Deutschlands Einhörner

Business-Angels beflügeln die Start-up-Szene

Es sind meistens große Risikokapitalgesellschaften aus dem Ausland, die milliardenschwere Finanzierungsrunden bei deutschen Start-ups anführen. Hinter den meisten Einhörnern steht aber auch mindestens ein Angel-Investor, der sich in der Frühphase engagiert hat.

Business-Angels beflügeln die Start-up-Szene

Von Stefan Paravicini, Berlin

Der deutschen Start-up-Szene wachsen Flügel. Gemeint sind damit nicht geflügelte Einhörner, deren Bewertungen in luftige Höhen steigen. Gemeint sind die Engelsschwingen von Business Angels oder Angel-Investoren, ohne deren Unterstützung vor allem in der frühen Phase eines Start-ups die späteren Erfolge vieler Nachwuchsfirmen nicht möglich wären. Immer öfter kommt die Unterstützung für die Gründerinnen und Gründer gerade in der deutschen Start-up-Hauptstadt Berlin von Angels, die selbst gegründet haben, bevor sie im Zuge eines Anteilsverkaufs oder eines Börsengangs ihres Unternehmens vermögend geworden sind. Die Angels engagieren sich aber nicht nur mit Kapital, sondern bringen meistens auch viel Erfahrung und ihr Netzwerk ein.

„Wir haben nicht den typischen Angel, sondern völlig unterschiedliche Gruppen, die auch unterschiedliche Tickets machen“, sagt Roger Bendisch, Geschäftsführer von IBB Ventures, der Beteiligungsgesellschaft der Investitionsbank Berlin (IBB), die sich seit mehr als 20 Jahren in Frühphasen von Start-ups engagiert und dabei häufig zusammen mit Angels investiert. „Solche informellen Netzwerke können Millionenbeträge mobilisieren“, sagt Bendisch über die Berliner Angel-Szene. Denn ein Merkmal von Angel-Investoren ist es, dass sie selten allein und stattdessen oft im Pool zusammen mit anderen Angels investieren.

„Zalando-Mafia“ bei Auto1

Die Bedeutung von erfolgreichen Gründern als Zentrum für ein starkes Angel-Netzwerk ist am Beispiel der sogenannten „Paypal-Mafia“ häufig beschrieben worden. Dahinter stecken Gründer und ehemalige Mitarbeiter des US-Bezahldienstes Paypal, die nach dem Börsengang 2002 auszogen, um als serielle Gründer und als Angel-Investoren an einer Vielzahl neuer Erfolgsgeschichten im Silicon Valley und darüber hinaus mitzuschreiben. Doch auch Deutschland hat spätestens seit dem IPO des Berliner Online-Modehändlers Zalando 2014 eine Investoren-Gang mit Engelsflügeln.

Das „Manager Magazin“ schrieb bereits 2017 über die „Zalando-Mafia“. Die Gründer Robert Gentz und David Schneider zählen zu den profiliertesten Angel-Investoren hierzulande. Cherry Ventures, ein 2012 von drei ehemaligen Zalando-Mitarbeitern in Berlin gegründeter Frühphasen-Investor, der längst über Angel-Investments hinausgewachsen ist, investiert mittlerweile mit seinem dritten Fonds. Zu den erfolgreichsten Investments von Cherry zählt der Berliner Online-Gebrauchtwagenhändler Auto1 Group, der im Februar an die Börse gegangen ist. Die Auto1-Gründer Christian Bertermann und Hakan Koc investieren gemeinsam mit anderen Gründern über den eigenen Start-up-Inkubator Warpspeed Ventures in Nachwuchsfirmen.

Ist das noch ein Teil der Zalando-Mafia, bereits der Kern einer neuen Auto1-Gang oder ohnehin alles das Erbe der Gebrüder Samwer, die mit ihrem Start-up-Inkubator Rocket Internet den Start von Zalando ermöglichten? Die Übergänge in der Angel-Szene sind fließend. Andere Gründer und ehemalige Mitarbeiter aus dem Kosmos von Rocket Internet investieren seit 2016 in einem Angel-Netzwerk unter dem Namen „SB21“, eine Reverenz an den ehemaligen Sitz des Start-up-Inkubators an der Saarbrücker Straße 21 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

Nach Einschätzung von Beobachtern der hiesigen Gründerszene gibt es kaum ein erfolgreiches Berliner Start-up, dessen Gründer sich nicht als Angels engagieren. Der finanzielle Erfolg der Beteiligungen spielt als Motiv dabei häufig eine Nebenrolle. „Die Angels sind mehr an Themen interessiert und investieren sehr nah an ihrer eigenen Expertise“, stellt Bendisch fest. Hier können sie am meisten Unterstützung bieten, aber auch am meisten für das eigene Geschäftsmodell dazu lernen. „Damit erweitert sich auch das eigene Netzwerk um Personen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen“, sagt Peter Chaljawski, Gründer von Berlin Brands Group, ein Spezialist für Direct-to-Consumer-Marken im Online-Handel, der im September zum Einhorn aufgestiegen ist. „Außerdem lerne auch ich im Austausch jeden Tag dazu. Das hört ja nie auf, die Dingen entwickeln sich rasend schnell“, sagt der Gründer über sein Angel-Engagement.

Das Business Angels Netzwerk Deutschland (BAND) beziffert die Zahl der Angel-Investoren hierzulande auf rund 10000. Nach Angaben des Informationsdienstes Startupdetector haben sich in Deutschland im vergangenen Jahr mehr als 4000 Angels an der Finanzierung von Start-ups be­teiligt (siehe Grafik). Wie bedeutend sie für Start-ups in Deutschland sind, zeigt auch eine Auswertung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Demnach haben Business Angels hierzulande in den Jahren 2015 bis 2018 durchschnittlich knapp 2,5 Mrd. Euro in Nachwuchsfirmen investiert und damit etwa das Vierfache dessen, was Venture-Capital-Gesellschaften über den gleichen Zeitraum in das Ökosystem gepumpt haben. In den Jahren 2009 bis 2012, waren es noch durchschnittlich 663 Mill. Euro Angel-Kapital pro Jahr.

Softbank pumpt Flügel auf

In den Finanzierungsrunden kurz vor dem Börsengang geben weiter große Risikokapitalgeber aus dem Ausland den Ton an, was vor allem von der Politik kritisch diskutiert wird. „Aus Berliner Sicht haben wir da eine etwas andere Meinung als die Politik“, sagt Roger Bendisch von IBB Ventures. „Eine Firma wie Auto1 wurde in ihren Anfängen voll von Angel-Investoren finanziert. Diese Investoren haben vom Einstieg von Softbank voll profitiert und können ein Vielfaches wieder in das Berliner Ökosystem investieren.“

Zuletzt erschienen:

Bringdienste liefern sich Rennen (8. Oktober)

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.