Mit Zukäufen profitabel werden
Heidi Rohde.
Herr Nothacker, die gegenwärtige Lage ist für die Logistikbranche an Herausforderungen nicht arm: Ukraine-Krieg, Energiekrise, Lieferkettenbrüche. Wie wächst Sennder in dem Umfeld? Zuletzt wurden für 2022 über 600 Mill. Euro Umsatz kolportiert, stimmt das?
Tatsächlich sind wir 2022 organisch stärker gewachsen als geplant – trotz des herausfordernden Marktumfeldes. 2022 war das erste Jahr, in dem wir die Mittelverbrennung signifikant reduziert haben. Wir investieren weiter in Wachstum, wenden aber pro Euro Umsatz weniger Geld auf. Wir konzentrieren uns in unserem Geschäft auf Lkw-Vollladungen (Full Truck Load, FTL). Dieser Bereich der Logistik ist deutlich weniger volatil als Luftfracht, Containerschifffahrt oder auch Pakete. Im Gegenteil: Dieser Markt ist auch in Coronazeiten und in der aktuellen Situation sehr stabil geblieben.
Es läuft besser als geplant, Ihr Umsatzziel von 2 Mrd. Euro im Jahr 2025 werden Sie demnach übertreffen?
Wir sind gut unterwegs und haben im vergangenen Jahr mehr Umsatz gemacht, als wir in unserer Planung definiert haben. Bis 2025 sind es noch drei Jahre, aber wir sind optimistisch, dieses Ziel zu erreichen.
Sie hatten im vergangenen Sommer die letzte Finanzierungsrunde über 80 Mill. Euro gedreht. Nun heißt es, Sie wollen in Kürze weitere 90 Mill. Euro einwerben, ist das Geld schon weg?
Wir sind in der komfortablen Situation, dass wir 2021 240 Mill. Dollar eingesammelt haben und sehen derzeit keinen Druck, neue Mittel einzuwerben. Das gilt auch für das kommende Jahr. Weiteres Funding schließen wir nicht aus, wenn der Markt das wieder zulässt. Wir sind derzeit dabei, zu prüfen, inwieweit wir weiter in strategische Zukäufe investieren wollen. Das ist eine Option, noch schneller die Weichen auf Profitabilität zu stellen. Wir haben in der Vergangenheit auch vorzugsweise klassische Lkw-Firmen gekauft, solche, die zu klein sind für Private Equity, wo eine Nachfolgelösung anstand. KE und Cars & Cargo, die wir gekauft haben, waren beide profitabel und in der Bewertung relativ günstig, weil es keinen großen Markt an Käufern für solche Unternehmen gibt.
Und da wollen Sie im neuen Jahr weitere Firmen kaufen?
Das schließen wir nicht aus. Auf diese Weise können wir schneller wachsen und verkürzen den Weg zur Profitabilität, weil wir Firmen kaufen, die Gewinne machen. Derzeit schauen wir uns den Markt an und evaluieren potenzielle Zukäufe, die wir gegebenenfalls im neuen Jahr realisieren wollen. M&A ist aktuell eine gute Option, auch weil die Preise attraktiver sind als noch vor einem Jahr.
Sie haben eine ganze Reihe namhafter Investoren, aber wo viele mitreden, wird die Diskussion meist nicht einfacher. Fühlen Sie sich gebremst?
Im Gegenteil, gerade im vergangenen halben Jahr lief es sehr gut. Scania ist einer unserer größten Investoren. Das ist von Vorteil, Scania kennt den Markt und seine Wachstumsperspektiven. Sie sitzen auf vollen Orderbüchern, das unterstützt unsere Zuversicht und auch die anderer Investoren. Wir haben uns 2022 gut entwickelt und wachsen aktuell weiter.
2022 war in der Unicorn-Szene vielfach ein Jahr der Bewertungskorrekturen. Wo stehen Sie?
Wir haben die Bewertungsschwelle von mehr als 1 Mrd. Euro mit unserer Finanzierung im Januar 2021, also noch vor dem Boom, überschritten. Und seither sind wir weiter gewachsen. Deshalb bin ich zuversichtlich für die Zukunft, zumal auch unsere Margen sich rasant verbessert haben. In einzelnen Märkten wie Italien machen wir schon Gewinn auf operativer Ebene.
Sie gehen davon aus, dass das Geld wenn nötig bis 2024 ausreicht. Wären Sie dann auch so weit, alternativ an die Aufnahme von Fremdkapital zu denken?
Gerade für die Finanzierung von M&A ist Venture Debt spannend, idealerweise mit einer Equity-Komponente, also zum Beispiel eine Relation von 70 % Schulden und 30 % Eigenkapital bei einer Akquisition. Eine Kombination verringert auch die Zinssätze.
Wann kommt ein IPO in Betracht?
Das ist aktuell kein Thema für uns. Aber natürlich halten wir uns immer alle Szenarien offen.
Zurück zur operativen Entwicklung: Wie wirken sich die gestiegenen Dieselpreise auf das Geschäft aus?
Tanken macht beim Lkw-Transport ein Drittel der Gesamtkosten aus, das ist also signifikant. Wir begegnen dem an zwei Stellen: Zum einen nutzen wir für die Lkw, die auf unserer Plattform fahren, unsere Einkaufsmacht. Wir bündeln die Dieselnachfrage und erzielen für unsere Partner bessere Konditionen beim Tanken. Zum anderen verwenden wir sogenannte Diesel-Floater. Der Preis für die Lkw-Ladung steigt auch mit den Dieselpreisen an. Das verhandeln wir bei längerfristigen Kontrakten im Schnitt über neun bis zwölf Monate. Die Dieselpreise sind dann ein durchlaufender Posten.
Die Branche der Lkw-Fahrer ist durch Klein- und Kleinstbetriebe gekennzeichnet. Ist da die Digitalisierung schon hinreichend fortgeschritten oder ist das für Sennder noch ein Wachstumshemmnis?
Die Branche ist tatsächlich noch sehr fragmentiert. 70 % aller Lkw gehören Unternehmen mit weniger als zehn Fahrzeugen. Das birgt Ineffizienzen und hier kann die Digitalisierung sehr helfen. 23 % aller Lkw fahren aktuell noch leer durch die Gegend, und das obwohl am Markt 400 000 bis 500 000 Fahrer fehlen. Unsere Herausforderung ist natürlich, dass sich Lkw-Unternehmen digitalisieren. Über Sennder können diese schneller zahlen und wir zahlen auch etwas mehr als andere Industrieteilnehmer.
Wie viele Lkw sind inzwischen auf der Plattform?
Wir haben derzeit rund 40 000 registrierte Partner. Dabei muss man allerdings regelmäßige Nutzer und Gelegenheitsnutzer unterscheiden. Mehrere tausend Unternehmen fahren sogar jeden Tag für uns, und darunter sind auch solche, die wir komplett auslasten, indem wir eine bestimmte Anzahl Frachtkilometer im Monat garantieren. Auslastungsprobleme gibt es besonders häufig im Fernverkehr, wo die Lkw-Unternehmer dann am Zielort keine Anschlussladung für die Rückfahrt finden. Da tragen wir zur Problemlösung bei.
Viele Unternehmen bemühen sich derzeit um eine Diversifizierung ihrer Lieferbeziehungen. Wie wirkt sich das auf Sennder aus?
Es gibt zwei Effekte: Zum einen betreiben mehr Firmen ein Near-Shoring, sie bemühen sich, mehr Waren aus Europa zu beziehen und vielleicht weniger aus Asien. Das ist positiv für uns, denn wir konzentrieren uns auf den Straßentransport in Europa. Eine große Herausforderung in der Industrie sind die mangelnde Anzahl der Fahrer und Lkw-Kapazitäten. Vor allem der Fahrermangel wird noch zu einem riesigen Problem werden.
Woher rührt plötzlich der akute Mangel?
Zunächst sind die Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer nicht attraktiv, Zeitdruck, lange Abwesenheiten von zu Hause. Der Beruf birgt Stressfaktoren. Speziell in Deutschland ist überdies eine Quelle des Nachschubs versiegt, seit es keine Wehrpflicht mehr gibt; denn die Bundeswehr hat aufgrund des Eigenbedarfs traditionell viele Lkw-Fahrer ausgebildet, die nach Ablauf der Wehrpflicht dem Markt zur Verfügung standen. Die fehlen jetzt. 8 % aller Fahrer kamen übrigens aus Russland und der Ukraine, das macht sich auch auf dem Markt bemerkbar.
Was ist zu tun?
Ich warte auf den Moment, in dem die Knappheit eskaliert. Zwei Drittel aller Lkw-Fahrer in Europa werden in den nächsten 15 Jahren in den Ruhestand gehen, dann wird’s richtig eng in der Industrie. Wir bemühen uns um bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung, mehr Planbarkeit. Aber langfristig ist die Politik gefordert. Ich rechne mit einem gewissen Schockereignis; dann wird sich die Branche relativ schnell weiter entwickeln müssen.
Inwiefern?
Ich gehe davon aus, dass in sechs bis sieben Jahren auf den Autobahnen jeweils eine Spur für autonom fahrende Lkw vorgesehen wird, damit sich der Einsatz von Fahrern auf Kurzstrecken beschränkt und sich so deren Lebensqualität deutlich verbessert, was hoffentlich auch den Beruf wieder attraktiver macht und die Zahl der verfügbaren Fahrer wieder erhöht.
Wird das autonome Fahren bis dahin so weit entwickelt sein?
Der Lkw-Betrieb ist sozusagen der Frontrunner. Es gibt schon heute autonomen Betrieb an Häfen, zum Beispiel auch in Mainz. Die Autobahn ist auch geeignet, weil man dort einen Bereich gut isolieren kann. Aber natürlich gibt es noch andere Herausforderungen, den erforderlichen Fortschritt der Ladeinfrastruktur für E-Lkw etwa.
Apropos, wie kommen Sie zurecht mit dem Verbrenner-Aus?
Das ist eine Riesenchance für uns. Die Lkw-Hersteller haben sich darauf eingestellt, und die großen Kunden fordern es, denn alle arbeiten am Ziel der Dekarbonisierung und vor allem auch an ihrem mittelbaren CO2-Ausstoß. Die Herausforderung ist: Ein E-Lkw kostet vier- bis fünfmal so viel in der Anschaffung wie ein Dieselfahrzeug, also rund 500 000 Euro ohne Subventionen. Das ist für die vielen Kleinunternehmen nicht zu stemmen. Da müssen neue Geschäftsmodelle geschaffen werden wie etwa Carsharing oder Pay per Use, und natürlich müssen entsprechende Fahrzeugpools entstehen, so dass Lkw dafür verfügbar sind.
Sie sind ein Plattform-Unternehmen, können Sie sich vorstellen, einen solchen Pool aufzubauen und also doch Assets auf die Bilanz zu nehmen, wie Flixbus das mit dem Kauf von Greyhound getan hat?
Das ist nicht Teil unseres Geschäftsmodells, Stand heute haben wir so etwas auch nicht geplant. Die damit verbundene Komplexität zu lösen ist sehr zeit- und kostenintensiv.
Das Interview führte