Lob der Rübe
Von Andreas Hippin, London
In Großbritannien sind in den vergangenen Tagen die Tomaten knapp geworden. Auch andere Salatzutaten sind nicht mehr jederzeit überall zu haben. Bei der Supermarktkette Asda dürfen Kunden nur drei Brokkoli pro Einkauf erwerben, beim Rivalen Morrisons nur zwei Gurken. Auch Tesco und Aldi haben mit der Rationierung begonnen. Fernsehnachrichtenableser stellen sich vor den Filialen vor die Kameras, um Krisenstimmung zu erzeugen. Der Bauernverband verbreitet Bilder von leer gefegten Regalen über die sozialen Medien – nicht ganz uneigennützig, geht es ihm doch wie stets in erster Linie um noch höhere Subventionen für die heimische Landwirtschaft, in diesem Fall Treibhausbetreiber, denen höhere Energiekosten zu schaffen machen.
Die Gründe für den Gemüsenotstand sind schnell ausgemacht: Natürlich ist der Brexit an allem schuld. Auch der „Klimanotstand“ und Wladimir Putins Krieg in der Ukraine werden gerne als Gründe für den Versorgungsengpass genannt. Doch in der Sainsbury’s-Filiale in der Nähe des Londoner Büros der Börsen-Zeitung sind die Regale voll. Auch anderenorts ergibt sich ein Bild, das nicht ganz der alarmistischen Berichterstattung entspricht. Will man leere Regale ablichten, kann man das jeden Tag am frühen Abend in den Frischeabteilungen der Supermärkte tun. Will man volle Regale zeigen, geht man morgens – alles eine Frage des Timings. Doch immerhin drei Fünftel der von Yougov befragten Briten gaben an, in den vergangenen Wochen bei ihrem Einzelhändler Versorgungsengpässe beobachtet zu haben.
Was allenthalben zur „Gemüsekrise“ hochgejazzt wird, geht auf ungewöhnlich kaltes Wetter in Spanien und Marokko zurück. Rund 90 % der betroffenen Gemüse kommen von dort. Sie brauchen einfach länger, um heranzureifen. Wer Wetter mit Klima verwechselt, wertet das natürlich als Beweis für einen globalen Klimanotstand. Die britischen Einzelhändler verlassen sich auf Lieferungen aus diesen Ländern. Denn natürlich werden in Großbritannien im Winter keine Tomaten geerntet. Das entkräftet das Argument, die derzeitige Knappheit läge daran, dass die zuvor unbegrenzt verfügbaren Billigarbeitskräfte aus den Armutsregionen der EU seit dem Austritt aus der Staatengemeinschaft nicht mehr bereitstehen. Spätestens Anfang April werden Produkte von britischen Tomatenzüchtern die Regale füllen.
Man sollte sich aber ernsthaft fragen, ob man wirklich über das ganze Jahr hinweg Treibhausgemüse und Flugobst braucht, insbesondere wenn man ansonsten nicht müde wird, sein Engagement für den Klimaschutz herauszustreichen. Die bärbeißige Umweltministerin Thérèse Coffey hat schon recht, wenn sie darauf hinweist, dass die Menschen in Großbritannien zu dieser Jahreszeit eher Rüben essen würden als Tomaten. Man sollte die traditionelle Esskultur der Weltregion, in der man lebt, nicht verachten, sondern hochhalten. Dann klappt es auch mit dem CO2-Fußabdruck.
Deshalb zum Schluss ein Buchtipp: „Cooking with Jane Austen“ von Kirstin Olsen erschien bei Greenwood und entführt in eine Zeit, in der Obst und Gemüse noch keine Flugmeilen sammeln konnten. Auch Rüben kommen darin vor.