EZB

Ohne Preisstabilität ist alles nichts

Die EZB muss jetzt klare Signale gegen die Inflation setzen. Der erhoffte Rückgang der Teuerung im nächsten Jahr ist beileibe kein Selbstläufer.

Ohne Preisstabilität ist alles nichts

Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn die Europäische Zentralbank (EZB) der Rekord-Zinserhöhung von 75 Basispunkten im September am Donnerstag nicht eine Anhebung in gleicher Höhe folgen lässt. Zu klar die jüngsten Signale der Euro-Hüter, zu offensichtlich der Handlungsbedarf. Trotz zunehmender Rezessionsrisiken kann und darf die EZB gar nicht anders, als sich mit voller Kraft gegen die Rekordinflation zu stemmen. Das heißt konkret: Die Leitzinsen müssen erst einmal weiter rasch und kräftig erhöht werden und der Abbau der aufgeblähten Bilanz gehört auf die Agenda. Beides ist im wahrsten Sinne des Wortes – alternativlos.

Keine Frage: Das Risiko einer Rezession im Euroraum hat zugenommen, womöglich steckt die Wirtschaft sogar schon drin. Noch aber besteht die berechtigte Hoffnung, dass die Rezession eher mild ausfällt. Vor allem aber muss es jetzt oberste Priorität haben, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bekommen. Zwar gibt es einige Hoffnungsschimmer wie den scharfen Rückgang der Gas- und Elektrizitätspreise. Mit 9,9% ist die Inflation aber weiter völlig inakzeptabel hoch und sie breitet sich immer stärker aus. Und die Inflationserwartungen lösen sich vom 2-Prozent-Ziel. Da braucht es klare geldpolitische Signale. Das gilt umso mehr, als Pandemie und Krieg womöglich strukturell zu mehr Inflationsdruck führen. Die Prognose einer 2023 wieder rückläufigen Inflation ist beileibe kein Selbstläufer.

Die Leitzinsen gehören nun schnellstmöglich zumindest auf ein Niveau geschleust, das die Wirtschaft nicht mehr stimuliert. 2% beim Einlagenzins zum Jahresende sind da ein wichtiges Zwischenziel. Nach aktuellem Stand erscheint es indes immer mehr angezeigt, auch in den restriktiven Bereich vorzudringen. Laut Analysen der EZB selbst ist die Inflation zunehmend nachfragegetrieben. Da muss die EZB die Nachfrage gegebenenfalls aktiv bremsen. Ohne Preisstabilität kann die Wirtschaft nicht wieder reüssieren. Womöglich wird es Sinn machen, ab Anfang 2023 bei den Zinsen weniger aggressiv vorzugehen. Noch aber ist es dafür zu früh. In jedem Fall muss sich die EZB hüten, die Zinsnormalisierung zu früh zu stoppen. Noch fataler wäre es, wenn sie allzu voreilig wieder zu Zinssenkungen greifen würde. Die EZB sollte klarer machen, wie sie sich den künftigen Zinspfad vorstellt – ohne sich selbst über Gebühr zu binden.

Mit der fortschreitenden Zinsnormalisierung ist es zu­gleich immer weniger zu rechtfertigen, auf der Bilanzseite den ungebremsten geldpolitischen Stimulus aufrechtzuerhalten. Natürlich ist die Unsicherheit groß, wann und wie die auf rund 9 Bill. Eu­ro aufgeblähte Bilanz abgebaut werden kann. Es fehlt an Erfahrungswerten, weil dieses geldpolitische Großexperiment einmalig war. Im Euro-Kontext ist das Thema wohl noch diffiziler, weil sich die Finanzkonditionen eventuell genau dort verschärfen könnten, wo es am wenigsten ge­braucht wird. Und das jüngste Chaos in Großbritannien ist zweifellos Warnung, vorsichtig zu agieren. Das alles darf aber nicht zur Konsequenz haben, das Thema auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu vertagen. Für die EZB geht es auch um die Emanzipation von der (Fiskal-)Politik. Die jüngste Warnung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Richtung EZB spricht Bände. Das verfestigt nur Sorgen vor fiskalischer Dominanz. Die EZB muss jetzt zumindest kommunikativ den Weg be­­reiten, zeitnah mit dem Bilanzabbau starten zu können.

Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei den Extra-Zinsgewinnen, die die Banken derzeit erwirtschaften können, wenn sie – etwas vereinfacht ausgedrückt – Liquidität, die sie in der Krise von der EZB zu sehr günstigen Konditionen erhalten haben, jetzt im Zuge der raschen Zinswende bei der EZB bunkern. Das bedeutet nicht gewollte Anreize, diese Hilfen (TLTROs) zu halten – was aktuell geldpolitisch nicht opportun ist. Zudem bedeutet es eine Art Subvention für die Banken – was in Zeiten großer Inflations- und Wohlstandssorgen vieler Bürger nicht zu rechtfertigen ist. Und schließlich impliziert es Risiken für die Bilanzen der Euro-Notenbanken selbst und damit für deren Reputation. Kaum eine Lösung für dieses Problem ist ohne Gefahren und Risiken. So wie jetzt geht es aber schlicht nicht weiter.

Beim Einstieg in die ultralockere Geldpolitik wollten viele nicht wahrhaben, dass die eigentliche Bewährungsprobe erst kommt, wenn es Richtung Ausstieg geht. Nun zeigt sich schonungslos die Gratwanderung, vor der die EZB steht. Erschwert wird diese durch die kolossale Fehleinschätzung der Inflationsentwicklung. Das Risiko eines Fehltritts und eines Absturzes ist immens und es steigt. Schockstarre ist aber keine Option – oder Alternative.

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