Wohnimmobiliensektor

Zinsanstieg beutelt Immobilien­aktien

Wohnimmobilienaktien haben in diesem Jahr bis zu rund 75% eingebüßt. Ihnen setzt der deutliche Anstieg der Zinsen zu, der die Refinanzierung verteuert und auf die Immobilienbewertungen drückt.

Zinsanstieg beutelt Immobilien­aktien

Von Christopher Kalbhenn,

Frankfurt

Auf der Suche nach den großen Verlierern am deutschen Aktienmarkt in diesem Jahr wird man schnell fündig. Aktien von Wohnimmobilienunternehmen, das einstige Paradesegment, das die Anleger jahrelang mit enormen Kurssteigerungen verwöhnt hat, sind unter die Räder gekommen. In den drei Auswahlindizes sind die Werte der Branche durchweg auf den hinteren Performance-Plätzen zu finden. So ist die Aktie des Branchenprimus Vonovia mit einer Einbuße von 50,6% (Schlussstand vom Montag) der viertschwächste Titel des Dax. TAG Immobilien ist mit einer Einbuße von 74,5% die zweitschwächste Komponente des MDax, heftige Verluste haben auch Patrizia Immobilien (−54,3%), Grand City Properties (−51,5%) und LEG Immobilien (−48,1%) erlitten.

Mit ihrer Talfahrt zollen die Wohnimmobilienaktien als besonders zinssensible Titel dem völlig veränderten Zinsumfeld Tribut. Die deutlich ge­stiegenen Zinsen verteuern die Finanzierung der Branche, die zuvor jahrelang von ultraniedrigen Zinsen profitiert hat. Zudem haben die gestiegenen Zinsen dem jahrelangen, kräftigen Anstieg der Wohnimmobilienpreise ein Ende bereitet. Während die Wohnimmobilienaktien als fungible Wertpapiere den absehbaren Preisrückgang frühzeitig vorweggenommen haben, haben die Wohnungspreise erst mit Verzögerung reagiert und sind in den ersten Monaten des Jahres zunächst weiter gestiegen.

Wohnungspreise bröckeln ab

Es war aber nur eine Frage der Zeit bis zu den ersten Preisrückgängen. Die Vermehrfachung der Zinslasten hat den Wohnungserwerb für viele Interessenten, die auch noch die Inflation verkraften müssen, un­er­schwinglich gemacht. Zudem wurde die Hypothekenkreditvergabe restriktiver. Im Ergebnis ist die Nachfrage bei den nach wie vor hohen Wohnungspreisniveaus eingebrochen. Im Mai erreichte der auf echten Transaktionen beruhende Eigentumswohnungsindex von Europace mit 231,3 Punkten ein Rekordhoch, ehe er im Juni mit dem ersten Rückgang im Vormonatsvergleich abzubröckeln be­gann. Seither geht es mit zuletzt beschleunigter Tendenz bergab. Im Oktober wurde ein Preisrückgang um 2% auf 220,5 Zähler gemessen, im Vergleich zum Hoch vom Mai ein Minus von 4,7%. Der Preisanstieg im Vorjahresvergleich, im Januar noch bei 14%, betrug im Oktober nur noch magere 1,5%.

Bewertungskorrekturen

Zu den bei einem Teil der Branche für Akquisitionen angehäuften Schulden, die teurer refinanziert werden müssen, kommt durch den Wohnungspreisrückgang ein zusätzliches Problem hinzu. In den zurückliegenden Jahren konnten die Unternehmen – und das trug wesentlich zum Kursaufschwung der Aktien bei – ihre Wohnungsbestände aufwerten. Nun stehen aber Bewertungskorrekturen bevor. Aber wie weit können die Preise angesichts der nach wie vor bestehenden Wohnungsknappheit überhaupt sinken? Die Ratingagentur Moody’s hat die Bonitätsnote für Vonovia Anfang November mit stabilem Ausblick von „A3“ auf „Baa1“ gesenkt, am Dienstag folgte eine Verschlechterung des Rating-Ausblicks für LEG Immobilien („Baa1“) von stabil auf negativ. Begründet wurden diese Schritte unter anderem mit stark steigenden Zinsen, die ihrer Meinung nach die Aussichten für Immobilienbewertungen schwächen. In ihren Annahmen unterstellte die Agentur einen Rückgang der Bewertungen bis Ende 2023 von 10%. Die DZ Bank prognostizierte kürzlich einen Rückgang der Wohnimmobilienpreise im nächsten Jahr um 6%. Goldman Sachs schätzt, dass Vonovia für dieses Jahr nur noch eine Aufwertung von 170 Mill. Euro nach 7,4 Mrd. Euro 2021 ausweisen wird und im kommenden Jahr eine Bewertungskorrektur von rund 5,6 Mrd. Euro folgen wird. Für LEG Immobilien rechnet die Bank für 2022 mit einer Aufwertung von knapp 600 Mill. nach im Vorjahr 1,86 Mrd. Euro, gefolgt von einer Bewertungskorrektur um 1,1 Mrd. Euro im nächsten Jahr.

Die derzeit bei 61,56 Euro notierende Aktie wurde von Goldman Sachs vor rund zwei Wochen mit einem von 70 auf 62,30 Euro reduzierten Kursziel von „Buy“ auf „Neutral“ zurückgestuft. Insgesamt gesehen sind Analysten für die Aktien der Branche jedoch optimistisch. Ein Grund dürfte sein, dass in den Kursen bereits viel Negatives enthalten ist. Zudem haben sich Sorgen, dass es aufgrund der Explosion der Energiekosten zu Mietausfällen kommen könnte, inzwischen durch die Ent­lastungspakete der Bundesregierung abgemildert. Die zunehmende Un­erschwinglichkeit von Eigentumswohnungen hat außerdem, neben der steigenden Bevölkerung, die Nachfrage nach Mietwohnungen an­geheizt und zu steigenden Mietpreisen geführt.

So wird Vonovia etwa von Goldman Sachs weiterhin zum Kauf empfohlen, auch wenn die Bank nach den Neunmonatszahlen ihr Kursziel für den bei 23,80 Euro liegenden Titel von 33,30 auf 30 Euro gesenkt hat. „Wir glauben, dass das Angebots-Nachfrage-Ungleichgewicht am deutschen Wohnungsmarkt für Vonovia begünstigend bleibt, trotz der kurzfristigen Sorgen über eine Rezession und hohen Energiekosten“, so die Bank, die auf ein be­grenztes neues Angebot, einen sinkenden Leerstand und eine positive Migration verweist. 

Auf den Tiefs der Finanzkrise

Auch die UBS sieht den Sektor positiv. Im Oktober senkte sie die Kursziele für Vonovia, LEG Immobilien und Grand City Properties von 36,50 auf 24 von 100 auf 85 und von 17,50, auf 11,50 (aktueller Kurs: 9,93) Euro, hielt aber an der Kaufempfehlung für die Werte fest. Die Aktien seien in diesem Jahr um rund 51% gefallen, einige Werte befänden sich wieder auf ihrem Tief aus der Zeit der großen Finanzkrise und einige Bewertungsmetriken befänden sich auf einem Rekordtief. Das Risiko-Ertrags-Verhältnis sehe aufwärtsgerichtet aus. Der Markt fokussiere sich angesichts steigender Anleiherenditen auf Abwärtsrisiken und scheine das Potenzial für sinkende Zinsen und die mittelfristige Begünstigung durch die Inflation nicht wahrzunehmen, die durch fundamentale Rahmenbedingungen ge­trieben werde, die besser seien als jemals zuvor.