Im Land der Goldgräber
Investoren haben Deutschland für sich entdeckt“, wie Torsten Gerpott als Autor der jüngsten Studie von Dialog Consult zum deutschen Telekommunikationsmarkt formuliert. Denn der vor einigen Jahren noch äußerst zähe Ausbau von Glasfaser geht jetzt deutlich voran. Zum Jahresende dürfte die Zahl der verfügbaren Anschlüsse dieser hochbitratigen Infrastruktur gegenüber Vorjahr um 45 % gewachsen sein. Allein in diesem Jahr fließen geschätzt 11,6 Mrd. Euro in die neuen Netze, so viel wie nie in 25 Jahren. Der Präsident des Branchenverbands VATM, David Zimmer, der sein eigenes Glasfaserunternehmen Inexio an Deutsche Glasfaser verkauft hat, taxiert den Zufluss an Investorenkapital, das hierzulande bereitgestellt wurde, auf 50 Mrd. Euro.
Dabei ist beachtlich, dass auch die Risikobereitschaft steigt, denn zwischen Ausbau und sogenannter Take-up-Rate, also den tatsächlich vermarkteten Anschlüssen, klafft eine wachsende Lücke. Waren 2019 noch 54 % der insgesamt gebauten Glasfaseranschlüsse auch von Kunden gebucht, so dürften es 2022 nur rund 38 % sein. Dennoch hält der Goldrausch an. Neben Deutsche Glasfaser, die als Pionier hierzulande komplett in der Hand der Finanzinvestoren EQT und Omers ist, suchen vor allem die großen Telekomnetzbetreiber den Schulterschluss mit Kooperationspartnern und Private Equity. Ihnen geht es hauptsächlich um Marktanteile.
Marktanteile im Fokus
Telefónica Deutschland, die ihre Festnetzkunden bisher komplett über Wholesale-Verträge mit Telekom, Vodafone und Tele Columbus bedient, setzt auf das Joint Venture zwischen dem spanischen Mutterkonzern und Allianz Capital: UGG (Unsere Grüne Glasfaser) investiert bis 2026 rund 5 Mrd. Euro in Glasfaser im ländlichen Raum. Auf diese Weise hofft der in München ansässige Mobilfunkanbieter, der 100 Mill. Euro in UGG steckt, dann 2,2 Millionen Kunden mit Glasfaser bedienen zu können. Gegenüber der Deutschen Telekom und Vodafone nimmt sich dieses Ziel indes bescheiden aus.
Insbesondere die Telekom setzt alles daran, ihren Anteil am Breitbandmarkt, der einst komplett mit Glasfaser gleichgesetzt werden dürfte, zu schützen. Sie hat derzeit 14,8 Millionen Breitbandkunden, entsprechend einem Marktanteil von knapp 40 %, die überwiegende Zahl davon noch über DSL-Technik (13,6 Millionen), also Kupferader.
Wenn sie ihren Anteil halten will, muss sie den Glasfaserausbau deutlich beschleunigen – was auch ihr erklärtes Ziel ist. Bis Ende 2024 will die Telekom zehn Millionen Anschlüsse bereitstellen, bis 2030 insgesamt acht Millionen im ländlichen Raum. Dafür müssen auch die Investitionen steigen. Ursprünglich war der Plan, die Investitionen in Deutschland schon im vergangenen Jahr auf 6 Mrd. Euro hochzuschrauben. Tatsächlich wurden sie der Dialog-Studie zufolge seit 2019 bei rund 4,5 Mrd. Euro stabil gehalten. Die Lücke zu den Wettbewerbern, die in Summe in diesem Jahr 7 Mrd. Euro investieren dürften, dehnt sich aus.
Indes sind die Spielräume des Bonner Konzerns begrenzt. Die Telekom steht im Wort, ihre ausgeuferte Nettoverschuldung bis Ende 2024 wieder in den Korridor eines Faktors von 2,25 bis 2,75 des bereinigten Ebitda zu bringen. Sie kann deshalb die Investitionen in Deutschland nur begrenzt ausweiten, wenn sie die Dividende nicht anrühren will. Um trotzdem schneller voranzukommen, hat die Telekom die Kräfte mit dem auf Infrastruktur spezialisierten Fonds IFM gebündelt, der an dem gemeinsamen Joint Venture (JV) Glasfaser Plus zunächst die Mehrheit hält. Auf diese Weise muss der Bonner Konzern die Schulden des JV nicht konsolidieren. Er hat sich allerdings vorbehalten, die Mehrheit später wieder sicherzustellen.
Im Glasfaserausbau wird traditionell ein großer Schuldenhebel eingesetzt, denn die passive Infrastruktur ist äußerst wertbeständig und verspricht langfristig stabile Renditen. Deren Höhe hängt allerdings stark von der Auslastung ab, und die lässt bisher zu wünschen übrig, wie die Vermarktungslage zeigt. Von den 12,3 Millionen Anschlüssen, die Ende 2022 erstellt sein werden, dürfte nur gut ein Viertel gebucht sein.
Der Bedarf an Bandbreite lässt sich nicht durch Marketing generieren, sondern wächst mit der Zahl hochbitratiger Anwendungen. Dabei gibt es derzeit im Privatkundenumfeld und auch im gewerblichen Bereich nur wenige Beispiele für einen individuellen Bedarf, der grundsätzlich im Gigabit-Bereich liegt.
Teurer Flop
Entsprechend gestaltet sich die Nachfrage bzw. die Vorvermarktung mitunter zäh. Diese Erfahrung musste vor allem Vodafone machen, die ihre eigene Glasfaseroffensive schnell zurückgezogen hat, ohne allerdings auf einen zeitnahen Ausbau der neuen Infrastruktur verzichten zu können. Denn auch die Briten wollen ihren Festnetzmarktanteil in ihrer größten Landesgesellschaft schützen. Und sie mussten feststellen, dass es längerfristig nicht ausreichen würde, ein hochleistungsfähiges Kabelnetz zu besitzen.
Das ist bitter für Vodafone und teuer. Denn in den Kauf von Kabel Deutschland und Unitymedia hat der Konzern rund 18 Mrd. Euro gepumpt. Die an diese Akquisitionen geknüpften Wachstumshoffnungen haben sich nicht erfüllt. Der Festnetzumsatz sackte im zurückliegenden ersten Geschäftsquartal des Fiskaljahres 2022/23 um 1,6 % ab. Auf diese Weise lässt sich kein Return auf die hohen Investitionen darstellen.
Außerdem sieht Vodafone sich vor der Herausforderung, ihren teuer erworbenen Marktanteil bei den Wohnungsgesellschaften in Deutschland, die in der Regel in der Hand der Kabelgesellschaften waren, zu schützen. Wenn Mitte 2024 das sogenannte Nebenkostenprivileg (eine Zwangsgebühr für den Kabelanschluss) fällt, ist es für die Telekom viel leichter in diesem Markt mit eigenen Angeboten anzugreifen. Vodafone hat sich daher, um den Wohnungsbaugesellschaften auch künftig eine moderne, wettbewerbsfähige Infrastruktur zu bieten, nolens volens entschlossen, das Kabelnetz mit Glasfaser zu überbauen. Weil dies aus eigener Kraft nicht zu stemmen ist, hat sich Vodafone einen Partner gesucht. Zusammen mit Altice soll die Erschließung des eigenen Kabel-Footprints mit Glasfaser vorangetrieben werden. Das Joint Venture soll 2023 an den Start gehen und 7 Mrd. Euro in die Hand nehmen. Dafür sollen sieben Millionen Glasfaseranschlüsse entstehen. Allerdings wird Vodafone das Gemeinschaftsunternehmen konsolidieren und damit auch die Schulden, die kommen.
Steigende Zinskosten
Obwohl Glasfaser eine Assetklasse ist, die sich auch in schwierigen Zeiten beleihen lässt, ist die Finanzierung nach der Zinswende kein Kinderspiel. Deutsche Glasfaser hat noch Ende 2021 frisches Fremdkapital von 5,7 Mrd. Euro aufgenommen, eine Summe, die über 25 Banken und Versicherer verteilt wurde.
Seither sind die Zinsen geradezu sprunghaft angestiegen, vor allem für Emittenten ohne „Investment-Grade-Etikett“. Zu diesen zählen sämtliche Investorenvehikel und Joint Ventures im Glasfaserbereich. Die Risikobereitschaft der Kreditinstitute hat aufgrund des eingetrübten konjunkturellen Umfelds und inflationärer Belastungen deutlich abgenommen. In Summe drohen daher auch bei Glasfaser deutliche höhere Finanzierungskosten.
Hinzu kommen die reinen Baukosten. Bei diesen ist ein explosionsartiger Anstieg zu befürchten. Es mangelt an allem: als Erstes an Baukapazitäten, an Geräten, an Fachkräften, aber dann auch an Materialien. Der Preisschub auf dem Bau insgesamt dürfte zwar die Baunachfrage andernorts drücken. Jedoch lassen sich Kapazitäten aus dem Wohnungs- oder Gewerbeimmobilienbau nicht ohne weiteres auf den Tiefbau umlenken, zumal dann nicht, wenn bestimmte moderne Verlegemethoden ausgeschöpft werden sollen.