Handwerklich völlig missraten
Zur Entlastung von Haushalten, Gewerbe und Industrie treibt die Bundesregierung ergänzend zur Gaspreisbremse auch die Pläne für eine Strompreisbremse voran. Finanziert werden soll sie über „Zufallsgewinne“ von Stromproduzenten wie EnBW oder RWE. Die Abschöpfung der Zufallsgewinne ist eine extrem komplexe Aufgabe, die so lange brauchen wird, dass der Wirtschaftsstabilisierungsfonds aus der Pandemie als Zwischenfinanzierer benötigt wird. Normalerweise, so Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, würde man sich dafür zwei oder drei Jahre Zeit nehmen. Das alles müsse die Bundesregierung in der Krise in nur zwei Monaten machen. Entsprechend unausgegoren sind die Pläne, die jetzt manchmal vorzeitig ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geschoben werden. Am Mittwoch der vergangenen Woche war es ein Planungspapier aus dem Bundeswirtschaftsministerium zur Strompreisbremse, das die Empörung der Strom produzierenden Energiekonzerne auslöste.
Natürlich sind die Energiekonzerne vor allem deswegen empört, weil sie für die Strompreisbremse ihre bereits erzielten Gewinne aus diesem Jahr zwischen März und November, soweit sie oberhalb der Produktionskosten zuzüglich Kapitalkosten und einer Sicherheitsmarge liegen, zu 90% abliefern sollen. Aber das an die Öffentlichkeit gelangte Modell zur Deckelung der Gewinne in der Stromerzeugung hat auch tatsächlich Schwächen. Es ist sehr komplex und überaus bürokratisch angelegt. Es berücksichtigt in keiner Weise, dass neben Energieversorgern auch branchenfremde Unternehmen wie Banken in der Vermarktung von Commodities wie Strom tätig sind und Gewinne erzielen. Man unterstellt fälschlicherweise, dass der gesamte Gewinn beim Kraftwerksbetreiber anfällt. Insofern dient der Vorschlag den finanziellen Interessen von internationalen Energiehändlern, die unberücksichtigt bleiben. Die Netzbetreiber werden vollständig mit der Abrechnung möglicher Übergewinne überfordert sein. Ihnen fehlen die Mittel, einen „Zufallsgewinn“ festzustellen, weil sie nur den technischen Einspeiser erkennen können, aber nicht wissen, wer wie wirtschaftlich dahintersteht und daran verdient. Das ist der Grund, warum das Abschöpfen der Übergewinne für die Strompreisbremse gar nicht funktionieren kann. Das Konzept lässt siebentausend mögliche Schlupflöcher, wenn die Erzeuger Umwege über Händler gehen.
In Berlin kursiert die Zahl von 30 Mrd. Euro. So viel soll die Abschöpfung der Übergewinne einbringen. Die Zahl leitet sich her aus den 140 Mrd. Euro, die Ursula von der Leyen für die gesamte Europäische Union genannt hat. Deutschland trägt dazu rund 20 bis 25% bei. Im ersten Jahr dürften es laut Schätzung des Energieversorgerbranchenverbands BDEW aber nur 8 Mrd. Euro werden. Die Strompreisbremse setzt die Pläne der EU auf nationaler Ebene um. In der für Deutschland geplanten Variante soll nach Technologie und Anlagen differenziert werden – am meisten wird bei Erneuerbaren, Atomkraft und Braunkohle abgeschöpft, die Steinkohle ist außen vor (warum?) – und die Obergrenzen liegen erheblich unter dem europäischen Wert. Die derzeit diskutierten Obergrenzen für den Erlös liegen so niedrig, dass kaum jemand mehr in Erneuerbare investieren würde. Zudem soll es auch noch rückwirkend passieren, das würde die Kapitalmärkte und ihr Vertrauen in Deutschland erschüttern. Investoren, die ihr Geld in Windräder und Solaranlagen in Deutschland gesteckt haben, laufen Sturm gegen die Rückwirkung. Wird daran festgehalten, dann würde viel Porzellan zerschlagen. In Spanien hat man mit solchen rückwirkenden Maßnahmen extrem schlechte Erfahrungen gemacht.
Zudem ist die geplante Rückwirkung bis in den März 2022 juristisch sehr fragwürdig. Mögliche zivilrechtliche Wechselwirkungen aus Lieferverträgen zwischen Marktteilnehmern bleiben ebenso unberücksichtigt. Das Ganze stärkt nicht das Investitionsvertrauen in die Energiewende in Deutschland. Die Bundesregierung sollte aus den Fehlern bei der Gasumlage gelernt haben, die dann nach einigem Hin und Her zurückgenommen werden musste. Viele Anstrengungen der Bundesregierung konzentrieren sich derzeit darauf, in den Markt einzugreifen, als würde er nicht funktionieren. Aber er funktioniert. Er setzt die richtigen Signale. Das Missverhältnis zwischen einer weitgehend gleichbleibenden Nachfrage und einem schrumpfenden Angebot ist das Problem. Die richtige Strategie wäre, das Angebot zu erhöhen. Damit ist erst vor kurzer Zeit begonnen worden: Drei Atomkraftwerke bleiben bis April am Netz, statt sie Ende 2022 abzuschalten, und etliche Steinkohlekraftwerke, die eingemottet werden sollten, produzieren ebenfalls weiterhin Strom. Das ist der richtige Weg.