Institute uneins über die Wachstumsfrage
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Der Blick der Ökonomen auf die weitere Entwicklung der deutschen Wirtschaft fällt sehr uneinheitlich aus – zwischen Schrumpfen und Wachstum ist in den ersten Frühjahrsprognosen alles dabei. Das Ifo-Institut repräsentiert dabei die pessimistische Seite und erwartet für das Gesamtjahr ein Minus von 0,1% für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie eine Winterrezession zur Jahreswende 2022/2023. Den Optimisten gibt das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) mit einer Voraussage von 0,5% und erteilt auch der bis vor kurzem fest eingeplanten Winterrezession eine Absage. Zum Vergleich: Die Bundesregierung rechnet derzeit für das laufende Jahr mit einem Plus von 0,2%, das IW Halle erwartet ein Wachstum von 0,4% und das HWWI geht von einer Stagnation aus (siehe Tabelle).
Nach dem Rückgang des BIP um 0,4% zum Jahresende 2022 rechnet das Ifo-Institut im Startabschnitt 2023 mit einem Minus von 0,2% womit eine technische Rezession – zwei Minusquartale in Folge – gegeben wäre. Das IfW setzt hingegen ein Plus von 0,2% an. „Spätestens ab Jahresmitte dürften langsam sinkende Inflationsraten und steigende Löhne wieder zu einem Reallohnplus führen und die Binnenkonjunktur stützen“, sagte Ifo-Experte Timo Wollmershäuser.
„Inflationsgipfel ist erreicht“
„Der Gipfel der Inflation ist erreicht“, erklärte er. Im Jahresdurchschnitt dürfte die Rate auf 6,2% zurückgehen. Sinkende Energiepreise und eine allmähliche Auflösung der Lieferschwierigkeiten in der Industrie seien die Ursachen dafür. Erst 2024 dürfte die Teuerungsrate wieder bei rund 2% liegen – hier sind sich die Forscher aus München und Kiel einig. Mit Zweitrundeneffekten auf die Inflation sei angesichts der sich abzeichnenden Lohnerhöhungen von gut 5% in diesem und knapp 6% im kommenden Jahr dabei nicht zu rechnen – die Lohnzuwächse „sind daher stabilitätsgerecht“, betonte Stefan Kooths, Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel. Die Reallöhne dürften allerdings zunächst noch weiter sinken – dementsprechend auch der Privatkonsum, wie die beiden großen Institute betonen. Das Ifo verweist an der Stelle auch auf die auf Dezember vorgezogenen Autokäufe wegen dem Ende staatlicher Prämien.
Industrie gilt nun als Stütze
Zur konjunkturellen Stütze wird unisono das verarbeitende Gewerbe erklärt – nachdem es lange als Sorgenkind galt. Denn nun kommen wieder mehr Aufträge herein und die Auftragsbücher sind immer noch randvoll. Diese dürften nun zügig abgearbeitet werden, denn die Energiepreise seien kräftig gefallen und die Lieferengpässe bei Vorprodukten liessen nach, wie die Münchener Forscher erklären. Wollmershäuser streicht dabei besonders die Lage der Automobilindustrie heraus, „in der der Mikrochipmangel im Grunde genommen über viele Jahre die Produktion gehemmt hat und nun kräftig aufwärts gerichtet ist“ – und das sei einer der Industriebereiche, der sich „gesamtwirtschaftlich doch ganz gut durchschlagen kann“. Der Industrie dürfte auch die wieder anziehende globale Konjunktur helfen. Wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen wird hingegen der hohe Krankenstand einer kräftigeren Expansion im Wege stehen. Das IfW Kiel macht zudem Kapazitätsengpässe als Bremsfaktor im verarbeitenden Gewerbe aus.
„Das einzige, wo wir pessimistisch sind, ist die Baukonjunktur“ – eine Aussage von Wollmershäuser, die auch das IfW teilt: „Die Bauinvestitionen werden aufgrund der schlechteren Finanzierungsbedingungen deutlich sinken“, heißt es dort. Bei den Dienstleistungsbranchen dürften insbesondere die Unternehmensnahen Bereiche ihre Geschäftsaktivität „in robustem Tempo ausweiten“, erklärte das IfW.
Dem Arbeitsmarkt wird gleichfalls von allen Seiten Robustheit trotz der Konjunkturschwäche bescheinigt. Infolge des demografischen Wandels dürfte die Erwerbstätigkeit in den kommenden Jahren ihren Zenit überschreiten, schreiben die Kieler.