Steiniger Weg der deutschen Staatsfonds
Die Mutation der Begrifflichkeit ist bemerkenswert. Was die FDP als Aktienrente ins Spiel gebracht hatte, wurde zwischenzeitlich zur Aktienreserve, um als Generationenkapital das Licht der Welt neu zu erblicken. Dahinter verbirgt sich ein Systemwandel in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), gemeinhin als erste Säule des Rentensystems bezeichnet neben der betrieblichen und der privaten Vorsorge.
Über eine Änderung des Finanzierungsverfahrens in der GRV wird seit Jahrzehnten diskutiert, nun scheint es so weit zu sein. Das Projekt geht zurück auf den Koalitionsvertrag der Ampel von Ende 2019, denn dort ist die teilweise Kapitaldeckung festgeschrieben. „Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Mrd. Euro zuführen.“
Kenfo steht bereit
Gestreckt über viele Jahre soll eine Summe von 150 Mrd. Euro in die Kapitaldeckung der GRV fließen. Damit das Zusatzvermögen keine Begehrlichkeiten weckt, wird eine Zweckbindung zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung festgeschrieben. Im ersten Schritt will man auf die Ressourcen des staatlichen Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (Kenfo) zurückgreifen. Später könne die Verwaltung der beiden Fonds konsolidiert werden. Auf Ertragsschwankungen bei möglichen Börsenturbulenzen sei der Bund vorbereitet und werde das Risiko aus dem Haushalt übernehmen, hieß es.
„Positiv ist in jedem Fall, dass das Geld am Aktienmarkt angelegt werden soll. Die Renditen ergeben eine zusätzliche, attraktive Finanzierung für die Rentenversicherung“, sagt Norbert Kuhn. Der Kapitalmarktexperte vom Deutschen Aktieninstitut (DAI) mahnt aber, dass man mit einer anfänglichen Aktienrücklage von 10 Mrd. Euro nicht weit komme. Besser wäre es, wenn 2 % der Rentenbeiträge in die Aktienrente fließen. Damit sammele sich ein hoher dreistelliger Milliardenbetrag an. Bei einer Rendite des Aktienkapitals von 6 % pro Jahr käme man auf 4,2 Bill. Euro bis zum Jahre 2060.
Damit wäre ein deutscher Altersvorsorge-Staatsfonds Stand heute der weltgrößte seiner Art. Aus diesem Vermögen könnte man zudem die Rentenkassen um rund 250 Mrd. Euro pro Jahr entlasten, so das Aktieninstitut. Das ginge aber nur bei einer Beitragsfinanzierung „Wenn Gelder aus dem Staatshaushalt stammen, ist eine individuelle Zurechnung schwieriger“, so Kuhn. Damit nachvollziehbar ist, wer was eingezahlt hat und wem was als Altersvorsorge zustehe, seien Beiträge besser, sagt Kuhn.
Beifall aus der Fondsbranche
Zustimmung für einen Staatsfonds zur Finanzierung der Rente kommt auch aus der Fondsbranche. „Für ein nachhaltiges gesetzliches Rentensystem war es höchste Zeit“, sagt Christof Quiring, Altersvorsorgeexperte bei Fidelity. Mit der Entscheidung komme man dem Ziel, das Rentensystem zu stabilisieren und den Anstieg der Beiträge zu stoppen, näher. „Es ist richtig, das Modell des Kenfo für die professionelle Verwaltung des Generationenkapitals zu nutzen.“ Damit die Aktienrente erfolgreich ist, müsse sie von Kapitalmarkt-Profis verwaltet werden. Außerdem brauche es privatwirtschaftlichen Wettbewerb bei der Vergabe der Mandate. Beides sei beim Kenfo der Fall, so Quiring.
Zustimmung kommt auch vom Fondsverband BVI. „Gegen einen Staatsfonds in der ersten Säule haben wir nichts einzuwenden. Es ist gut, wenn in der gesetzlichen Rentenversicherung ein kapitalgedeckter Anteil eingeführt wird und die Chancen der Kapitalmärkte wahrgenommen werden“, sagt BVI-Chef Thomas Richter. Mit dem Konzept der Aktienrente nach schwedischem Modell könnte der Staat die Abhängigkeit von Steuerzuschüssen verringern. In einem Staatsfondsmodell in der ersten Säule würde die Investmentbranche als Produktgeber bereitstehen.
Politischer Einfluss befürchtet
Alles andere als begeistert ist die Versicherungsbranche von einem Staatsfonds für die Altersvorsorge. „Falls der öffentlich verantwortete Fonds in ferner Zukunft ein großes Volumen aufweisen sollte (‚norwegischer Staatsfonds skaliert auf deutsche Verhältnisse‘), so könnte darunter die Bonität des deutschen Fiskus leiden“, heißt es in der Stellungnahme des Versichererverbands GDV im Rahmen der Fokusgruppe Altersvorsorge. Diese Gefahr dürfte vor allem bei schuldenfinanzierten Konstrukten entstehen.
Die Versicherer kritisieren auch die Politiknähe von Staatsfonds. „Daraus resultieren aus Sicht der Vorsorgenden spezifische Risiken der Kapitallenkung bis hin zur Zweckentfremdung des Fonds.“ Ein Beispiel dafür sei der irische National Pensions Reserve Fund, der zur Stützung des heimischen Bankensektors eingesetzt wurde. „Auch der norwegische Staat hat in der Kapitalmarktkrise 2008 und Coronakrise 2020 Mittel des Government Pension Fund Global (GPFG), der hierzulande als beispielgebend angeführt wird, zweckentfremdet und zur Stabilisierung der Wirtschaft genutzt“, schreibt der Verband in einer Stellungnahme. Der nun in Deutschland für die Verwaltung des Generationenkapitals ins Spiel gebrachte Atomfonds ist als öffentlich-rechtliche Stiftung aus Sicht des GDV „politisch gesteuert“. Der Kenfo sei mit einem Kuratorium ausgestattet worden, das „die Einbindung des politischen Meinungsspektrums und der Bundesregierung“ gewährleistet. Alle im Bundestag vertretenen Fraktionen sind im Kuratorium repräsentiert sowie drei Bundesministerien. Dieses politisch bestückte Kuratorium beschließt über alle grundsätzlichen Fragen des Kenfo.
Kick-off in Berlin
Der Startschuss für das Generationenkapital und damit den ersten deutschen Staatsfonds zur Finanzierung der Altersvorsorge fand Mitte Januar in Berlin mit Anja Mikus, CEO des Kenfo, und Finanzminister Christian Lindner statt. Das Generationenkapital greift dabei auf den Kenfo zurück. Der Fonds verwaltet Geldmittel in Höhe von rund 24 Mrd. Euro und existiert seit Juni 2017. Der Fonds hat die Aufgabe, die eingezahlten Mittel im Laufe dieses Jahrhunderts so zu verwalten und anzulegen, dass die Finanzierung der Zwischen- und Endlagerung des radioaktiven Abfalls in Deutschland gewährleistet ist.
Mit der Erweiterung der Aufgaben dürfte der Kenfo in der Wahrnehmung deutlich steigen und damit liegt ein Vergleich mit anderen europäischen Staatsfonds nahe. In erster Linie ist der schwedische AP7, der beitragsfinanziert im Rahmen der ersten Säule der Alterssicherung seit 2000 Mittel einsammelt und auf ein Vermögen von rund 90 Mrd. Euro kommt. Der norwegische Staatsfonds ist zwar anders konstruiert, doch allein wegen seiner Größe von 1,3 Bill. Euro kommt man an dem Vehikel nicht vorbei. Der staatliche Pensionsfonds des Königreichs Norwegen wird von der Norges Bank Investment Management verwaltet, einer Einheit der Notenbank, und investiert seit 1998 Öleinnahmen für die Zeit, in der die Erdölreserven zur Neige gehen werden.
Transparenz ist Chefsache
Ein Vergleich zwischen den beiden skandinavischen Staatsfonds und dem Kenfo offenbart einige Unterschiede. Beim norwegischen Staatsfonds und dem AP7 finden sich zum Beispiel die Einzelwerte übersichtlich präsentiert und mit Angaben der Top-Positionen. Der Kenfo veröffentlicht die Titel mit Verzögerung im jährlich erscheinenden Geschäftsbericht, fühlt sich damit aber „in guter Gesellschaft internationaler Staatsfonds“. Klar ist auch Mikus, dass Transparenz bei einem Staatsfonds dazugehört. Gleichwohl macht der Kenfo zu mandatierten Assetmanagern „aus Vertraulichkeitsgründen keine näheren Angaben“. Man wolle nicht für Anbieter werben. Das ist beim Ölfonds anders.
Der Engagement-Ansatz des Kenfo als Aktienbesitzer fokussiert auf Gespräche mit den Assetmanagern und das Engagement im Rahmen der Mitgliedschaft in der Net-Zero Asset Owner Alliance. Der schwedische und insbesondere der norwegische Staatsfonds engagieren sich dagegen unmittelbar und dokumentieren ihr Abstimmungsverhalten. „Jeder Staatsfonds muss sich sein eigenes Bild entsprechend seinem Auftrag machen und entscheiden, wie er sich aufstellt“, so die Kenfo-Chefin Mikus in einem früheren Interview mit der Börsen-Zeitung. Der norwegische Pensionsfonds sei natürlich ein beeindruckender, großer Fonds – aber kopieren könne und wolle man ihn nicht.
Von Wolf Brandes, Frankfurt