Chinas Premier tritt milde auf
nh Schanghai
Chinas neuer Regierungschef Li Qiang hat sich bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in der Rolle des Premierministers mit einer Reihe von Botschaften positioniert, die auf Entspannung im Konflikt zwischen China und den USA hinzielen. Zudem signalisierte er eine investorenfreundliche Linie mit verstärkter Unterstützung für die Privatwirtschaft. Nachdem sich China zu Beginn des Volkskongresses einem historisch niedrigen Wachstumsziel mit einer Expansion des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5% für das Jahr 2023 verschrieben hatte, deutete der Premier eine sozialverträgliche Wirtschaftspolitik mit Schwerpunkten bei „qualitativen“ Faktoren wie der Einkommens- und Beschäftigungsanregung an.
Auf einer Pressekonferenz in Peking, die traditionell den Abschluss des nationalen Volkskongresses darstellt, zeigte sich Li sichtlich bemüht, den Eindruck zu vermitteln, dass binnenwirtschaftliche Probleme, die aus der Pandemiezeit resultieren, pragmatisch angegangen werden und die Förderung eines positiven Geschäftsklimas wieder stärker in den Fokus rückt. Gleichzeitig sendete er mit dem Aufruf zu einer verstärkten Kooperation zwischen China und den USA ein diplomatisches Entspannungssignal, das an Chinas Finanzmärkten am Montag auf positive Resonanz stieß.
China und die USA können und müssen miteinander kooperieren. „Es gibt eine Menge, was die beiden Länder erreichen können“, sagte Li und verwies dabei auf seine Erfahrungen im Umgang mit US-Konzernen in seiner vorherigen Rolle als Parteichef der Provinz und Wirtschaftsmetropole Schanghai. Die Äußerungen des Premierministers, der als ein besonders enger Gefolgsmann des Präsidenten Xi Jinping gilt und der in der chinesischen Machthierarchie offiziell an zweiter Stelle steht, heben sich von der dezidiert aggressiven Rhetorik ab, die Xi sowie der neue Außenminister Qin Gang in der vergangenen Woche im Rahmen des Volkskongresses angeschlagen hatten. Beide hatten Chinas Vorbereitungen auf einen immer härteren Konfrontationskurs im geo- und industriepolitischen Konflikt zwischen China und den USA signalisiert und in ungewöhnlich scharfer Form direkte Warnungen an die Adresse Washingtons geschickt.
Unterstützung für Wirtschaft
Li verwendete einen gehörigen Anteil des streng choreografierten etwa 90-minütigen Frage-und-Antwort-Spiels darauf, beruhigende Botschaften an die Privatwirtschaft sowie ausländische Investoren zu senden – die jeweils unter der inzwischen abgeschafften Null-Covid-Politik stark gelitten hatten. Dabei sprach er von „unerschütterlicher“ Unterstützungsbereitschaft des Staates für den Privatsektor mit der Aufgabe, die Konjunkturkräfte und den Binnenkonsum wieder anzuregen, und versprach Maßnahmen zur Sicherung eines fairen Wettbewerbs und zur Stärkung von Eigentumsrechten.
Die Äußerungen stehen im Zusammenhang mit einem sichtlich gedrückten Geschäftsklima in China. Dieses beruht nicht nur auf konjunkturellen Faktoren und den Erfahrungen mit drakonischen Corona-Restriktionen, sondern auch auf Pekinger Regulierungskampagnen, mit denen die Privatwirtschaft und allen voran chinesische Tech-Unternehmen konfrontiert wurden. „Private Unternehmen und Entrepreneure werden ein verbessertes Geschäftsklima und mehr Raum für ihre Entwicklung vorfinden“, erklärte Li.
In Sachen konjunkturpolitischer Ausrichtung verlegte sich der Premier – und damit offiziell oberster Wirtschaftsverantwortlicher – vor allem auf die Betonung von Stabilität in Sachen Inflationsentwicklung, Eindämmung von Verschuldungsrisiken und bei der Beschäftigungslage. Dabei schien er die Bedeutung der absoluten Höhe des Wirtschaftswachstums herunterzuspielen und qualitative Faktoren hervorzuheben. „Ehrlich gesagt haben die meisten Menschen nicht das BIP-Wachstum permanent im Blick, sondern beschäftigen sich mit Fragen rund um Einkommen, Arbeitsplätze, Erziehung, Gesundheitsversorgung und Wohnsituation und Ähnlichem“, erklärte Li. Dabei bezeichnete er die Erfüllung des als moderat geltenden neuen Wachstumsziels als „keineswegs einfache Aufgabe angesichts mannigfaltiger Risiken“.
Nachdem der noch von seinem Vorgänger Li Keqiang zu Beginn des Volkskongresses vorgestellte Jahresbericht der Regierung in Abkehr von früheren Zeiten praktisch keinerlei wirtschaftsplanerische Angaben zur Konjunktursteuerung erkennen ließ, hielt sich auch Li Qiang am Montag mit Äußerungen zu konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf fiskalischer, monetärer oder auch industriepolitischer Ebene völlig zurück. Damit gibt es auch keine Anzeichen für Initiativen zur Förderung von privaten Investitionen, steuerliche Anreizpakete, Konsumanregungsmaßnahmen oder eine konzertierte Aktion zum Angehen der Verschuldungskrise bei Chinas privaten Immobilienentwicklern. An Chinas Finanzmärkten kamen die Erklärungen des Premierministers dennoch gut an und sorgten für einen Trendwechsel an den Aktienbörsen, die in der ersten Woche des Nationalen Volkskongresses deutlich negativ gestimmt waren.