Datenmaut

Das Henne-Ei-Problem

Europas Telekomfirmen brauchen einen besseren Rahmen für Investitionen in den Netzausbau, aber eine Datenmaut ist nicht sachgerecht. Stattdessen sollten Nutzer entscheiden, was ihnen welche Inhalte wert sind.

Das Henne-Ei-Problem

Die von der europäischen Telekommunikationsbranche seit Jahren geforderte Beteiligung von Big Tech an den Investitionen in immer hochleistungsfähigere Netze hat es zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt endlich auf die Agenda der EU-Kommission geschafft. Viele US-Technologieriesen haben inzwischen auch mit Inflation und gedämpfter Konsumlaune ihrer Kunden sowie teils heftig gekürzten Werbebudgets zu kämpfen. Sie reagieren mit Stellenabbau und sind selbst geneigt, die Kasse zusammenzuhalten, auch wenn diese meist noch immer prall gefüllt ist. Fromme Wünsche wie der nach einer milliardenschweren Datenmaut, die sie für den Vertrieb ihrer Inhalte über die Netzinfrastruktur der Telekommunikationsfirmen zahlen sollen, treffen da bestenfalls auf taube Ohren. Für den Fall, dass es damit nicht länger getan ist, holt Big Tech zum Gegenschlag aus. Vertreter von Meta, die mit ihren Töchtern Facebook, Instagram und Whatsapp einen üppigen Anteil am täglichen Datenverkehr auf den Netzen hat, haben das Ansinnen bereits scharf zurückgewiesen. Die Idee der Datenmaut verkenne zum einen den „Wert“, den Inhalte-Anbieter für das digitale Ökosystem darstellten, und lasse zum anderen auch die dafür notwendigen milliardenschweren Investitionen außer Acht.

Was auf den ersten Blick wie eine allgemeine Schutzbehauptung klingt, wird am konkreten Beispiel schnell verständlich. Der Streaming-Pionier Netflix steckt Milliarden in neue exklusive Filme und Serien, um den eigenen Wachstumskurs zu stützen und sich die wachsende Konkurrenz vom Leib zu halten. Das Unternehmen, das im Gegensatz zu den nächsten Wettbewerbern Amazon Prime und Disney+ keine horrenden Anlaufverluste aus anderen Geschäftssparten finanzieren kann, wäre gezwungen, die Kosten einer Datenmaut direkt an die eigenen Abonnenten weiterzureichen, ein Wettbewerbsnachteil, den der Konzern wenig überraschend nicht hinnehmen will. Stattdessen könnte Netflix den Spieß umdrehen. Der Streaming-Riese kann mit Fug und Recht darauf hinweisen, dass ein leeres Netz ohne für die Nutzer relevante Inhalte von den Telekomnetzbetreibern erst recht nicht amortisiert werden kann. Tatsächlich war Netflix die vielzitierte „Killer-App“, die – unterstützt von anderen Streaming-Inhalten bei Youtube, Amazon und Co – dafür gesorgt hat, dass der Mobilfunkstandard LTE letztlich erfolgreich kommerzialisiert werden konnte. Beim Vorgängerstandard UMTS war dies nämlich nicht der Fall, weil für diesen entsprechende massenfähige Anwendungen fehlten. Der 3G-Standard war deshalb für europäische Telekomfirmen, die es sich indes nicht erlauben konnten, auf eine Lizenz für die im Jahr 2000 als zukunftsfest geltende Technik zu verzichten, ein Milliardengrab.

Der allein durch die Bereitstellung der Inhalte durchaus vorhandene „Finanzierungsbeitrag“ von Big Tech für die Netzinfrastruktur ist damit schwerlich von der Hand zu weisen. Dennoch kreist die Debatte um die Datenmaut um das bekannte Henne-Ei-Problem, denn: Ohne vorhandene Netze hätten Netflix und Co keine funktionierende Vertriebsplattform und somit auch kein tragfähiges Geschäftsmodell. Um dem Dilemma zu entkommen, hat der Vorschlag, die Nutzer auf dem einen oder anderen Weg zur Finanzierung erhöhter Netzinvestitionen heranzuziehen, am Ende doch einiges für sich. Denn dann könnten die Telekommunikationsunternehmen endlich ein wirklich zielgruppenadäquates Tarifsystem entwickeln und von den unseligen Flatrates, die pauschal nur immer mehr Geld für mehr Bandbreite verlangen, wegkommen. Diese seit Jahren geltende Systematik hat den Unternehmen auf der Umsatzseite seit rund einer Dekade kaum Wachstum beschert, während der Datenverkehr explodiert ist. Ein Umsteuern ist indes nur möglich, wenn die EU zumindest klar definierte Ausnahmen vom Gebot der Netzneutralität für allen Content zulässt. Auch dies ist eine harte Nuss, die die Branche seit Jahren erfolglos zu knacken versucht. Allerdings sollte der EU angesichts der absehbaren milliardenschweren Investitionslücke, die den digitalen Entwicklungsplan der Gemeinschaft gefährdet, klar sein, dass der Investitionsrahmen für die Telekomnetzbetreiber an der einen oder anderen Stelle verbessert werden muss, um die erforderlichen Renditen zu generieren. Da eine weitreichende Konsolidierung der Branche in Europa, auch über Grenzen hinweg, die finanzielle Spielräume erschließen könnte, weder realistisch noch gerade für die Verbraucher wünschenswert ist, erscheint eine eingeschränkte Netzneutralität als das geringste Übel, um die nötigen Mittel für Investitionen zu generieren – und sie wäre zielgerecht.

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