„Wir sehen Kurspotenzial bei Anleihen“
Herr Gries, wie beurteilen Sie den Verlauf des Zinssenkungszyklus bei der EZB und der Fed?
Die EZB hat nur den ersten Zinsschritt vollzogen, und wir stehen hier ganz am Anfang des Zinssenkungszyklus. Die Kommunikation im Dezember vergangenen Jahres seitens der Fed war rückblickend etwas zu positiv, und das hat sehr starke Schwankungen hinsichtlich der Markterwartungen ausgelöst. Zum Jahresanfang sind die Märkte von sechs bis sieben Zinsschritten sowohl für die Eurozone als auch für die USA ausgegangen. Das hat sich dann im Nachhinein als zu konstruktiv herausgestellt. Zuletzt ist das Pendel dann in die andere Richtung geschwungen, und wir gehen nur noch von ein bis zwei Zinssenkungen für dieses Jahr aus. Das war dann sicherlich auch das untere Ende der ursprünglichen Bandbreite der Markterwartungen. Bei der EZB bleiben die Leitzinsen derzeit weit oberhalb des langfristigen neutralen Zinssatzes. Es verbleibt also sehr viel Spielraum nach unten in dem nun begonnenen Zinssenkungszyklus. Die EZB bleibt derzeit aber noch stark in einer abwartenden Haltung, was auch Sinn macht, denn die Preisentwicklung im ersten Quartal ist in einigen Teilbereichen wie dem Dienstleistungsbereich doch etwas hartnäckiger ausgefallen als erwartet.
Was ist denn Ihr Basisszenario für die Inflationsentwicklung?
Also wenn man sich die Preisentwicklung anschaut und auch die Prognosen analysiert, dann erscheint es aus unserer Sicht wahrscheinlich, dass wir in der Headline-Inflationsrate im dritten Quartal an der Zielquote der EZB liegen können, also um die 2%, gegebenenfalls sogar temporär unterhalb der 2%-Marke. Die Kerninflation sollte hierbei jedoch etwas erhöht bleiben. Die Kerninflation sollte sich zwar auch zurückentwickeln, aber das gestaltet sich auch aufgrund des Lohndrucks etwas langsamer als erwartet. Die Prognosegüte hat aber wieder zugenommen. Solange wir keine größeren externen Schocks erleben, wie das zum Beispiel im Jahr 2022 der Fall war, heißt das auch, dass die EZB für dieses Jahr noch leicht erhöhte Inflationszahlen erwartet, aber dass wir uns dann sukzessive in den beiden folgenden Jahren in Richtung EZB-Zielquote bewegen.
Wie viele Zinsschritte werden es 2025 bei EZB und Fed?
Momentan preist der Markt drei weitere Zinsschritte für die EZB im kommenden Jahr, also 75 Basispunkte, und für die USA vier Zinsschritte, also dann nochmals 100 Basispunkte ein. In diesem Kontext ist der mittelfristige neutrale Zins relevant. Und hier erscheint die Markterwartung, insbesondere für die USA, zu hoch. Da erwartet der Markt mittelfristig einen neutralen Leitzins von im Schnitt etwa 3,9%. Das liegt über 100 Basispunkte oberhalb von dem, was die Federal Reserve jetzt mit ihrem letzten Update veröffentlicht hat, nämlich 2,8%. Und für die Eurozone bleibt abzuwarten, ob wir wirklich mit einem neutralen Leitzins von 2,5% leben können. Die EZB ist da deutlich weniger konkret als die Fed, da sie keine exakten Datenpunkte veröffentlicht. Die EZB spricht von einem neutralen Zins zwischen 1,5% und 2,5%.
Macht es Sinn, vor diesem Hintergrund wieder ein höheres Zinsrisiko – also Duration – einzugehen?
Aus unserer Sicht schon, denn wir sehen weiter Kurspotenzial bei Anleihen. Das gilt zum Beispiel für ein Szenario, in dem sich die US-Konjunktur weiter abkühlt und für die USA noch stärkere Zinssenkungen eingepreist werden. Zudem gilt es für die Eurozone, wenn die Wirtschaft von ihrem Wachstumspfad nicht stark nach oben ausbricht. Dann ergeben sich gute Perspektiven für Anleihen sowohl für die USA als auch für die Eurozone. Wichtiger Aspekt in diesem Kontext sind kurzfristige Anlagen, insbesondere im Geldmarkt, da hier sukzessive das Wiederanlagerisiko wieder zunimmt. Das heißt, die Verzinsung wird sich mit den Zinssenkungen im kurzfristigen Anlagebereich kontinuierlich verschlechtern. Es wird für Anleger nicht funktionieren, auf diese Zinssenkungen zu warten, um dann in Anleihen umzuschichten, weil der Anleihemarkt diese Zinssenkungen zum einen antizipiert und zum anderen dann auch positiv auf diese Zinssenkungen reagiert. Unternehmensanleihen hingegen bieten derzeit im Schnitt um die 4% auf vier bis fünf Jahre, und das ist historisch betrachtet immer noch ein erhöhtes Niveau.
Langläufer sind in bestimmten Bereichen des Anleihemarktes eher Mangelware. Erwarten Sie bei Langläufern eine Zunahme des Angebots im zweiten Halbjahr?
Viele Emittenten haben seinerzeit das Tiefzinsumfeld genutzt, um langlaufende Anleihen zu begeben. Derzeit haben wir ein differenziertes Bild. Bei Pfandbriefen sind Langläufer, also über zehn Jahre, tatsächlich eher Mangelware. Am Markt der Unternehmensanleihen bleibt festzuhalten, dass der Anteil von Langläufern zugenommen hat im Vergleich zum Vorjahr. Wenn sich das Zinsniveau weiter normalisiert, erwarten wir auch, dass sich Emittenten verstärkt das lange Marktende ansehen werden. Im Staatsbereich sehen wir aber weniger große Veränderungen bei der Laufzeitenstruktur in Richtung Langläufer.
Wie sehen Sie die Risikoprämien für die Credit-Märkte im fundamentalen Kontext?
Die Risikoprämien haben sich seit Oktober 2022 deutlich zurückentwickelt. Das war letztendlich der Beginn einer rezessiven Phase in der Eurozone. Und historisch betrachtet ist es durchaus üblich, dass sich die Risikoschläge zu Beginn einer rezessiven Phase am Höhepunkt befinden und sich dann zurückbilden. Wir liegen etwa bei 120 Basispunkten für die Corporates. Das entspricht in etwa dem langfristigen Durchschnitt und bietet aus unserer Sicht eine adäquate Prämie für das derzeitige Wachstumsumfeld. Das heißt, wir sehen kein starkes globales Wachstum, aber immer noch ein relativ solides Wachstum in den USA und eine leicht positive Dynamik in der Eurozone.
Welche Sektoren erscheinen attraktiv und welche weniger aussichtsreich?
Von der strategischen Ausrichtung her erscheinen uns die Prämien im Bankensektor immer noch hoch. Das ist attraktiv, weil sie auch immer noch ein Stück über den Prämien für Bonds aus dem Nichtfinanzbereich liegen. Ansonsten sehen wir gute Risiko-Ertrags-Profile auch im Versorgerbereich. Da wird auch relativ viel emittiert. Wo wir etwas vorsichtiger aufgestellt sind, ist derzeit der Automobilbereich, weil sich die Ergebnisse ausgehend von einem sehr hohen Niveau nun etwas verschlechtern. Ansonsten sind wir auch in Sektoren wie Gesundheitswesen oder auch im Telekombereich tendenziell etwas untergewichtet, weil einfach die Risikoprämien nicht so attraktiv sind, obwohl die fundamentale Qualität vieler Unternehmen in diesen Sektoren sehr gut ausfällt. Generell positiv gestimmt sind wir noch für den Bereich der Industriegüter.
Wie werden sich die globalen Ausfallraten der Corporates entwickeln?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt für den Verlauf der Risikoprämien in den Kreditmärkten, insbesondere für die bonitätsschwächeren Segmente. Für den High-Yield-Markt ist der Ausblick in Sachen Ausfallraten eher als leicht konstruktiv anzusehen. Im Mai ist die globale Ausfallquote im Vergleich zum April um 0,4 Prozentpunkte auf 4,9% gefallen. Eine wichtige Referenz sind hier die Prognosen der Ausfallraten von Moody’s. Die Ratingagentur erwartet in einem Jahr eine globale Ausfallrate von 2,9%, was sehr moderat erscheint und auch deutlich unterhalb des langfristigen Durchschnitts von 4,1% liegt. Das heißt, dass die Entwicklung bei den Ausfallraten in keiner Weise als kritisch anzusehen ist, sondern als unterstützend. Somit sollte auch von dieser Seite keinerlei Druck auf die Risikoprämien aufkommen.
Sofern wir uns weiterhin in einem leicht positiven Wachstumsumfeld bewegen, gepaart mit einem Lockerungszyklus der Zentralbanken, dann bedarf es schon eines größeren exogenen Schocks, um eine kritische Entwicklung einzuleiten.
Im Interview: Bastian Gries
„Wir sehen Kurspotenzial bei Anleihen“
Bondexperte erachtet Bankanleihen als attraktiv – Gute Risiko-Ertrags-Profile – Moderate Ausfallraten
Angesichts der Zinssenkungsfantasien haben Anleihen weiter Kurspotenzial, meint Bondexperte Bastian Gries von Oddo BHF. Gerade Bankanleihen erachtet er als attraktiv. Gute Risiko-Ertrags-Profile sieht er aber auch im Bereich der Versorger.
Das Interview führte Kai Johannsen.