Konjunktur

Industrie erleidet Auftragseinbruch

Die Bestellungen sind auf dem niedrigsten Stand seit Juli 2020. Die zahlreichen Unsicherheiten bremsen die Unternehmen. Für manche Ökonomen ist „das Ergebnis ein Schock“.

Industrie erleidet Auftragseinbruch

ast Frankfurt

Die deutsche Indus­trie hat im November überraschend wenige Aufträge eingesammelt. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, fielen die Bestellungen nach vorläufigen Daten saison- und kalenderbereinigt um 5,3% niedriger aus als im Oktober. Es handelt sich um den größten Auftragseinbruch seit mehr als einem Jahr. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur einen Rückgang von 0,5% auf dem Zettel – sehen aber die Produktion für 2023 noch nicht gefährdet.

„Der Auftragseingang hat damit das niedrigste Niveau seit Juli 2020 erreicht“, so Destatis. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum lag der Auftragseingang kalenderbereinigt 11% niedriger. Es handelt sich bereits um das achte Minus 2022. Grund für die schwächere Nachfrage dürfte die Unsicherheit von Unternehmen angesichts steigender Zinskosten, einer wachsenden Rezessionsgefahr und hoher Energiekosten sein. So gab der Auftragseingang besonders bei Herstellern von Investitionsgütern (−8,5%) nach, bei Vorleistungsgütern (−0,9%) und im Bereich der Konsumgüter (−0,7%) hingegen deutlich weniger.

Laut dem Statistikamt fielen die Auslandsaufträge um 8,1%. Insbesondere Bestellungen aus dem gemeinsamen Währungsraum blieben demnach aus (−10,3%). Aber auch das übrige Ausland orderte weniger (−6,8%). Am stabilsten zeigten sich die Auftragseingänge aus dem Inland. Hier verzeichneten die Statistiker nur ein Minus von 1,1%. Im Gegensatz zum Oktober, als ein kleines Plus in Höhe von 0,6% (revidiert von zuvor 0,8%) verzeichnet worden war, trugen insbesondere ausbleibende Großaufträge zum Minus bei. Ohne die Berücksichtigung von Großaufträgen ergab sich ein Rückgang von 2,9%.

Innerhalb des verarbeitenden Gewerbes fiel die Entwicklung unterschiedlich aus: Besonders stark schlägt der Einbruch mit −40,9% im sonstigen Fahrzeugbau zu Buche. Auch Branchen wie Maschinenbau (−7,3%) und Metallerzeugnisse (−9,2%) meldeten Auftragsrückgänge. Andererseits nahmen die Bestellungen in den Bereichen Kfz und Kfz-Teile (+1,1%) sowie chemische (+2,4%) und pharmazeutische Erzeugnisse (+8,2%) zu.

Zwar sei die Nachfrage in der Industrie im November stark von ausbleibenden Großaufträgen ge­prägt gewesen, analysierte auch das Bundeswirtschaftsministerium. Die Produktion werde aber zunächst durch den hohen Auftragsbestand gestützt. „Die Auftragsdaten zeigen aber, dass die Industrie einen schwierigen Winter durchläuft, auch wenn sich die Geschäftserwartungen der Unternehmen zuletzt verbessert haben“, kommentierte das Ministerium.

„Ergebnis ist ein Schock“

Auch Ralph Solveen, Commerzbank-Ökonom, erwartet nicht, dass der maue Auftragseingang unmittelbar auf die Produktion durchschlägt. „So sind die realen Umsätze, die stark mit der Produktion korrelieren, im November sogar um 2,1% gestiegen“, erklärte Solveen. „Angesichts der schwächeren Auftragseingänge und der Belastung durch die hohen Energiepreise mag deshalb die Produktion in den kommenden Monaten zwar fallen, ein Einbruch ist aber unwahrscheinlich.“

Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der luxemburgischen VP Bank, sieht eine starke Verunsicherung bei den Unternehmen: „Selten zuvor hatte der globale Unternehmenssektor mit so vielen Baustellen gleichzeitig zu tun.“ Dass angesichts geopolitischer Spannungen im Rahmen des Ukra­ine-Kriegs, angespannter Lieferketten, steigender Zinsen und hoher Energiekosten manche Investition auf Eis gelegt werde, sei nachvollziehbar. „Auf kurze Frist gibt es aber eine gute Nachricht: Die rückläufigen Auftragseingänge sind keine akute Bedrohung für die deutsche Wirtschaft“, so Gitzel.

Deutlich weniger entspannt zeigt sich Alexander Krüger, Chefvolkswirt des Bankhauses Hauck Aufhäuser Lampe. „Das Ergebnis ist ein Schock“, erklärte er. „Bedenklich ist auch, dass die Auftragsvergabe nunmehr unter dem Niveau von 2015 liegt.“ Sinkende Materialengpässe gäben nur wenig Grund zur Hoffnung auf eine Verbesserung.

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