investment Management

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.