Währungen

Yen als Opfer der globalen Zinswende

Das Festhalten der BoJ an der ultralockeren Geldpolitik macht den Yen zum Verlierer der globalen Zinswende. Die dunklen Wolken über der US-Wirtschaft könnten die Währung aber wieder ins Spiel bringen.

Yen als Opfer der globalen Zinswende

Von Dorothea Huttanus*)

Wer eine Auszeit vom globalen Wettrennen um immer höhere Zinsen und immer straffere Geldpolitik sucht, sollte sich einen Blick auf Japan gönnen. Mit einer Vehemenz, die fast schon an Sturheit grenzt, widersetzt sich die Bank von Japan (BoJ) jeglichem Anflug einer monetären Normalisierung. Der Ausverkauf an den Rentenmärkten weltweit hat sich im abgelaufenen Quartal nochmals intensiviert; in Japan intensiviert sich höchstens der Kampf der BoJ zur Verteidigung ihres Zinsziels. Dabei belässt sie es nicht nur bei leeren Worten, sie lässt auch Taten folgen und greift am JGB-Markt ein. Damit ist Japans Notenbank die einzige weltweit, die ihre Bilanz derzeit noch aktiv über Wertpapierkäufe aufbläht.

Die Währungshüter ersticken nicht nur jeden Hauch von Zinserhöhungsspekulation; in der Forward Guidance verspricht die BoJ sogar Zinsen auf aktuellem oder niedrigerem (!) Niveau. Nicht einmal die Idee eines Finetunings beim Zinsziel (Ausweitung des Toleranzbandes, Änderung der Laufzeiten …) findet Anhänger. Und doch nimmt der Druck im Kessel zu. Das zur Wahrung des Zinsziels erforderliche Kaufvolumen nimmt spürbar zu, und jenseits des Zehnjahres­horizonts (also außerhalb der BoJ-Kon­trolle) folgen auch die japanischen Renditen dem globalen Aufwärtstrend.

Wende nicht auf Agenda

Die Divergenz zum Rest der Welt könnte kaum größer sein, was den Yen zum großen Verlierer der globalen Zinswende macht. Dass eine Zinswende nicht auf der Agenda steht, ist (aus Sicht des Yen) schon schlimm genug. Dass die BoJ aber dann noch die Vorzüge einer schwachen Währung betont, setzt den Yen zusätzlich unter Druck. So heißt es beispielsweise, dass der in der Vergangenheit so übermäßig starke Yen schließlich mitschuldig an dem jahrelangen Deflationsdruck und der anhaltenden ökonomischen Stagnation sei. Und natürlich fehlt auch der obligatorische Hinweis nicht, dass ein schwacher Yen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Exportindustrie begünstige.

Überholtes Relikt

Diese Argumentationskette wirkt wie ein überholtes Relikt aus der Ära der Abenomics von 2013, als ein schwacher Yen ein wichtiger Teil der Drei-Säulen-Strategie zur Wachstumsbelebung war. Das mag früher funktioniert haben, verkennt aber völlig die aktuellen Herausforderungen. Die Inflation verzehrt nicht nur Kaufkraft der Verbraucher; auch die stark exportorientierten Unternehmen leiden unter gestiegenen Energiekosten sowie unter Knappheit an Halbleitern und ähnlichen Hightech-Komponenten. Die wechselkursbedingte Verteuerung von importierten Vorprodukten und Energie macht den unterstellten Vorteil eines schwachen Yen zunichte. Und das nicht nur für den Außenhandel, sondern für die gesamte Wirtschaft.

Entsprechend tief besorgt zeigt sich inzwischen auch Japans Regierung und hier insbesondere das Finanzministerium, das die Hoheit über Währungsfragen innehat und daher theoretisch jederzeit Interventionen anordnen könnte. Solange die Notenbank aber mit ihrer expansiven Politik dazwischen grätscht, ist diese Drohkulisse kaum glaubwürdig. Zum währungspolitischen Einmaleins gehört, dass Interventionen nur dann eine Chance auf Erfolg haben, wenn sie von der passenden Geldpolitik flankiert werden. Den Yen am Devisenmarkt mit Käufen stabilisieren zu wollen, während die Zentralbank gleichzeitig den Rentenmarkt mit Liquidität flutet, wäre ein unlösbarer Widerspruch.

Auch der Bezug auf die lange In­­terventionstradition Japans hinkt, da es sich dabei in der Regel um Widerstand gegen einen zu starken Yen gehandelt hat. Interventionen gegen eine Yen-Schwäche sind die Ausnahme und zuletzt 1998 erfolgt. Sollte sich der Anstieg des Dollar gegen die japanische Währung erneut beschleunigen, wollen wir eine Verzweiflungstat des Finanzministeriums zwar nicht ausschließen. Abgesehen vom Überraschungsmoment gibt es aber wenig, was für den Erfolg eines solchen Warnschusses sprechen würde, sofern er nicht in konzertierter Aktion zusammen mit einem Sinneswandel der Bank von Japan erfolgen sollte.

Rüstung bekommt Kratzer

Sollte die BoJ zu entsprechenden Zugeständnissen bereit sein, wären wiederum gar keine Devisenmarktinterventionen mehr nötig. Schon das kleinste Indiz für einen geldpolitischen Kurswechsel dürfte im Yen schlagartig eine Trendumkehr auslösen. Immer mehr inländische Investmentfonds positionieren sich bereits gegen die Notenbank und wetten auf einen Ausverkauf am japanischen Staatsanleihenmarkt (beziehungsweise einen Anstieg der Zehnjahresrendite über das BoJ-Zinsziel). Auch ausländische Anleger ziehen massiv Kapital vom Rentenmarkt ab; Ende Juni waren ihre wöchentlichen Verkäufe mit 4,8 Bill. Yen so hoch wie nie zuvor. Die Rüstung der einst als unbezwingbar geltenden japanischen Zentralbank bekommt offenbar Kratzer.

Strategieänderung

Eine grundsätzliche Yen-Neubewertung könnte auch durch eine personalpolitische Entscheidung ausgelöst werden. Im April 2023 läuft die zehnjährige Amtszeit von BoJ-Chef Kuroda ab. Über einen Nachfolger kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Allerdings wäre alles andere als ein regierungsnaher Kandidat eine Überraschung – und regierungsnah bedeutet neuerdings mit Abneigung gegen einen schwachen Yen. Angesichts der ungewohnt offenen Meinungsunterschiede zwischen Notenbank und Regierung liegt es nahe, mit dem Wachwechsel im April auch eine geld- und währungspolitische Strategieänderung zu erwarten. Bis dahin dürften der Yen und seine Anhänger auf Hilfestellung von außerhalb Japans angewiesen bleiben. Der bloße Hinweis auf die Safe-Haven-Rolle des Yen würde hier jedoch zu kurz greifen. Wenn uns die letzten Monate eines gelehrt haben, dann, dass der Yen seine traditionelle Rolle als sicherer Hafen abgelegt hat. Anlässe zur Yen-Nachfrage aufgrund erhöhter Risikoaversion hätte es wahrlich genug gegeben.

Licht am Ende des Tunnels

Inzwischen sehen wir allerdings dunkle Wolken am US-Horizont aufziehen, die den Yen wieder zurück ins Spiel bringen könnten. Die Gefahr einer US-Rezession wird zunehmend greifbarer und könnte mittelfristig den Nimbus des un­fehlbaren Dollar beschädigen. Derzeit punktet er noch mit einer unwiderstehlichen Kombination aus hohen Zinsen plus Safe-Haven-Sicherheit, gegen die der Yen nichts ausrichten kann. Doch genau das könnte sich mit Blick auf 2023 ändern. Eine Diskussion über die möglicherweise harte Landung der US-Wirtschaft, marktseitige Forderungen nach einer Kurskorrektur der US-Notenbank, ein Auslaufen des Renditeanstieges bei den US-Trea­suries, all dies könnte dem Yen mittelfristig wieder Aufwertungsspielraum verschaffen.

*) Dorothea Huttanus ist Senior-Analystin Devisenmärkte der DZ Bank.