Dirk Schumacher

„Die EZB sollte trotz SVB auf Straffungskurs bleiben“

Der Europa-Chefvolkswirt von Natixis, Dirk Schumacher, gehört zu den renommiertesten Beobachtern der EZB-Geldpolitik – und er kennt die Notenbank auch von innen: Als Ökonom arbeitete er 2017 ein Jahr lang für die EZB. Im Interview spricht er über die aktuelle Lage – vor allem nach der Pleite der Silicon Valley Bank.

„Die EZB sollte trotz SVB auf Straffungskurs bleiben“

Mark Schrörs.
Herr Schumacher,

der Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) hat die Furcht vor einer neuen Bankenkrise geschürt und die US-Notenbank Fed sogar veranlasst, ein Programm für Notkredite an Banken aufzulegen. Wie groß schätzen Sie das Risiko einer Bankenkrise ein, und welche Folgen hat all das für die EZB, die am Donnerstag tagt?

Die SVB hat US-Staatsanleihen gekauft, um jedes Kreditrisiko zu vermeiden, sich aber dann um das Zinsänderungsrisiko offenbar nicht genug Gedanken gemacht. Da die SVB von ihrem Geschäftsmodell sehr speziell ist, kann man vermutlich davon ausgehen, dass andere Banken – und speziell die systemrelevanten Banken – sich deutlich besser gegen dieses Risiko abgesichert haben. Nicht zuletzt die Stresstests für die systemrelevanten Banken in der Eurozone simulieren unter anderem, welche Konsequenzen ein starker Anstieg der Zinsen für die Bankbilanzen hat. Aber es gilt auch, dass das grundsätzliche Problem bei Finanzkrisen die „unknown un­knowns“ sind – also das Risiko, von dem man nicht weiß, dass es existiert. Wo genau im System die Sollbruchstellen liegen, ist ex ante nicht immer leicht zu wissen. Sicher wird das Thema Finanzstabilität am Donnerstag im EZB-Rat nun eine größere Rolle spielen. Die Äußerungen einiger Ratsmitglieder deuten dies bereits an.

Die Probleme der SVB werden nicht zuletzt auf die beispiellosen Zinserhöhungen der Fed zurückgeführt. Offenbaren sich nun die Risiken der raschen Zinswende für die Finanzstabilität, und sollte deshalb auch die EZB ihr Zinserhöhungstempo überdenken? An den Märkten werden nun bereits deutlich weniger EZB-Zinserhöhungen als zuvor eingepreist.

Zunächst sollte man vermuten, dass die EZB – in ihrer Funktion als Bankenaufseherin – das Zinsänderungsrisiko und die Implikationen für die Bankbilanzen im Prinzip gut einschätzen kann. Auch ist davon auszugehen, dass die SVB und die Struktur ihrer Bilanz eine Ausnahme und nicht die Regel sind. Die EZB sollte bereitstehen, großzügig Liquidität zur Verfügung zu stellen, aber sich nicht von ihrem momentanen Kurs der Straffung des geldpolitischen Kurses abbringen lassen – es sei denn, es gibt konkrete Anhaltspunkte einer Ansteckungsgefahr. Was es natürlich zu bedenken gilt, ist, dass höhere Funding-Kosten der Banken im Zuge einer Neubewertung der Risiken auch zu höheren Kreditkosten für Unternehmen und Haushalte führen. Je nach Größenordnung muss die EZB dies in ihrer Betrachtung und ihrer Beurteilung der notwendigen Straffung der Geldpolitik berücksichtigen.

Sollte die Fed das Tempo ihrer Zinserhöhungen drosseln oder selbige sogar vorerst ganz stoppen, müsste dann auch die EZB mitziehen, um keine zu starke Aufwertung des Euro zu riskieren?

Eine starke Aufwertung des Euro wäre in der momentanen Gemengelage, aufgrund des dämpfenden Effekts auf die Inflation, zu begrüßen. Außerdem ist nicht klar, wie stark der Euro überhaupt aufwerten würde. In Zeiten von erhöhter Unsicherheit und Risiken wertet der Dollar normalerweise auf, selbst wenn die USA die Ursache für die Unsicherheit sind.

Und was bedeuten die Probleme im Bankensektor und an den Finanzmärkten für den gerade begonnenen Abbau der EZB-Bilanz? Spricht das dafür, das aktuell sehr vorsichtige Abbautempo beizubehalten? Sollte die EZB auch die Pläne zum Auslaufen der Liquiditätshilfen (TLTROs) überdenken?

Das vorsichtige Tempo sollte beibehalten werden, da der inflationsdämpfende Effekt einer schnelleren Reduzierung vermutlich gering ist, während das Risiko von weiteren Marktverspannungen möglicherweise deutlich zunimmt. Von einem „Risk-Reward“-Gesichtspunkt würde ich eine schnellere Reduzierung der Bilanz im Moment als nicht vorteilhaft einschätzen. Höhere geldpolitische Zinsen sind in ihrer Wirkung besser einzuschätzen und sollten die erste Wahl sein, wenn eine weitere deutliche Straffung der Geldpolitik notwendig ist. Was die TLTROs angeht: Die EZB sollte ankündigen, dass neue Operationen jederzeit möglich sind, sollte dies notwendig sein.

Hat die Gefahr zugenommen, dass die EZB überzieht und ihre Politik zu stark strafft. oder ist angesichts der hartnäckig hohen Inflation ein kompromissloser Kurs alternativlos?

Die hohe Inflation – und die Gefahr, dass die Inflation im weiteren Verlauf eine sich selbst verstärkende Dynamik bekommt – macht weitere Zinserhöhungen notwendig. Dies heißt nicht, dass Finanzstabilitätsrisiken ignoriert werden können. Das gilt nicht zuletzt, da Finanzkrisen starke Auswirkungen auf die Konjunktur und das Wachstum haben. Bekämpfung der Inflation und eine Gewährleistung der Finanzstabilität stehen aber nicht notwendigerweise orthogonal zueinander. Höhere Risiken bedeuten striktere finanzielle Rahmenbedingungen und sollten damit in der Beurteilung der geldpolitischen Lage berücksichtigt werden.

Die Fragen stellte

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