Hays-CEO Dirk Hahn: Strategie mit Personalplanung verknüpfen
Von Sabine Reifenberger,
Frankfurt
Ob großes oder kleines Unternehmen, egal welche Branche: Wer mit Führungskräften spricht, kommt früher oder später auf das Thema Fachkräftemangel. Besonders deutlich zeigt sich der bei Finanzexperten: Der Hays Fachkräfte-Index Finance weist für Ende 2022 fast 30000 offene Stellen für Fachleute in Finanzabteilungen aus, der höchste Stand seit Beginn der Erhebung im Jahr 2015. Ein treibender Faktor ist nach Einschätzung von Hays-CEO Dirk Hahn das wirtschaftliche Umfeld: „In volatilen Zeiten wächst der Bedarf nach Finanzkennzahlen und Analysen, das treibt die Nachfrage nach Finanzspezialisten.“ Auch die wachsenden regulatorischen Anforderungen tragen seiner Beobachtung nach zu dieser Entwicklung bei.
Dabei könnte es durchaus sein, dass die getrübte Wirtschaftsstimmung das wahre Ausmaß des Fachkräftemangels in manchen Branchen zurzeit sogar noch überdeckt, vermutet Hahn. Ausschreibungen in bestimmten Bereichen, etwa im Vertrieb, schwanken mit der Konjunktur. „Ich gehe davon aus, dass sich die Personalsituation im nächsten Aufschwung noch zuspitzt.“
Eine große Hoffnung, um die Fachkräftelücke zu schließen, lautet: künstliche Intelligenz (KI). Spätestens mit der Software ChatGPT ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Neue Perspektiven eröffnet insbesondere die sogenannte „generative KI“, die beispielsweise Texte oder Bilder auswerten und erstellen kann. Während die Entwicklung von generativer KI noch recht jung ist, gibt es gerade in Finanzabteilungen schon seit längerem den Ansatz, repetitive Arbeiten nicht mehr von Menschen, sondern zunehmend von selbstlernenden Algorithmen unter menschlicher Aufsicht ausüben zu lassen. Die Idee dahinter: Wenn diese Tätigkeiten wegfallen, können die Beschäftigten ihre freiwerdenden Ressourcen auf analytische Bereiche mit größerer Wertschöpfung verwenden.
KI als künftiger Kollege
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, sagt Hahn: „Bevor man an automatisierte Prozesse überhaupt denken kann, müssen sehr viele Unternehmen noch ihre Hausaufgaben im Finanzbereich erledigen“, sagt er. Nach wie vor seien IT-Systeme vielerorts noch zu wenig vernetzt und Daten könnten nicht automatisiert erhoben werden. Der Fachkräftemangel könnte allerdings ein weiterer Treiber sein, um die Digitalisierung noch einmal zu beschleunigen, erwartet Hahn: „Eine Zusammenarbeit von KI und Mensch ist sicherlich die Zukunft.“
Bis es so weit ist, muss die Fachkräftelücke anderweitig geschlossen werden. Dabei sieht Hahn, der bei Hays als CEO die CEMEA-Region verantwortet, die Unternehmen in der Pflicht. Sein Kritikpunkt: „Unternehmen denken zu wenig darüber nach, wie sich ihre mittelfristigen Pläne und Projekte auf den Bedarf an Mitarbeitenden auswirken. Sie müssen ihre Strategien stärker mit der Personalplanung verknüpfen.“ Dabei könnten sie neben der klassischen Festanstellung auch über Beschäftigung auf Zeit oder die projektweise Einbindung Selbständiger nachdenken. „Geschäftsmodelle ändern sich gerade in ganz vielen Branchen, aber viele Kunden schauen – wenn überhaupt – noch sehr singulär auf einzelne Themen. Dabei ist die Frage, welche Dienstleistungen und Produkte ich in drei bis fünf Jahren anbieten will, entscheidend dafür, welches Wissen und welche Fähigkeiten ich an Bord holen sollte“, erklärt Hahn. Darüber hinaus ließen sich klassische Soft Skills wie Kommunikation oder die Fähigkeit, Menschen über Abteilungen hinweg zu bestimmten Themen zusammenzubringen, auch perspektivisch kaum automatisieren.
Nach wie vor trifft Hahn noch regelmäßig auf Verantwortliche, die nicht aktiv nach Personal suchen, sondern vielmehr glauben, von potenziellen Mitarbeitern automatisch gefunden zu werden. Dies funktioniert nicht mehr, ist der CEO überzeugt. Die Schuld dafür dürften Unternehmen aber nicht den Kandidaten zuschieben, findet Hahn.
Von der verbreiteten Klage über die vermeintlich mangelnde Motivation bei Nachwuchskräften aus der „Gen Z“ hält er nichts: „Eine ganze Generation als faul oder dumm hinzustellen, ist sicherlich nicht zielführend“, sagt Hahn. „Man muss akzeptieren, dass die Prioritäten sich verschieben.“
Er ist überzeugt, dass sich künftig noch mehr Beschäftigte flexible Arbeitszeiten, Einsatzorte oder auch wechselnde Aufgabenfelder wünschen. „Ein Teil der strategischen Arbeit wird für Führungskräfte künftig darin liegen, sich zu überlegen, wie sie diese Anforderungen in ihrem Unternehmen umsetzen können.“