Finanzinvestoren

Doktor Private Equity kommt unter Druck

Finanzinvestoren haben Milliarden in den Aufkauf deutscher Arztpraxen investiert. Jetzt will ihnen das Bundesgesundheitsministerium mit einer schärferen Regulierung zu Leibe rücken.

Doktor Private Equity kommt unter Druck

Mit Spannung warten Finanzinvestoren in diesen Wochen auf das Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Die Fachleute sollen Eckpunkte vorlegen für eine Gesetzgebung, die Investments von Private-Equity-Firmen in Arztpraxen deutlich stärker reguliert als bisher. Es geht aus Sicht der Patienten um Augenärzte, Dialyse, Gynäkologen, Hausärzte, HNO-Praxen, Internisten, Kardiologie, Orthopädie, Radiologen, Strahlentherapie, Testlabore und Zahnärzte, die in sogenannten investorenbetriebenen medizinischen Versorgungszentren (MVZ) unter einem Dach angesiedelt sind – und die möglicherweise, wenn sie von Investoren betrieben werden, die Rendite oder Umsatzvorgaben über den medizinischen Behandlungserfolg stellen. Aus Sicht der Finanz­investoren geht es um Milliarden­investments in Praxisketten, die durch die Regulierung stark an Wert verlieren könnten.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat kurz vor Weihnachten für das erste Halbjahr 2023 einen Gesetzentwurf angekündigt, mit dem die Aktivitäten der Finanzinvestoren eingeschränkt werden sollen. „Wir wollen keine Investoren-Medizin“, sagte Lauterbach. Inzwischen macht auch der bayerische CSU-Landesgesundheitsminister Klaus Holetschek über die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Tempo und will Lauterbach offenbar überholen. Werden alle bisher diskutierten Vorschläge tatsächlich umgesetzt, dann ginge es um erhebliche Einschränkungen: Die Investments der Private-Equity-Firmen in MVZ würden regional und fachlich begrenzt. Es würde über ein Register Transparenz geschaffen über die Eigentumsverhältnisse, und es würden Hinweise auf den Praxisschildern vorgeschrieben.

„Die erhöhte Transparenz fände ich keinen Fehler“, sagte der Deutschlandchef eines großen angelsächsischen Finanzinvestors der Börsen-Zeitung. „Aber die jetzt diskutierten Einschränkungen hätten den Aufbau der großen Laborkette, die in unserem Besitz war, erschwert oder unmöglich gemacht. Man hätte die Größenvorteile nicht hinbekommen, und das wäre in der Pandemie ein Hindernis gewesen.“

Hauptbetroffene

Besonders stark betroffen von der diskutierten Regulierung wären beispielsweise die Private-Equity-Häuser Montagu, Nordic Capital und PAI Partners. Montagu gehört die Frankfurter Augenklinik Artemis. Nordic Capital hatte Anfang 2022 die Augenarztkette Veonet für 2 Mrd. Euro an den kanadischen Pensionsfonds Ontario Teachers Pension Plan und die französische PAI Partners verkauft, und ebenfalls Nordic Capital stellt gerade die 2 Mrd. Euro schwere und europaweit agierende drittgrößte deutsche Zahnarztkette European Dental Group mit der Marke „Dein Dental“ zum Verkauf. Konkurrent PAI Partners hatte 2019 an der Zahneins-Gruppe aus Hamburg 89% übernommen, eine Gruppe zahnärztlicher medizinischer Versorgungszentren. Im vergleichbaren Geschäftsfeld tätig sind auch Quadriga Capital und Waterland.

Seit die Bundesregierung die Rechtsform des MVZ 2004 eingeführt hat, ist ihre Zahl schnell gestiegen: auf inzwischen rund 4000. Möglich sind die Investments der Finanzinvestoren in MVZ aber erst seit 2015. Damals hatte der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, arztgruppengleiche medizinische Versorgungszentren zu gründen, und als Voraussetzung für den Betrieb von MVZ den Erwerb eines Krankenhauses etabliert. Sogleich legten sich Private-Equity-Firmen Krankenhäuser zu – und begannen mit dem Aufkauf von Arztpraxen, um daraus ganze Konzerne im Milliardenwert zu formen. Mehr als 30 solcher in Private-Equity-Besitz befindlicher Arztpraxen-Konzerne gibt es inzwischen in Deutschland.

Aus Sicht der Kritiker werden die Möglichkeiten, ein Krankenhaus zu erwerben und damit die Gründungsbefugnis für ein MVZ in ganz Deutschland zu erlangen, von Private-Equity-Firmen als Vehikel ausgenutzt, um Zugang zur vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu erlangen. „Dies führt beispielsweise dazu, dass eine Waiblinger Klinik in Baden-Württemberg mit gerade einmal 15 Betten – eine chirurgische Belegarztklinik ohne zahnmedizinischen Versorgungsauftrag – ein zahnärztliches MVZ am Starnberger See in Bayern gründet“, heißt es in einer Kleinen Anfrage der CDU-CSU-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung. „Es ist aus Sicht der Fragesteller nicht immer nachzuvollziehen, inwieweit es bei einer solchen MVZ-Gründung tatsächlich um eine – von Seiten der Private-Equity-Firmen vorgetragene – Stärkung der regionalen sek­torenübergreifenden medizinischen Versorgung vor Ort geht.“

Vermehrt würden Sorgen an sie herangetragen, gestützt unter anderem auch auf ein Gutachten des IGES-Instituts im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), die mögliche Gefahren für die Patienten durch investorengetragene MVZ (iMVZ), insbesondere die Tendenz zur Über- und Fehlversorgung und den Aufbau von MVZ-Kettenstrukturen beinhalten. Das Ergebnis des IGES-Gutachtens: MVZ in Bayern rechnen je Arztgruppenfall im Vergleich zu Einzelpraxen ein um 5,7% höheres Honorarvolumen ab. Bei MVZ, die in Besitz von Finanz­investoren sind, sind es 10,4% mehr. Das Gutachten sieht keinen nennenswerten Beitrag von iMVZ zur Versorgung ländlicher Räume und vulnerabler Patientengruppen.

Die Buy-and-build-Strategie der Investoren trifft im europäischen Ausland teilweise auf Widerstand, weil sie aus Sicht der Kritiker zu Lasten der Versorgung praktiziert wird. Das lässt sich aus Sicht der CDU-Fraktion „immer stärker auch in Deutschland beobachten“. Eine „Investoren-Schlacht um Deutschlands Arztpraxen“ sieht der Verband der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund) im Gange – allerdings ärgern die sich vielleicht auch nur über die wachsende Konkurrenz. Trotz der vom Gesetzgeber – unter Hinweis auf befürchtete negative Auswirkungen der MVZ-Gründungen durch Krankenhäuser im Besitz von Finanzinvestoren – 2019 mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ergriffenen Maßnahmen für den vertragszahnärztlichen Bereich zeigen die Zahlen der KZBV, dass sich die Dynamik laut CDU-Fraktion „ungebremst“ fortsetzt: Der Anteil der iMVZ an allen MVZ beläuft sich Ende 2021 bereits auf gut 27%. Ende Dezember 2021 betrug die Zahl der zugelassenen medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland 1289 – 17% mehr als im Vorjahr.

Melderegister gefordert

Ein Rechtsgutachten von Professor Dr. Helge Sodan, Freie Universität (FU) Berlin, schlägt vor dem Hintergrund der laut CDU-Fraktion be­stehenden „Gefahren“ unter anderem eine räumlich-fachliche Be­schränkung der Gründungsbefugnis von Krankenhäusern und den Aufbau eines MVZ-Registers vor. Ein weiteres Herzstück der Überlegungen ist eine gesonderte Eignungsprüfung. Doch schon definitionsgemäß sind MVZ ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen im Arztregister eingetragene Ärzte als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind.

Nach Auffassung der CDU-Fraktion „können MVZ in ärztlicher Trägerschaft eine sinnvolle Ergänzung in der ambulanten Versorgung – insbesondere in der fachärztlichen – sein“. Es bestehe „jedoch die Möglichkeit, dass MVZ in nichtärztlicher Trägerschaft im ländlichen Raum in Konkurrenz zu bewährten Strukturen der Grundversorgung treten können, so dass die lokale bzw. regionale Bevölkerung mehrheitlich über die Versorgung durch ein solches iMVZ abgedeckt ist. Dies wäre nach Auffassung der Fragesteller „im Sinne einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung auch im ländlichen Raum kontraproduktiv“.

Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt

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